Warum die Schweiz mehr Strom produzieren will

An diesem Sonntag stimmen die Schweizer über ein neues Stromgesetz ab, das den Ausbau erneuerbarer Energien erleichtern und beschleunigen soll. Windkraft- und Solarprojekte sollen von einer bestimmten Größe an als Anlagen von nationalem Interesse eingestuft werden. Dies vereinfacht die Planung, garantiert jedoch nicht die Bewilligung jeder Anlage. Jedes Projekt wird individuell bewertet und darf nicht in einer geschützten Landschaft von nationaler Bedeutung liegen. In den betroffenen Gemeinden dürfen die Einwohner weiterhin über die Projekte abstimmen.

Das Gesetz sieht zudem den Ausbau von Wasserkraftwerken vor, damit im Winter genügend Strom gespeichert werden kann. Regierung, Parlament und Kantone haben sich im Einvernehmen mit den Umweltorganisationen Pro Natura und WWF auf eine Liste mit 16 Wasserkraftprojekten geeinigt, die vorrangig und beschleunigt vorangetrieben werden sollen. Diese beinhalten vor allem die Erhöhung bestehender Staumauern, aber auch Neubauten. Da die Projekte im Gesetz aufgeführt sind, ist deren gerichtliche Überprüfung eingeschränkt. Beschwerden sind weiterhin möglich, haben aber geringere Aussichten auf Erfolg.

Die geplanten Maßnahmen spiegeln die Dringlichkeit wider, den Ausbau der heimischen Stromproduktion zu beschleunigen. Auch in Deutschland gibt es Fortschritte: Mitte Mai einigten sich die Regierungsparteien darauf, die Genehmigungsverfahren für Wind- und Solarkraftwerke sowie Industrieanlagen zu entbürokratisieren und zu beschleunigen. Außerhalb von Naturschutzgebieten soll künftig eine vereinfachte Umweltverträglichkeitsprüfung ausreichen. Behörden müssen Einwendungen für viele Vorhaben bei einer Zentralstelle innerhalb eines Monats vorlegen, sonst gilt es als Zustimmung.

Mehr als die Hälfte des in der Schweiz produzierten Stroms stammt aus Wasserkraftwerken. Gut ein Drittel kommt aus Kernkraftwerken, die aber nur noch so lange laufen dürfen, wie sie sicher sind. Bei erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne hinkt die Schweiz im Vergleich zu den meisten Ländern in Europa weit hinterher, was nicht zuletzt auf langwierige Bewilligungsverfahren und weitreichende Einspruchsrechte zurückzuführen ist. Bis zur Inbetriebnahme eines Windkraftparks vergehen oft 20 Jahre.

Schweiz muss im Winter Strom importieren

Im Winter reichen die Produktionskapazitäten in der Regel nicht aus, um den Strombedarf in der Schweiz zu decken. Dann ist die Schweiz auf Importe angewiesen. Diese Abhängigkeit, die während der Energiekrise im Winter 2022/23 beinahe zu Versorgungsengpässen führte, will die Regierung durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien verringern. Das Stromgesetz sieht vor, dass vom Jahr 2035 an mindestens 35 Terawattstunden aus Sonne, Wind, Biomasse oder Geothermie produziert werden sollen. Das wäre sechsmal so viel wie heute. Der mit öffentlichen Mitteln geförderte Ausbau soll auch dabei helfen, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken und damit die Vorgaben in dem neuen Klimaschutzgesetz zu erreichen, dem die Schweizer Bevölkerung im Juni vergangenen Jahres zugestimmt hat.

Neue Solaranlagen sollen zu einem großen Teil auf bestehenden Bauten installiert werden. Da diese im Winter aber weniger als ein Drittel ihrer Jahresproduktion liefern, sollen auch große alpine Solarparks oberhalb der Nebeldecke in den Bergen entstehen. Diese sind wegen der Eingriffe in die Natur jedoch umstritten.

Im Parlament wurde das „Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien“ mit sehr großer Mehrheit angenommen. Eine Gruppe von Umwelt- und Landschaftsschützern hat mehr als 50.000 Unterschriften gegen das Gesetz gesammelt und damit erzwungen, dass die Bevölkerung nun darüber abstimmt. Die Gegner befürchten, dass die Landschaft verschandelt, Wälder gerodet und Biotope vernichtet werden. Die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ist die einzige Partei, die das Gesetz bekämpft, obwohl ihre Fraktion im Parlament mehrheitlich dafür votiert hatte. Umfragen zufolge ist am Sonntag ein klares Ja für das Stromgesetz zu erwarten.

Unklar ist indes, wie die ebenfalls am Sonntag stattfindende Abstimmung über eine Deckelung der Krankenkassenbeiträge ausgeht. Diese sollen, so verlangt es die Volksinitiative der Schweizer Sozialdemokraten, künftig maximal 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen. Die Regierung warnt, dass der öffentlichen Hand dadurch Zusatzkosten von 7 bis 12 Milliarden Franken im Jahr entstehen könnten.

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