Volkswirtschaftler Löchel im Gespräch: „Wir nötig haben verknüpfen Neustart mit China“

Herr Professor Löchel, wie steht es um das Verhältnis zwischen Deutschland und China gerade?

Politisch schlecht. Wir brauchen unbedingt und dringend einen Neustart.

Was meinen Sie damit?

Das Verhältnis ist zu konfrontativ, wir stecken in einer Sackgasse. Dabei sollten wir unsere Beziehung zu China konstruktiv gestalten, an unseren Interessen orientieren und moralische Belehrungen hintanstellen. China ist eine Weltmacht – wirtschaftlich, technologisch und politisch. Unsere Wirtschaft lebt nach wie vor vom Export, und China ist und bleibt ein zentraler Absatzmarkt auch für die deutschen Unternehmen vor Ort. Exzellente Beziehungen zu China müssen hohe Priorität haben, wir müssen sie pflegen und stärken. Ganz ehrlich: Nach den verlorenen Jahren unter einer grünen Außenministerin hatte ich mir von einem CDU-Außenminister mehr ökonomische und politische Rationalität erhofft und einen wirklich neuen Impuls.

Was raten Sie konkret?

Kanzler Friedrich Merz sollte unbedingt nach China reisen, wie er das offenbar vorhat. Er sollte einen wertschätzenden Ton anschlagen und den chinesischen Staatschef Xi Jinping nach Deutschland einladen. Die Diskussionen um Seltene Erden oder bestimmte Chips zeigen einmal mehr, wie eng unsere Wirtschaft und unser Wohlstand mit China verflochten sind. Und vom wirtschaftlichen Austausch profitieren beide Länder, denn auch Deutschland und Europa haben einen großen Markt zu bieten. Handel wirkt übrigens auch politisch stabilisierend, das haben wir zuletzt – den russischen Einmarsch in der Ukraine vor Augen – leider etwas vergessen.

Horst Löchel ist Professor an der Frankfurt School of Finance and Management.Frankfurt School

China ist eine Autokratie und tritt teilweise deutlich aggressiver auf als vor zehn oder 20 Jahren, etwa mit mehr militärischer Präsenz auf See und rund um Taiwan. Ist da nicht eher Eindämmung angesagt?

China ist ein zivilisiertes Land, und Xi Jinping ist kein Kriegstreiber wie der russische Machthaber Wladimir Putin und andere Autokraten, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Ich darf daran erinnern, dass China seit mehr als 45 Jahren – 1979 gegen Vietnam – keinen Krieg geführt hat und außerhalb Asiens noch nie. Auch können wir davon ausgehen, dass uns die amerikanische Regierung unter Donald Trump deutlich mehr Freiraum im Umgang mit Peking zugesteht.

Wie bitte?

Trump ist ein Unternehmer, er ist am Geschäftlichen orientiert, weniger ideologisch als die Administration seines Vorgängers Joe Biden. Ihm geht es vornehmlich um amerikanische Interessen. Ich bin überzeugt: Er wird uns weniger im Weg stehen hinsichtlich eines anderen Umgangs mit China.

Wie kommen Sie darauf?

Trump liebt Deals, Chinas Führung auch. Hieran sollten wir uns orientieren. Unsere Wirtschaft wächst nicht, Unternehmen bauen Arbeitsplätze ab – das ist jeden Tag in dieser Zeitung nachzulesen. Unsere Regierung muss alles tun, um die Wirtschaft zu stärken. Beste Beziehungen zu China, welche die Wirtschaft in den Fokus rücken, sind hierfür wesentlich.

Wie bewerten Sie das Treffen zwischen Trump und Xi in Südkorea gerade?

Auch wenn es offene Fragen gibt und das Abkommen auf ein Jahr begrenzt ist, so ist das Ergebnis des Treffens ein Erfolg. Es reduziert wirtschaftliche Unsicherheit und gibt Hoffnung, dass beide Supermächte friedlich koexistieren können.

Wie steht es um China ökonomisch?

Das Land kämpft weiter mit der Immobilienkrise und mit Deflation. China ist nach wie vor eine gelenkte Wirtschaft, die sich vor allem durch drei Dinge auszeichnet.

Baustelle: Zwischen Deutschland und China läuft es nicht rund gerade.AP

Sie ist sehr erfolgreich in vielen Bereichen. In der Elektromobilität, in der Künstlichen Intelligenz, in der Robotik und in der Mobilfunktechnik zählt sie zur Weltspitze. Und wenn es darum geht, wichtige Rohstoffe abzusichern und verfügbar zu machen, war Peking sehr weitsichtig – über Seltene Erden haben wir schon gesprochen vorhin.

Sie verschwendet unglaublich viele Ressourcen, weil die chinesische Führung immer noch zu wenig der Macht und Kraft des Marktes vertraut. Der Versuch, die Wirtschaft staatlich zu lenken, war nie und ist nicht effizient.

Und drittens?

Eine deutliche Produktivitätssteigerung, wie wir sie uns durch den technologischen Fortschritt in der KI und Informationstechnik insgesamt erhofft hatten, sehen wir auch in China nicht.

Was folgt daraus für die chinesische Führung?

Die Kommunistische Partei und ihr gegenwärtiger, aber nicht dauerhafter Parteichef Xi Jinping stehen unter doppeltem Druck: Sie müssen dafür sorgen, dass der Wohlstand weiter wächst und Wachstum in der Breite ankommt. Darauf fußt ihre Macht, sie legitimiert sich nachhaltig nur über Leistung – auch das ist übrigens ein großer Unterschied zu Russland oder Nordkorea.

Xi regiert schon länger als seine Vorgänger, er hat viel Entscheidungsgewalt auf sich konzentriert. Was halten Sie von seiner Amtszeit bislang?

Infolge seines Machtantritts hatten wir auf eine weitere Öffnung gehofft. Mit dem Hinweis auf die „entscheidende Rolle des Marktes“ im Jahr 2013 hatten wir den Eindruck, dass dies Wirklichkeit werden könnte. Das ist leider nicht eingetreten. Stattdessen stärkte er den Einfluss der Partei auch in der Wirtschaftspolitik. Ein wahrer Schock war zudem die überaus rigide Covid-Politik, die vor allem die chinesische Mittelklasse und ausländische Unternehmen tief verunsichert hat. Vergleiche mit dem Staatsgründer Mao Tse-tung, wie sie gelegentlich gezogen werden, sind aber unsinnig. Mao hat mit der sogenannten „Kulturrevolution“ Chaos gestiftet und unsägliches Leid über seine Landsleute gebracht, um seine eigene Macht zu erhalten. Xi ist ganz im Gegenteil diszipliniert und berechenbar und stellt die Interessen des Landes in den Vordergrund – auch mit nationalistischen Untertönen.

Roboter-Boxen während einer Industriemesse in Schanghai Anfang November.AFP

Wie lange bleibt Xi denn noch im Amt, und wer folgt auf ihn?

Schwer zu sagen. China ist im Kern eine Leistungsgesellschaft, das gilt auch für die Partei. An die Spitze gelangt, wer sich über längere Zeit, 15 oder 20 Jahre, bewährt hat und erfolgreich war auf niedrigeren Ebenen. China ist keine Erbmonarchie, auch nicht unter der Kommunistischen Partei. Wenn ich wetten müsste, würde ich auf den Premierminister Li Qiang als Nachfolger setzen. Ob ein Wechsel allerdings schon auf dem nächsten Parteitag im Jahr 2027 erfolgen wird, das bleibt abzuwarten.

Li Qiang wurde von Xi Jinping dorthin berufen, er ist ein enger Gefolgsmann des gegenwärtigen Parteichefs.

Ja, aber mit einem anderen Mindset, geschäftlich orientiert und offener für wirtschaftliche Reformen. Gefolgsleute haben nun einmal eine größere Chance, an die Spitze zu kommen, als Außenseiter.

Zurück zu unserem Eingangsthema und der Frage, wie Deutschland sich zu China verhalten sollte. Wirtschaftlicher Austausch umfasst einerseits den Handel von Waren und Dienstleistungen, andererseits Investitionen. Wie viel chinesische Investitionen sind in Ordnung inklusive der Beteiligung an oder sogar der kompletten Übernahme deutscher Unternehmen?

In der Breite halte ich die meisten chinesischen Direktinvestitionen in Europa und Deutschland für unproblematisch und willkommen. Sie schaffen Arbeitsplätze und Einkommen hier bei uns. Dass militärische Bereiche tabu sein sollten, versteht sich von selbst.

Und dann sind da noch die offenbar recht umfangreiche Industriespionage und die Menschenrechtslage in China.

Industriespionage und Menschenrechte muss der Kanzler gegenüber der chinesischen Führung ansprechen. Aber nicht als Allererstes, nicht öffentlich – und schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger, so als müssten wir den Chinesen erklären, was sich gehört und was nicht. Das ist respektlos und unangemessen, wir sollten es einfach sein lassen. Die sensiblen Themen gehören in die diplomatischen Gespräche im kleinen Kreis. Das gilt übrigens auch für den russischen Krieg in der Ukraine. China braucht uns, und wer außer Xi kann Putin in die Schranken weisen? Damit China diese Rolle annimmt und übernehmen kann, müssen sich unser Blick auf China und unsere Chinapolitik von einem zentralen Trugschluss verabschieden – auch wenn es wehtut.

Häufig herrscht immer noch das Bild vor, der wirtschaftliche Aufstieg Chinas seit der Öffnung unter Deng Xiaoping im Jahr 1978 sei mit unfairen Mitteln zustande gekommen. Das stimmt nicht. Tatsächlich ist er das Resultat extrem harter Arbeit der Menschen, enormer Leistungsbereitschaft, mutiger Technologieoffenheit und dem Ehrgeiz, als Erster ins Ziel zu kommen. Wer wie ich seit Jahrzehnten immer wieder in China unterwegs gewesen ist, wurde Zeuge einer auch sozialen Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Mein Eindruck ist, wir fokussieren uns lieber auf die Schattenseiten, vielleicht auch aus Unbehagen über so viel Erfolg. Ich bin überzeugt, dass wir gerade heute viel vom Mut und der Leistungsbereitschaft Chinas lernen können – in unserem eigenen Interesse.

Zur Person

Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Ko-Vorsitzender des Sino-German Centers an der Frankfurt School of Finance & Management. Er hat viele Jahre in China gelehrt und geforscht, etwa an der China Europe International Business School (CEIBS).

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