Vor welcher Neuwahl: Wahlprogramme ohne Wumms

Gut zwei Monate vor der vorgezogenen Bundestagswahl nimmt der Wahlkampf Fahrt auf. Pünktlich zur Vertrauensfrage von Nochbundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag haben CDU/CSU, SPD und Grüne ihre Wahlprogramme fertiggestellt. Die Wirtschaftspolitik nimmt dabei jeweils viel Raum ein. Doch führende Ökonomen äußern Zweifel, ob die Pläne der Parteien ausreichen, um in Deutschland wieder Wachstumsraten wie in anderen Industrieländern zu erreichen.

Die Vorschläge der CDU zielen vor allem darauf, durch steuerliche Entlastungen die Investitions- und Konsumschwäche zu überwinden. Der Solidaritäts­zuschlag, den noch Topverdiener und Un­ternehmen zahlen, soll entfallen, der Spit­zensteuersatz erst bei einem höheren Jahreseinkommen greifen. Die Steuerlast der Unternehmen soll von aktuell rund 30 Prozent Richtung 25 Prozent sinken.

Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats, hält eine Senkung der Körperschaftsteuer im internationalen Vergleich für „sicher bedenkenswert, allerdings wird sich das nicht kurzfristig selbst finanzieren“. Auch für die Abschaffung des Soli vermisst sie eine Gegen­finanzierung. Die von CDU/CSU geplanten steuerfreien Überstundenzuschläge hätten volkswirtschaftlich nur eine minimale Wirkung. Ob und in welcher Höhe das Bruttoinlandsprodukt mit dem Wahlprogramm der Union steigen könnte, sei nicht seriös abzuschätzen, sagt Schnitzer: „Die Wachstumseffekte dürften in der kurzen Frist sehr überschaubar sein.“ Wichtiger seien aber ohnehin „langfristig stabile Ansagen“.

„Alles soll über zusätzliches Wachstum bezahlt werden“

Der Ökonom Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der zugleich im Beirat des Bundeswirt­schaftsministeri­ums sitzt und SPD-Mitglied ist, beziffert die geplanten Steuerentlastungen der Uni­on auf rund 100 Milliarden Euro im Jahr: „Alles soll über zusätzliches Wachstum bezahlt werden. Damit diese Rechnung aufgeht, müsste das CDU-Programm ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von zehn Prozent erzeugen – das ist völlig unrealistisch.“ Eine realistische Größenordnung wären aus seiner Sicht ein bis zwei Prozent mehr. Südekum warnt auch, dass eine niedrigere Körperschaftsteuer keine Garantie für mehr Investitionen sei: „Die meisten Unternehmen werden sich einfach über den höheren Nachsteuergewinn freuen und ihn als Dividende ausschütten. Das Instrument ist also nicht zielgenau.“

Im SPD-Programm finden sich zur wirtschaftlichen Belebung unter anderem ein Steuerzuschuss von zehn Prozent auf Investitionen, eine Deckelung der Stromnetzentgelte auf drei Cent je Kilowattstunde sowie ein 100 Milliarden Euro schwerer „Deutschlandsfonds“. Letzterer soll Unternehmen bei „Zukunftsinvestitionen“ unterstützen, sei es durch Dar­lehen oder Beteiligungen. Finanziert werden soll der Fonds durch nicht näher de­finierte „finanzielle Transaktionen“ im Rahmen der Schuldenbremse. Das Geld soll in den Umbau der Strom- und Wärmeversorgung, den Aufbau eines Wasserstoffnetzes, in die Elektromobilität und den Wohnungsbau fließen. Zudem sollen 95 Prozent der Steuerzahler finanziell entlastet werden, finanziert durch eine höhere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen.

Obwohl sich auch der Sachverständigenrat für eine Fondslösung zur Finanzierung des Infrastrukturbedarfs ausspricht, sieht die Ratsvorsitzende Schnitzer den SPD-Plan für einen Deutschlandfonds kritisch: „Es besteht die Gefahr, dass Infrastrukturausgaben wie Instandhaltung über diesen kreditfinanzierten Fonds finanziert werden und dadurch Spielräume für Konsumausgaben geschaffen werden.“ Sie plädiert dafür, nur den Nachholbedarf an Investitionen über Kredite zu finanzieren. Der geplante Netzentgeltdeckel mache die Stromkosten für die Unternehmen kalkulierbarer, sei aber nicht gegenfinanziert, bemängelt Schnitzer.

Mit der Gegenfinanzierung ist es so eine Sache

Berater Südekum findet die Investitionsprämie der SPD besser, da sie zielgerichteter sei als allgemeine Steuersenkungen für Unternehmen. Auch lobt er, dass das SPD-Programm gegenfinanziert sei. Man könne Vorschläge wie höhere Steuern für Reiche und kreditfinanzierte Investitionen kritisch sehen: „Aber zumindest wird dort nicht einfach etwas versprochen, ohne zu sagen, wie es bezahlt werden soll.“ Mit der Gegenfinanzierung ist es allerdings so eine Sache: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das sonst auch oft SPD-nahe Po­sitionen vertritt, hatte bei Bekanntwerden der Steuerpläne der Sozialdemokraten im Oktober eine Rechnung aufgemacht, wie gering der Spielraum für steuerliche Umverteilungen ist. Nehme man den obersten fünf Prozent neun Milliarden Euro zusätzlich ab, bedeutete dies für die Mittelschicht nur eine Entlastung von 12,50 Euro im Monat, lautete das damalige Fazit von DIW-Ökonom Stefan Bach.

Sowohl Schnitzer als auch Südekum kritisieren, dass weder die Union noch die SPD eine Rentenreform planen, die den absehbaren Anstieg der Kosten in einer alternden Gesellschaft wie der deutschen dämpft. „Es gibt keine Pläne, künftige Ausgabenanstiege zu begrenzen“, konstatiert Schnitzer. Südekum rechnet vor, das Festhalten am aktuellen Rentenniveau könne ökonomisch nur funktionieren, „wenn sich jedes Jahr netto mehr als 500.000 Zuwanderer in unseren Arbeitsmarkt integrieren. Keine Partei ist derzeit willens, diese Rechnung der Bevölkerung zuzumuten.“ Die CDU hatte in ihrem Grundsatzprogramm noch gefordert, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen. Im Wahlprogramm findet sich diese Passage nicht mehr wieder. Stattdessen soll es nun nur steuerliche Anreize zum Weiterarbeiten im Rentenalter geben.

Grünen wollen Habecks Wirtschaftspolitik fortsetzen

Das inzwischen ebenfalls bekannt gewordene Wahlprogramm der Grünen – Titel: „Zusammen Wachsen“ – steht wirtschaftspolitisch für eine Fortsetzung der Politik von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Wie die SPD wollen auch die Grünen eine Steuerprämie von zehn Prozent für Investitionen einführen, wie die Sozialdemokraten wollen auch sie einen „Deutschlandsfonds“ in dreistelliger Milliardenhöhe. Dieser soll in die Infrastruktur investieren und die Netzentgelte komplett finanzieren. Habeck hatte in der Vergangenheit dafür ein schuldenfinanziertes Sondervermögen ins Spiel gebracht.

Subventionen wie die Klimaschutzverträge für Industrieunternehmen sollen fortgeführt werden, die Förderung der Elektromobilität soll mit Zuschüssen zum Laden und zu einem „Social Leasing“ ausgebaut werden. Gegenfinanziert werden sollen die Vorschläge durch eine Milliardärssteuer, eine „fairere Erbschaftsteuer“ sowie eine „gerechte Immobilienbesteuerung ohne Schlupflöcher oder eine nationale Vermögensteuer“. Die Arbeit im Handwerk wollen die Grünen über „branchenspezi­fische Mindestvergütungen“ attraktiver machen.

Zur Vermögen- und Milliardärssteuer urteilt Schnitzer: „Der bürokratische Aufwand ist hoch im Verhältnis zum Steuerertrag. Das bringt also nicht viel.“ Gegen eine Ausweitung der Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen hat sie dagegen nichts einzuwenden. Womit die Grünen programmatisch ein Alleinstellungsmerkmal haben: Sie wollen das Ehegattensplitting in seiner heutigen Form abschaffen, um Frauen aus der „Teilzeit-Falle“ zu holen. Das Splitting solle „grundlegend geschlechtergerecht“ reformiert werden, „indem wir für Neuehen eine individuelle Besteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag einführen“, heißt es in dem Programmentwurf.

Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), zeigt sich insgesamt enttäuscht von den Plänen der Parteien: „Der große Wurf ist das nicht. Wir brauchen deutlich mehr Mut und Veränderungsbereitschaft als das, was in diesen Programmen steckt.“ Die geplanten Entlastungen seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber große Fragen wie die Finanzierung der Sicherheits- und Verteidigungsausgaben blieben offen.

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