A
wie Agurkaj
Jan Wagner, einer der größten Virtuosen, was die Poetisierung des Alltäglichen, die Neugeburt von Dingen, Wesen, Phänomenen betrifft, bedichtet fast alles, was ihm vor die Feder läuft. Dass auch die Gurke dabei ist, verwundert nicht. In seinem Gedicht agurkaj schildert er einen Ausflug von zwei Freunden. Sie fahren aus einer osteuropäischen Stadt aufs Dorf, das weitab und verlassen liegt, in einer „schiwagolandschaft mit ihren füchsen und fichten“. Sie steigen dort in einem Familienhaus durch eine Luke im Küchenboden hinab in ein Kellerloch voller Einmachgläser mit Heringen, Kürbissen, Kartoffeln und – Gurken. Ein Glas davon nehmen sie im Auto mit, als sie wieder nach Hause fahren: „vom rücksitz das glucksen, wo die eingelegten / gurken wie kompassrosen in essig schwebten.“ Das Gedicht beschreibt eine Verwandlung, eine Verzauberung, eine Veränderung, das Ich hat durch diesen Besuch eine ihm unvertraute Lebenswelt seines Freundes anders im Blick, den Gurken und → Konserven sei Dank. Beate Tröger
B
wie Banane
Deutschlands berühmteste Gurke ist eine Banane: „Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD). Meine erste Banane“ prangte im November 1989, dem Monat des Mauerfalls, auf dem Cover des Satiremagazins Titanic. Dazu das Bild einer jungen Frau, in der Hand eine Gurke, geschält wie eine Banane. Das sollte kein Hohn sein, vielmehr nahm es die Klischees, die sich Westdeutsche vom Osten machten, auf den Arm. Fernsehbilder von Westdeutschen, die den aus Prag und Ungarn einreisenden DDR-Bürgern Bananen in die Hand drückten, inspirierten die Satiriker zu dem Bild. Zeitungen auf der ganzen Welt druckten das Titelbild nach. Und Zonen-Gaby selbst? Die hieß eigentlich Dagmar und kam aus Worms. Die Süddeutsche Zeitung hat sie 2009 aufgespürt, da hatte sie sogar noch die Jeansjacke von damals. Was aus der Gurke wurde, ist nicht überliefert. Leander F. Badura
E
wie Essiggurkerl
Gurkige Kunst von Erwin Wurm: Im Jahr 2011 stellte der weltbekannte österreichische Künstler fünf Gurken im Wilhelm-Furtwängler-Garten in der Altstadt von Salzburg auf, jede etwa zwei Meter groß. Die Idee, Banales vergrößert darzustellen, hat Wurm nicht erfunden, aber auch wenn das Werk nicht originär ist, so wird es doch vom Publikum geliebt. Ironie? Bei ihm können alle Gegenstände zu Kunst werden, eben auch Gurken (→ Agurkaj). „Jede Gurke“, sagt Erwin Wurm, „ist individuell verschieden, aber doch sofort als Gurke erkennbar und einem Ganzen zuordenbar … ähnlich den Menschen.“ Sind wir Gurken? Sind Gurken wie wir? Auch diese Fragen stellt die Gurkenkunst von Erwin Wurm. Das Thema taucht in seinem Werk übrigens immer wieder auf: Schon 2010 hat er im Museum der Moderne in Salzburg ein Selbstportrait als Essiggurkerl präsentiert. Und im Lenbachhaus in München ist eine 2008 von ihm geschaffene, etwa acht Zentimeter große Gurke aus Acrylharz zu bewundern. Marc Peschke
H
wie Herumgurken
Warum hat sie bloß so einen schlechten Ruf? Alles, was schlecht läuft, kreidet man ihr an. „Gurkentruppe“, weil die Elf vor dem Abstieg in die Zweite Liga steht, oder die Ampel gleich crasht. Dann noch die nervige Saure-Gurken-Zeit (Journalisten sagen: Sommerloch), wenn man sich jedes Thema aus den Rippen leiern muss. Planlos, ohne Ziel, nur was kann die Gurke dafür? Ursprünglich kommt sie aus Indien, gelangte von dort aus in der Antike nach Griechenland, wo man sie als angúrion bezeichnete, „grün, unreif“. Und aus unreif wurde: Versager. Oder geht der Begriff womöglich auf ihre unregelmäßige (nicht → normierte) Gestaltzurück, wie manch Germanist vermutet? Wo immer diese sprachliche Missbilligung herkommt: Die Gurke hat sie nicht verdient. „Wander around somewhere“, sagen die Engländer, wenn sie rumgurken. Herrlich! Maxi Leinkauf
K
wie Konserven
Gurken ins Glas und fertig? Die Würze macht’s. So viele Produzenten gibt’s, die Auswahl kann dauern. Schon Theodor Fontane lobte die Gurken, die auf den feuchten, humusreichen Böden des Spreewalds besonders gut gedeihen. Während sie indes früher in großen Fässern mehrere Wochen gären durften, kommen sie inzwischen oft nach eintägiger Verarbeitung in den Handel. Nicht selten sind sie zu weich, ist zu viel Zucker dran und zu wenig Dill (→ Tarator). Bewährtes rechnet sich mitunter nicht. Vielleicht macht es ja auch keinen Unterschied, dass die Traditionsfirma „Spreewaldhof“ in Golßen aus Altersgründen zu einem französischen Konzern überging. Und der gute Ruf der Salz-Dill-Gurken von „Spreewald Müller“ wäre zu überprüfen. Dass die Gurken dort vor dem Einlegen im Fass mit Dill und Salzwasser noch angestochen werden, wodurch sie knackiger bleiben, klingt gut. Doch finde ich je die köstlichen Gurken wieder, die ich einst auf einem Spreewaldkahn probierte? Irmtraud Gutschke
N
wie Norm
Dass eine EU-Norm über den maximalen Krümmungsgrad von Salatgurken existiert, ist ein Mythos. Er hält sich hartnäckig, wohl, weil man den Brüsseler Bürokraten alles zutraut und es eine solche gab. Der Handel wünschte sich gerade Gurken, weil sich diese platzsparender in Kartons verpacken lassen, was den Transport günstiger macht. Also bat er um Regulierung und die EU übernahm 1988 eine Empfehlung des UN-Wirtschaftsausschusses. Und machte sich zum Gespött der Leute. Tatsächlich sah die Verordnung vor, dass eine Gurke höchstens eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter aufweisen durfte. Diese Gurkenverordnung wurde 2009 wieder abgeschafft – gegen Proteste von Händlern und Erzeugern. Diese verwenden in der Praxis die Vorgaben bis heute, weshalb niemand den Wegfall der Norm bemerkte. Tobias Prüwer
S
wie Seegurke
Rohen Fisch und Meeresfrüchte in Südkorea zu essen, ist für viele Europäer zwar grenzwertig, aber ein rauschendes Ereignis. Fische, Krebse und Oktopusse werden am Hafen und in Fischmärkten in Bassins und Aquarien lebendig feilgeboten und man sucht sich die Tiere mit Fingerzeig aus, die dann umgehend zerlegt, filetiert und mundgerecht an den Tisch gebracht werden. Springenden Garnelen wird am Tisch der Kopf abgezogen. Die Beinchen von Babyoktopussen bewegen sich noch und kleben am Teller, bevor man sie zum Mund führt. Und auch die Seegurke gilt als Delikatesse und kann Kilopreise von mehr als 2.000 Euro erreichen. Damit ist wohl nicht die pinkfarbene Seegurke gemeint, die in der Tiefsee lebt und von Forschern nach neueren DNA-Analysen jetzt als eigene Art eingestuft wird. Sondern die essbare Echinodermata, die gilt als Superfood, das Mundgefühl ist ungewohnt: glibschig, knorpelig und dennoch von Konsistenz. Es schmeckt nach wenig, aber gedippt in mit Essig marinierter Chilipaste, eingerollt in Salat- und Sesamblatt, und runter-gespült mit Soju. Hach. Ji-Hun Kim
T
wie Tarator
In Burgas bei 31 Grad aßen wir keine heiße Hammelsuppe, sondern lieber ein anderes bulgarisches Nationalgericht. „Tarator“, kinderleicht zubereitet und in zwei hohen Gläsern serviert: eine Salatgurke und vier Knoblauchzehen, grob zerkleinert, 500 Gramm Joghurt, Eiswürfel, etwas Olivenöl, Essig, Pfeffer, Salz, gehackte Walnüsse und viel Dill dazu. Eine Köstlichkeit für heiße Tage. In der Türkei heißt sie „Cacik“, gern mit etwas Minze (→ Very british), in Griechenland „Tzaziki“, ist aber cremiger, in Russland „Okroschka“, was von „krümeln“ kommt. Also können noch gehackte Eier, Radieschen und Wurststückchen, sogar Kartoffeln mit rein. Für uns ist es einfach eine „Kalte Gurkensuppe“. Aber der bulgarische Joghurt macht den Unterschied. Mit dem Bakterium Lactobacillus bulgaricus versetzt, soll er sogar lebensverlängernd wirken. Irmtraud Gutschke
V
wie Very british
Das Gurkensandwich, geschmacksarmer Inbegriff britischer Esskultur, soll seinen Ursprung im 19. Jahrhundert haben. Erfunden in den indischen Kolonien, wo es als idealer Snack bei großer Hitze geschätzt wurde, fand es bald auch auf den Teetischchen des regnerischen Mutterlandes seinen unverzichtbaren Platz. Nicht zuletzt sein geringer Nährwert war offenbar für den Reiz der Gemüse-Weißbrot-Kreation verantwortlich. Die dem Müßiggang frönende Oberschicht zur Regierungszeit von Königin Viktoria (1837 wurde sie mit 18 zur Königin gekrönt) hatte, anders als die hart schuftende Arbeiterklasse, keinen großen Kalorienbedarf. Die verstorbene Elisabeth II. soll übrigens ihre Gurkensandwiches mit Minze verfeinert haben (→ Tarator). Aber eigentlich aß sie zum Nachmittagstee am liebsten Marmeladenbrote. Und zwar nicht wie ihre Untertanen in eckiger, sondern in runder Form. Denn wer in Buckingham Palace spitz zulaufende Brotscheiben serviert, plant einer Legende zufolge den Sturz des Königshauses. Und das wäre dann doch ausgesprochen unbritisch. Joachim Feldmann
Z
wie Zeichentrick
Absurde Berühmtheit erlangte die Gurke in der sehenswerten Zeichentrickserie Rick and Morty. Der zeit- und dimensionsreisende Großvater Rick verwandelt sich in einer Folge der dritten Staffel in eine Gurke – und kreiert die Catchphrase: „I’m Pickle Rick!“ Wozu das nütze ist? Rick dient die Vergurkung als Ausrede, um nicht an der Familientherapie-Sitzung teilnehmen zu müssen. Während sich Enkelkinder und Mutter über die toxischen Beziehungen der Familie austauschen, erlebt Rick Abenteuer in der Kanalisation, in die er vom Regen gespült wurde. Aus dem Körper einer Ratte baut er sich ein Exoskelett, gelangt in eine Hochsicherheitsmilitärbasis und bricht zusammen mit einem Gefangenen aus, der ihm in einer späteren Folge das Leben retten wird (Achtung, Spoilerwarnung). Klingt unglaublich? Ist es auch, sogar für Fans der Serie. Ben Mendelson