VW-Mitarbeiterin zu Stellenabbau: „Es geht drum, den Kahlschlag zu verhindern“

Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise: Grund sind der Einbruch bei den Verkaufszahlen und fehlende Investitionen in die Elektromobilität. Bei einem am Montag anberaumten Autogipfel zwischen den Vertretern der Autoindustrie und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin sinniert die Branche über Wege aus der Notlage. Doch allein bei VW sollen mehrere zehntausend Arbeitsplätze gestrichen werden. Was diese angespannten Zeiten für VW-Mitarbeiter*innen wie Mirjam Gärtner bedeuten und wie sie plant, mit ihren Kolleg*innen gegen die geplanten Sparmaßnahmen zu kämpfen, erzählt sie im Gespräch mit Freitag.

Der Freitag: Frau Gärtner, wissen Sie, auf was Sie sich unter dem Sparkurs der VW-Führung einstellen müssen?

Wir hatten am 4. September eine Betriebsversammlung, bei der drei VW-Topmanager gesprochen haben: Arno Antlitz, Thomas Schäfer und Oliver Blume. Sie haben den Beschäftigungssicherungsvertrag gekündigt und erklärt, dass die Werke in Deutschland nur zu 70 Prozent ausgelastet seien. Der Markt in Europa habe sich verengt und mindestens 500.000 Autos hätten verkauft werden sollen, um die Zahlen zu halten. Aufgrund von Überkapazitäten, verursacht durch eine erhöhte Produktion bei allen deutschen Herstellern, fühlen sie sich gezwungen, ein Komponentenwerk und mindestens ein Fahrzeugwerk zu schließen. Darüber hinaus werden betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen, die Ausbildung wird nicht weitergeführt, und auch der Tarifvertrag zur Leiharbeit wurde gekündigt. Sie wollen jetzt 13 Milliarden Euro einsparen – ein deutlicher Anstieg gegenüber den zuvor genannten 10 Milliarden.

Gab es bereits früher diese Pläne für Einsparungen?

Ja, diese Pläne waren schon vorher bekannt. Es gab das sogenannte „Performance-Programm“, in dem ursprüngliche Einsparungen in Höhe von 10 Milliarden Euro geplant waren. Das war schon das größte Sparprogramm in der Geschichte von VW. Die Kollegen haben sich damals schon gefragt, wie das zu schaffen sein soll. Doch jetzt hat VW offensichtlich eine neue Taktik eingeschlagen: Generalangriff auf uns!

Wie viele Arbeitsplätze sind konkret betroffen?

Es kursieren verschiedene Zahlen. Offiziell ist von 30.000 Arbeitsplätzen die Rede, aber das könnte deutlich mehr werden. Jede Werksschließung zieht viele indirekte Arbeitsplatzverluste nach sich. Es gibt also große Unsicherheiten darüber, wie viele Menschen genau betroffen sein werden. Trotzdem sind einige Kollegen und ich der Meinung, dass wir als Belegschaft jetzt aktiv werden müssen, unabhängig von den genauen Zahlen.

Wie wird das von der VW-Führung begründet? Gibt es Kritik an der Fokussierung auf E-Mobilität?

VW argumentiert, dass sie viel Geld für neue Investitionen in E-Mobilität und Digitalisierung benötigen. Der europäische Automarkt sei rückläufig, und alle Hersteller hätten zu hohe Kapazitäten. Es geht nicht nur um die E-Mobilität. Der Markt für Verbrenner ist rückläufig. Man kann die Krise nicht allein der E-Mobilität zuschieben. Auch die rechte Parteienlandschaft versucht, die Wut der Menschen auf die Politik umzulenken und den VW-Vorstand aus der Schusslinie zu nehmen. Die eigentliche Ursache liegt aber in der Überproduktion und der Kapitalvernichtung. VW setzt jetzt auf Kahlschlag, entlässt Arbeitskräfte und will anschließend mit weniger europäischen Märkten eine höhere Marge erzielen. Das ist ein altes kapitalistisches Konzept. Die Wahrheit ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit für den Vorstand das einzige Interesse ist, und das geht auf Kosten der Beschäftigten.

Was denken Sie über die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland?

Die Automobilindustrie durchläuft eine tiefgreifende Umstrukturierung, und VW hat an Technologieführerschaft verloren. Viele Kollegen sind zu Recht empört über die Entscheidungen des Managements. Es ist wichtig, dass wir als Belegschaft zusammenhalten und uns für unsere Rechte einsetzen, denn die Verantwortung für diese Situation liegt nicht bei der E-Mobilität oder der EU-Politik, sondern bei den Führungskräften von VW.

Wie ist derzeit die Stimmung unter ihren Kolleginnen und Kollegen?

Bei der Betriebsversammlung war die Stimmung kämpferisch. Wir, die Vertrauensleute und IG Metall-Mitglieder, standen mit unseren Fahnen vor dem Vorstand. Die Zwischenrufe waren eindeutig, etwa „Das ist eure Verantwortung!“ in Bezug auf die Dividende. Viele waren bereit, sofort auch vor die VW-Zentrale zu ziehen, leider haben wir das nicht gemacht. Viele Kollegen fordern spürbare Aktionen statt Reaktionen und sind bereit für Streiks. Wir bereiten aktuell einen Aktionstag am Mittwoch vor und planen, unsere Streikbereitschaft zu demonstrieren.

Wie sieht es mit der Solidarität anderer Standorte aus, auch bei Unternehmen wie ThyssenKrupp oder dem Technologiekonzern ZF in Friedrichshagen, wo ebenfalls massive Stellenkürzungen im Gespräch sind?

Wir hatten eine Delegation von 30 VW-Kolleginnen und -Kollegen aus Wolfsburg bei der Audi-Demonstration in Brüssel, wo das Werk geschlossen werden soll. Auch aus Braunschweig waren Kollegen bei der Mahnwache vor dem Audi-Tor dabei. Diese Unterstützung hat unserem Kampf in Wolfsburg neuen Schub gegeben. Politiker wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil haben ihre Unterstützung zugesagt. Wenn Sie mich fragen, ist das Heuchelei. Er sitzt ja mit im Aufsichtsrat und will gar nichts von den Plänen gewusst haben?

Wie geht es jetzt weiter?

In der Gewerkschaft gibt es einen Richtungskampf. Manche fordern einen neuen Beschäftigungssicherungsvertrag, aber die Mehrheit hält das für unzureichend. Andere schlagen Sparmaßnahmen vor. Viele, wie ich, sagen, wir sollten Forderungen auf Kosten der Profite stellen. Es geht darum, den Kahlschlag-Plan des Managements zu verhindern, nicht einen besseren Plan für sie zu entwickeln. Streikmaßnahmen könnten einfacher werden, da die Friedenspflicht endet. Wir sind bereit und wollen jetzt spürbare Aktionen.

Mirjam Gärtner, geboren 1979, ist seit 24 Jahren engagierte Vertrauensfrau der IG Metall und arbeitet seit 2017 bei Volkswagen in Wolfsburg. Zuvor war sie bereits bei VW Kassel tätig und in der Vertrauenskörperleitung der IG Metall aktiv. Als Mitglied des Bundesvorstands der Umweltgewerkschaft e.V. organisierte sie eine Strategiekonferenz an der Universität Potsdam, bei der die Einheit von Arbeiter- und Umweltbewegung im Mittelpunkt stand

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