A
wie Attitüde
Der frühe Tom Waits und der Jazz: Das ist vor allem sein Doppelalbum Nighthawks at the Diner von 1975 – sein drittes Studioalbum, das vor einem kleinen Publikum aufgenommen wurde und rauchige Jazzclub-Atmosphäre versprüht. Auf dem Album – dessen Titel natürlich auf Edward Hopper anspielt – gibt es das Stück Warm Beer And Cold Women, das mit der Zeile beginnt: „Warm beer and cold women, I just don’t fit in“. „I’ll be drinkin’ to forget you“, geht es weiter. „Lite another cigarette / And the band’s playin’ something by Tammy Wynette“. → Warmes Bier zur Musik von Wynette, der First Lady Of Country Music, der Trinkerin, die schon im Alter von 55 Jahren starb. Und die Kälte der Frauen, der Platinblonden und der Tabakbrünetten. Ich trinke, singt Waits, um euch zu vergessen. Man könnte diese Zeilen für Attitüde halten und den abgewrackten Typen, der sie singt. Aber es ist Tom Waits in Bestform: Sag der Band, sie soll den Blues spielen. Die Drinks gehen auf mich. Ich schmeiß’ noch eine Runde. Marc Peschke
G
wie Glögg
Vor langen Jahren, als ich noch in einer mittelkleinen Großstadt lebte, veranstalteten Freunde regelmäßig zur Adventszeit ein Glögg-Trinken – Glögg, das ist dieser skandinavische Glühwein, auf dessen Aussprache sich ausnahmsweise alle skandinavischen Sprachen halbwegs einigen können: Die Schweden und Isländer sagen „glögg“, die Dänen, Norweger und Färöer „gløgg“, und sogar die Finnen nähern sich dem mit „glögi“ an. Wie Glühwein besteht Glögg aus Rotwein mit Gewürzen (→ Zimtstange), dazu einem Schuss Korn oder Wodka und Mandeln darin oder extra. Weil die Freunde damals in der Gluckstraße wohnten, seufzten zur fortgeschrittenen Stunde die Gäste gern das schöne Motto, unter dem die Abende standen: „Zum Glück gibt es Glögg in der Gluck“ – versuchen Sie mal, das nach dem dritten Glögg unfallfrei auszusprechen. Kirsten Reimers
H
wie Hot Toddy
Whisky sollte man lieber nicht warm trinken. Das Kühlen eines Tumbler-Glases, ob mit Eis- oder lieber zuvor kaltgestellten Mamorwürfeln, ist schon eine Wissenschaft für sich. Doch wenn es kalt und zugig wird, werfen die Briten alle Kultiviertheit über Bord und mixen sich einen Hot Toddy. Der Kombination aus heißem Whisky, Honig und Zitrone schreiben sie sogar eine wohltuende Wirkung auf Körper und Seele zu. Er schmeckt leicht süß-säuerlich, hat ein Aroma aus feinen Gewürzen, zum Beispiel Rosmarin, und ist damit eine Alternative zu überzuckertem Glühwein. Das Getränk ist auf den britischen Inseln bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannt – just zu der Zeit, als in Europa die Zitrone als Zutat in die Küchen kam. Am besten nimmt man frisch gepressten Saft und mischt ihn halbe-halbe mit dem Alkohol. Der doofe Name des Hot Toddy soll auf eine Wasserquelle Tod’s well in Edinburgh zurückgehen. Andere führen einen Dr. Robert Bentley Todd ins Feld. Egal, die Grog-Variante gefällt. Tobias Prüwer
L
wie Lumumba
In das Wintergetränk gehöre außer Milch (Kuh oder Hafer) und Kakaopulver (→ Russischer Kakao) noch brauner, nicht weißer Rum. Das kann man unter der arglos hingetippten Bezeichnung „Heißer Lumumba“ auf Rezept-Websites lesen. Milch erwärmen, Kakao einrühren, Rum reingießen. Und Sprühsahne drauf. Das Weiße toppt das Braune. Eine fragwürdige Kreation der Konsumwunderzeit um 1960. Als Patrice Lumumba, Präsident des Kongo, im Westen ein Medienaufreger war. Der wollte sein Land von der Ex-Kolonialmacht Belgien unabhängig machen. Verbündete fand er nur in der Sowjetunion. Das ließ höchste Regierungskreise in Brüssel und Washington wünschen, dass der Mann verschwände. Man organisierte einen Putsch. Erschoss Lumumba, zerteilte seine Leiche, verbrannte die Teile. Belgische Militärs und CIA waren beteiligt. Michael Suckow
O
wie Oma
Erinnerung an den Lockdown Weihnachten 2021. Das ganze Land in sozialem Tiefschlaf. Für manche vielleicht willkommen, um der Verwandtschaft zu entkommen oder die alljährlich aufkommenden Einsamkeitsgefühle zu verdrängen. Für jene, die die Liebsten jahreszeitgerecht um sich scharen, eine Herausforderung. Welche Kontaktsperren gelten gerade? Und wie umgehen mit vier Generationen, einer hochaltrigen Oma, die ein Jahr schon separiert lebt, uns Vorsichtigen, den Kindern, dem Enkel und dem zweiten im Bauch, dieser ganzen vulnerablen Gemeinschaft? Wenn gar nichts geht, dann eben Glühwein(→ Glögg) im Garten! Es ist schweinekalt an diesem vierten Advent und regnerisch, als wir uns um die Feuerschale sammeln, da braucht es Hitze von innen und viele Weihnachtsplätzchen, über uns der altersschwache Pflaumenbaum. Vielleicht werden solche Corona-Bilder noch einmal in die Historie eingehen. Inzwischen treffen sich nur noch drei Generationen. Ulrike Baureithel
P
wie Punsch
Hundert Jahre sind es nun, dass Thomas Manns Der Zauberberg erschien, und natürlich wird in der illustren Sanatoriumsgesellschaft auch lustig getrunken, so etwa während der Walpurgisnacht, die zur Faschingszeit stattfindet. Die Maladen sind kostümiert, Konfetti fliegt und „Sekt wird mit Burgunder gemischt“ (→ Zimtstange). Auch Hans Castorp trinkt hemmungslos ziemlich viel von der Weinmischung, ehe Hofrat Behrens höchstselbst noch einen Punsch zubereitet.Er portioniert das dampfende Getränk mit einer Schöpfkelle, die Gesellschaft wird zunehmend enthemmter. Der Genuss des Punsches bahnt damit an, wonach sich Hans Castorp schon lange sehnt: Er erklärt umständlich, wortreich und unter Zuhilfenahme eines Bleistifts, der hier unzweifelhaft zu interpretieren ist, der schönen Clawdia Chauchat seine Liebe. Beate Tröger
R
wie Russischer Kakao
Russischer Kakao. Himmlisch. Ich fühlte mich schweben, als ich im Berliner Operncafé Unter den Linden zum ersten Mal eine Tasse „Russische Schokolade“ trank. Das war zu Beginn der 90er Jahre. Vorher kannte ich nur russisches Konfekt – „Mischka“, „Belotschka“, „Trjufelki“, „Karakum“, „Aljonuschka“ – bunt verpackte Pralinen mit fantasievollen Namen. Auch heute kann man sie kaufen. Und „Russische Schokolade“ gibt’s flaschenweise aus verschiedenen Brennereien von Halle bis zum Teutoburger Wald. Die Mixtur mit 31 bis 36 Prozent Alkohol braucht man nur noch mit heißem Wasser aufzufüllen. Ein Sahnehäubchen drauf und fertig. Man achte indes auf das Etikett. Wenn Rum drin ist, handelt es sich um → „Lumumba“. „Russische Schokolade“ aber ist guter Milchkakao mit Wodka. Schlicht und ergreifend. Gerade las ich im Winterbuch der Liebe von Dora Kaprálová, wie die Ich-Erzählerin diesen Genuss mit ihren Sehnsüchten verbindet. Sie stellt sich verschiedene Männer vor und trinkt dabei „Russische Schokolade“. Behaltet den Glühwein, ich will nur das. Irmtraud Gutschke
S
wie Sake
Sake kann man kalt trinken oder heiß – aber dann nur bei maximal 55 Grad! Wenn er heiß serviert wird, spricht man auch von einem „heißen Stein auf dem Bauch“. Dieser warme – wahlweise kalte – Stein auf dem Bauch wird fälschlicherweise oft als „Reiswein“ übersetzt, ist doch aber dem Bier viel näher als dem Wein. Und noch weniger nah ist er dem Schnaps, da Sake nie destilliert wird. Und so saß Sean Connery als – aus heutiger Sicht emanzipativ-behavorial recht merkwürdig handelnder – James Bond in dem 007-Streifen Man lebt nur zweimal in einer U-Bahn mit dem japanischen Geheimdienstchef Tanaka und schlürfte Sake. Natürlich wusste der kosmopolitische Bond nicht nur, bei welcher Temparatur Sake serviert wird, sondern auch, bei welcher er Sake gern trinkt. Sake ist gut gealtert, Männer wie Bond, nicht (→ Attitüde). Jan C. Behmann
W
wie Warmes Bier
Dass Bier in britischen Pubs handwarm serviert würde, ist ein bisschen übertrieben. Und doch hält sich dieses Klischee hartnäckig, nicht zuletzt, weil es sich trefflich eignet, die Besonderheit der insularen Kultur zu betonen. Als der konservative Premierminister John Major 1993 in einer Rede zur Stellung Großbritanniens in Europa „warmes Bier“ als Distinktionsmerkmal hervorhob, reproduzierte er das Geschmacksurteil amerikanischer Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges in England stationiert waren. Den an eiskaltes Bier gewöhnten GIs war das kellertemperierte Ale schlicht zu warm. Das geht inzwischen auch vielen Einheimischen so. Vor allen Dingen jüngere Pubgäste ziehen stark gekühltes Lager dem Traditionsgetränk vor. Wer unbedingt erhitzten Alkohol trinken möchte, sollte einen → Hot Toddy als probates Mittel gegen Erkältungen bestellen. Oder sich für umgerechnet etwa sieben Euro gleich ein Glas „mulled wine“ oder „spiced wine“ auf einem der auch im Vereinigten Königreich populären Weihnachtsmärkte gönnen. Joachim Feldmann
Z
wie Zimtstange
Zwischen vier und sechs Euro kostet in diesem Jahr ein Glühwein, dazu kommt Tassenpfand. Ausreißer nach oben gibt es natürlich auch (→ Warmes Bier). Der Durchschnittspreis liegt gegenüber 2023 um sieben Prozent höher. Eine Zimtstange ist nicht dabei. Die Qualität fällt mäßig aus, erwischt man keinen Winzerglühwein. Und der kostet extra. Dann lieber selbst einen Glühtrunk anrühren. Auf der Seite des Kulinarikmagazins Effilee gibt es das Rezept für einen fantastischen weißen Glühwein (→ Oma). Das ist mehrfach vom Autor selbst getestet worden. Basis bildet eine Flasche guter Riesling. Davon nimmt man 100 Milliliter ab und kocht diese mit 100 Gramm Zucker, Lorbeer, einer Zimtstange und einer halben Vanilleschote zu Sirup ein. Das wird vorsichtig mit dem Restwein, einer Orangenzeste, einem Sternanis, vier Nelken und Ingwer erhitzt. TP