Neutral, aber nicht autark. Das ist ein Grundprinzip, das die Schweiz auf vielen Feldern praktiziert. Sei es in der Vernetzung ihrer Pharma-, Uhren- und Finanzindustrie, in den bilateralen Verträgen mit der EU – und zunehmend auch in der Verteidigung. Im Lichte von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligt sich die Schweiz seit 2022 am von Berlin vorangetriebenen Luftverteidigungssystem European Sky Shield.
Auf diesem Weg wollen Abgeordnete des Parlaments in Bern nun den nächsten Schritt gehen. Die kleine Kammer, der Ständerat, forderte am Mittwoch von der Regierung, mit der NATO Verhandlungen über eine Partnerschaft im Bereich Sicherheit und Verteidigung aufzunehmen. Der Ständerat erweiterte damit einen Vorstoß aus dem Nationalrat, der großen Kammer, mit der EU über eine Sicherheitspartnerschaft zu verhandeln.
Die Nationalkonservativen von der SVP sind dagegen
Wie eine solche Annäherung konkret aussehen könnte und inwieweit gegenseitige Beistandspflichten möglich wären, erscheint zu diesem Zeitpunkt völlig offen. „Ich kann Ihnen sagen, auf die Schweiz wartet im Moment niemand in Europa oder weltweit“, dämpfte Verteidigungsminister Martin Pfister vor den Abgeordneten die Erwartungen. Klarer geworden sind mittlerweile aber die politischen Fronten. Auch wenn es in allen Parteien Abweichler gab und ein sehr freies Abstimmungsverhalten in der Schweiz die Regel ist, passierte der Vorstoß den Ständerat dank mehrheitlicher Zustimmung bei der bürgerlich-liberalen FDP, der christdemokratischen Mitte-Partei – und auch bei den Vertretern der Sozialdemokraten und Grünen.
Den entschiedensten Widerstand gegen jegliche internationale Kooperation leistet die nationalkonservative SVP. Bei der wählerstärksten Partei gilt weiterhin das Diktum ihres mittlerweile 85 Jahre alten Übervaters Christoph Blocher, dass sich Schweizer Soldaten nicht in „fremde Händel“ einmischen sollten. Am radikalsten gibt diese Sichtweise die einem Teil der SVP nahestehende Zeitschrift „Weltwoche“ wieder. „Werden dereinst auch Schweizer Soldaten im Osten der Ukraine die Demarkationslinie absichern müssen?“, fragte sie nach dem Votum im Ständerat suggestiv. Auch ein Teil der Linken hat gegenüber der NATO weiterhin Vorbehalte und will nur mit der EU kooperieren.
Verschiedene Abgeordnete pochten in den Beratungen aber darauf, dass eine Zusammenarbeit nur mit der EU nicht ausreiche. „Die Realität ist, dass in Europa die verteidigungspolitische Kooperation gleich NATO ist“, sagte der FDP-Vertreter Thierry Burkart. Gegen bestimmte Waffensysteme werde die Schweiz nie allein die Fähigkeit haben, ihre Bevölkerung zu schützen. Und in einer Situation, in der die Schweiz in Gefahr sei, seien wohl weite Teile Europas bedroht, sagte der Politiker.
Lockerung von Rüstungsexporten hilft der Ukraine nicht
Ein gewichtiger Unterschied zwischen den NATO-Staaten und der Schweiz bleibt der Umfang der Verteidigungsausgaben. Seit gut 20 Jahren betragen diese ungefähr 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Das ist weit entfernt von der auch auf Druck des amerikanischen Präsidenten Donald Trump beschlossenen NATO-Zielvorgabe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Regierung und Parlament in Bern wollen das Militärbudget wegen der verschlechterten Sicherheitslage in Europa auf ein Prozent des BIP erhöhen.
Wesentlich mehr würde wohl auch die Schweizer Bevölkerung nicht mitmachen. Mit einer nur hauchdünnen Mehrheit von 50,1 zu 49,9 Prozent setzten 2020 Regierung und Parlament in einer Volksabstimmung den Kauf neuer Kampfflugzeuge durch. 2014 scheiterte der geplante Kauf von schwedischen Gripen-Flugzeugen in einem Referendum. Nun hat die Schweiz amerikanische F-35-Kampfflugzeuge bestellt, was das Land teuer zu stehen kommt. An einen nach Darstellung Berns vereinbarten Festpreis fühlt sich die Trump-Administration nämlich nicht gebunden. Spott rief nun auch im Ständerat hervor, dass Verteidigungsminister Pfister die versprochene sicherheitspolitische Strategie noch immer nicht vorgestellt hat.
Konkretes gibt es dagegen in der Unterstützung der heimischen Rüstungsindustrie. Am Donnerstag billigte nach dem Nationalrat auch der Ständerat eine Lockerung der Exportregeln für Kriegsmaterial. Anders als bei der Annäherung an die NATO bildete sich hier eine Mitte-rechts-Allianz einschließlich der SVP. Ausgerechnet die Ukraine dürfte davon aber kaum profitieren. Die Regierung in Bern könnte die grundsätzlich gelockerte Weitergabe von Rüstungsgütern aber weiter aus „neutralitätspolitischen“ Erwägungen blockieren. 2022 versagten die Schweizer unter Berufung auf die Neutralität den Deutschen die Weitergabe von Munition für von Berlin an die Ukraine gelieferte Gepard-Panzer.
Source: faz.net