„Vom Kopf gen die Füße“: Die Bahnchefin kocht nachher ihrem eigenen Rezept

Die Deutsche Bahn steuert auf ausgefahrenen Gleisen in eine ungewisse Zukunft. Das klingt nach einer reichlich platten Phrase, aber die sind bei der Bahn gerade wieder en vogue. Mit Evelyn Palla hat der Staatskonzern eine neue Chefin, die angekündigt hat, alles wieder „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen, den Konzern „auf links“ zu drehen und dabei „maximale Transparenz“ walten zu lassen.

Immerhin: Die Ankündigung, alles anders zu machen, trifft die allgemeine Erwartungshaltung. Mit allen, die schon seit Langem ein beherztes „So kann es nicht mehr weitergehen“ intonieren, könnte man etliche Fußballstadien füllen. Nicht nur die Kunden gehören dazu, auch Bahn-Mitarbeiter, ebenso die Politik und ganz besonders der Eigentümer, vertreten von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU).

Palla kocht nach ihrem eigenen Rezept

Allerdings haben auch schon dessen Vorgänger Volker Wissing und Pallas Vorgänger Richard Lutz ein ähnliches Lied angestimmt und damit die milliardenschwere Generalsanierung des Schienennetzes eingeleitet. Die Reihe ließe sich weiter ­zurückverfolgen über Hartmut Mehdorns Privatisierungspläne bis zur ersten Bahnreform 1994, die aus der Deutschen Bundesbahn (West) und der Deutschen Reichsbahn (Ost) einen gemeinsamen Staatskonzern machte. Alle hatten das gleiche Ziel: eine verlässliche Bahn zu vertretbaren Preisen, die dem Steuerzahler nicht allzu sehr auf der Tasche liegt. Alle hatten jeweils andere Rezepte, keines hat sofort gewirkt. Ob sie längerfristig gewirkt hätten, weiß man nicht. Dafür gab es in diesem Land noch nie genügend Zeit oder Atem. Jetzt schon gar nicht mehr.

Nun zeigt Palla Führungsstärke, sie kocht nach ihrem eigenen Rezept. Die Konzernzentrale soll drastisch „verschlankt“ werden. Das klingt sinnvoll, wenn damit Doppelstrukturen und Redundanzen abgebaut werden, die den Konzern schon seit Langem lähmen. Vom Berliner Bahn­tower soll die Entscheidungsbefugnis zurück in die Regionen verlagert werden. Das Rezept ist auf regionaler Ebene erprobt, vielleicht bringt es auch den Erfolg in einen größeren Kontext. So hat Palla in ihrer Zeit als DB-Regio-Chefin die Tochtergesellschaft in die Gewinnzone gebracht.

Regionalisierung taugt nicht als Patentrezept

Die Politik hat ihr dabei eher versehentlich Rückenwind beschert, sowohl mit dem Deutschlandticket als auch mit einer Deckelung der Trassenpreise, die das ganze System in eine Unwucht gebracht hat. Der neue Ansturm auf Regionalzüge ging jedenfalls zulasten des Fernverkehrs, der zudem damit leben muss, dass die Knoten im Schienenverkehr – Frankfurt, Stuttgart, Köln, München – so stark belastet sind, dass die ICEs ausgebremst werden. Diesen Beifang kann man Palla schwerlich vorwerfen. Er lässt aber Zweifel aufkommen, ob die Regionalisierung als Patentrezept für die anderen Sparten, den Fern- und Güterverkehr und die gemeinnützige Infrastrukturgesellschaft DB InfraGo, taugt.

Bei der Bahn wird sich in der Konzernstruktur also in nächster Zeit einiges ändern. Das interessiert die Kunden herzlich wenig, wie schon die Bahnchefin selbst zu Recht anmerkte. Die Bahnfahrer widmen sich in ihrem Alltag eher den anderen großen Baustellen: dem Negativrekord bei der Pünktlichkeit (55 Prozent) oder dem Inferno von Stuttgart 21, dessen kommunikative Begleitung auch völlig danebenging. In beiden Bereichen macht sich eine neue Großzügigkeit breit: Pünktlichkeitsquoten von 70 Prozent muss die Bahn erst 2029 wieder erreichen. Die Eröffnung des neuen Bahnhofs, die ohnehin nur in Teilen für Ende 2026 geplant war, hat Palla auf unbestimmte Zeit verschoben, ohne konkrete Gründe zu nennen. Als bislang einziger Sündenbock muss der Geschäftspartner Hitachi herhalten, der seit einer schlecht gemanagten Übernahme ins Schleudern geraten ist.

Kunden, Land und Wettbewerber kochen vor Wut

Während sich in Konzern und Aufsichtsrat in Sachen Stuttgart 21 ein irritierender Defätismus breitmacht, kochen Bahnkunden, Landesregierung und Wettbewerber vor Wut. Sie fühlen sich getäuscht. In einer außergewöhnlichen Sitzung des Lenkungskreises hat Palla jetzt wenigstens eine Perspektive gegeben: Bis Anfang Juli 2026 soll ein neues Konzept für die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 her. Derweil müssen Tausende Pendler jeden Tag stur den endlosen Pfeilen folgen, die den verwirrenden Weg auf die Gleise weisen. Maximale Transparenz stellt man sich anders vor.

Gut möglich, dass sich alles noch zurechtruckelt. Dass Pallas Strategie aufgeht, die neuen Strukturen zu neuer Verlässlichkeit und Zufriedenheit führen und sich die Großbaustelle Stuttgart 21 irgendwann einmal harmonisch in den Fahrplan und das Stadtbild einfügt. Sowohl am Berliner Flughafen BER als auch an der Hamburger Elbphilharmonie haben die Menschen inzwischen ihre helle Freude. Es würde einem Wunder gleichen, aber die soll es ja bekanntlich geben. Auch bei der Bahn.

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