Wahlkampf-Bilanz: Soziale Fragen sind untergewichtet

Wahlkampf-Bilanz: Soziale Fragen sind untergewichtet

Der Wahlkampf ist fast vorbei und es wurde viel debattiert. Doch die Debatten gingen an den Themen vorbei, die die Leute wirklich umtreiben. Vor allem jüngere Menschen wurden überhaupt nicht angesprochen


Die Schwäche der Union ist die Stärke der SPD, hieß es im Wahlkampf 2021. Dieses Mal ist es umgekehrt

Foto: Imago/Serienlicht


Nach bleiernem Wahlkampf-Grau ein strahlend schöner Tag überm Land. Ein Hoffnungsschimmer, denn die Testwahl unter Kindern und Jugendlichen ergab, dass die Linke auf mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen kommen würde, Bündnis 90/Die Grünen, traditionell sonst immer vorne mit dabei, sind diesmal weit abgeschlagen. Da ist etwas passiert zwischen 1980, als sich die Grünen aus einem ultralinks-konservativen Konglomerat gegründet hatten, sich 1990 nur noch mittels des ostdeutschen Bündnis 90 im Bundestag halten konnten und jetzt 2025 mit Robert Habeck antreten. „Wir müssen eine Geschichte erzählen.“ Damit hatte er sich vor über einem Jahrzehnt in die Politik geschossen. Nur: Wer erzählt die beste?

Diese Testwahl macht ein bisschen Mut, denn, na ja, die Enkel fechten’s besser aus. Sie ist jedoch auch ein Seismo- graf für diesen Wahlkampf, denn nichts, was den Nachwuchs bewegt, war da ein Thema. Wie kriege ich eine Unterkunft, wenn ich studiere? Wie geht es weiter, wenn wir immer heißere Sommer erleben? Werden wir für unsere Kids noch Kinderärzte finden oder für uns ein Krankenhaus im Notfall? Schaffe ich es, zu arbeiten und den Kindern gerecht zu werden? Was wird aus Opa und Oma, wenn die Kliniklandschaft geschleift wird und das Einkommen für ein Pflegeheim nicht mehr reicht? Das bestätigt auch eine Analyse des Wahl-O-Maten: Soziale Fragen sind in der Gesamtschau untergewichtet.

Das sind natürlich Besitzstandsthemen. Die SPD mit ihrem Kandidaten Olaf Scholz hatte sie in diesem kurzen Winterwahlkampf noch ein bisschen besser im Blick als der in den Umfragen führende Unions-Mitbewerber Friedrich Merz. Der die Sache mit dem Besitzstand auf erheblich höherer Ebene durchaus selbst betreibt. Mit Blick auch auf die statistisch gesehen bisher größte Wählerklientel der über 70-Jährigen, die durchaus etwas zu verlieren hat. Geschätzt zwei Jahrzehnte lang werden die Babyboomer in diesem Land noch wahlentscheidend sein. Auf welche Seite schlagen wir uns? Auf die Besitzstandswahrer, auch bei den Grünen? Auf die Seite der Jungen?

Was Friedrich Merz betrifft: Man weiß ja nicht, wie er bei den Frauen seiner Jugend ankam. Sexappeal hat er heute jedenfalls nicht. Wie er durch die Wahlarenen stöckert, in Debatten voreilig immer den Mund schief grätscht und den Eindruck macht, dass er es vor allem der Merkel endlich heimzahlen will. Kommt bei Frauen, sagen Umfragen, nicht so gut an. Ist dieser Griesgram besser als der Bürokrat Scholz? Der dem sich auf der Kommandobrücke wähnenden Helmut Schmidt nicht das Wasser reichen kann? Strauß, Schmidt, Kohl: alles Geschichten von gestern. Wie hieß es neulich im Tatort? Früher waren wir gegen das System, jetzt verteidigen wir es.

Die Schwäche der Union ist die Stärke der SPD, hieß es im Wahlkampf 2021. Dieses Mal ist es umgekehrt. Und unabhängig von der Abscheu gegenüber Alice Weidel: Sie ist alerter. Man hätte sich ja mal ein bisschen mehr Mut von den Öffentlich-Rechtlichen gewünscht, die nur in Ausgewogenheitspräferenzen unterwegs sind: Ein Duell zwischen Weidel und dem Shootingstar der Linken, Heidi Reichinnek, das wäre doch mal ein Event gewesen! Jedenfalls besser als all das, was uns die vergangenen Tage präsentiert wurde in einmütiger Vasallentreue zur Ukraine oder dem Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort. Nehmt endlich mal ernst, was die Leute wirklich bewegt und auch in Umfragen zum Ausdruck kommt. Wer außer uns sollte denn Geschichten erzählen können?

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