Volkswagen im Umbruch: Der Golf erlebt eine Renaissance

Eigentlich will der Volkswagen-Konzern mit aller Kraft auf Elektroautos setzen. Aber die Kunden machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Standorte wie Zwickau oder Emden, die VW auf E-Modelle umgestellt hat, sind schwach ausgelastet, weil sich Autos wie der elektrische Kompaktwagen ID.3 oder der Stadtgeländewagen ID.4 nicht verkaufen wie erhofft. Preis zu hoch, Reichweite zu niedrig, Ladenetz zu dünn: Viele Kunden kaufen lieber Verbrenner und könnten damit einer Fabrik unerwarteten Aufwind bescheren, die sonst eher für Auslastungsprobleme steht. Das in Wolfsburg gefertigte Verbrennermodell Golf wird derzeit von Kunden ordentlich nachgefragt – allein: Es fehlt an Komponenten, um genug Fahrzeuge herzustellen.

„Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Trauerspiel“, sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo am Dienstag auf einer Betriebsversammlung im Wolfsburger Stammwerk, wie Teilnehmer berichten. „Die Kundinnen und Kunden wollen unsere Fahrzeuge. Und dann fehlen uns wieder einmal die Teile dafür.“ Die Ansage des Betriebsrats an den Vorstand laute: „Hier im Stammwerk in der Produktion müssen endlich Stückzahlen kommen. Wir laufen hier nicht, wir humpeln immer noch.“ Die Auslastung am Stammsitz hatte 2021 und 2022 den Tiefpunkt erreicht, als jeweils 400.000 Fahrzeuge vom Band liefen, halb so viel, wie die Anlagen hergeben. Vergangenes Jahr stieg die Stückzahl auf 490.000 Fahrzeuge. Dieses Jahr sollen es mehr als 500.000 werden.

Neueste Variante: Der Golf in aktueller Produktion.Reuters

Seit genau 50 Jahren läuft der Golf in Wolfsburg vom Band. Mehr als 20 Millionen Stück hat die Fabrik hergestellt, die mit ihrer Fläche das größte zusammenhängende Autowerk der Welt bildet. Einschließlich der Produktion in anderen globalen VW-Werken kommt das Modell sogar auf 37 Millionen Exemplare. Derzeit läuft eine aufgefrischte Variante der achten Generation vom Band. Auf einem Festakt in den Produktionshallen am Mittellandkanal hatten Management und Betriebsrat zusammen mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erst zu Beginn der Woche das Golf-Jubiläum gefeiert. „Der Golf ist mehr als nur ein Auto, er ist Kult“, sagte der SPD-Politiker vor rund 120 geladenen Gästen. Seit 1974 habe das Modell „maßgeblich zur Stabilität und zum Wachstum von Volkswagen und der niedersächsischen Wirtschaft beigetragen“. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Verkaufszahlen in den letzten Jahren unter Druck standen, auch weil das Kompaktsegment umkämpft ist.

Die Versorgungslage hatte zuletzt immer wieder für Schwierigkeiten gesorgt. Zu den Grundproblemen gehöre im Moment, dass viele Zulieferer ihre Produktion auf Komponenten für die E-Fahrzeuge umgestellt hätten, die jetzt nicht abgerufen würden wie erhofft, heißt es aus Unternehmenskreisen. „Wir werden hier an verschiedenen Stellen ausgebremst.“ Gleichzeitig gibt es immer wieder logistische Schwierigkeiten. Auch das Hochwasser in Süddeutschland könne zu weiteren Problemen führen, weil dort viele Zulieferer säßen, deren Produktion möglicherweise beeinträchtigt sei, heißt es.

„Kriegen Sie die Prozesse in den Griff!“

Cavallo sieht auch Fehlplanungen des Managements. „Das ist deprimierend: Erst holen wir Schwung, dann bremst uns wieder etwas aus. So kriegen wir hier keine Ruhe rein“, sagte sie auf der Betriebsversammlung. An die Adresse des Vorstands fügte sie hinzu: „Kriegen Sie die Prozesse in den Griff! Das muss jetzt endlich mal sitzen. Seit Corona haben wir die Pest am Hals mit fehlenden Teilen.“ Ein Sprecher von VW bekräftigte am Dienstagnachmittag, es sei unverändert das Ziel, in diesem Jahr im Wolfsburger Stammwerk mehr als eine halbe Million Fahrzeuge zu produzieren.

Positiv sieht der Betriebsrat, dass Kunden die VW-Verbrennermodelle grundsätzlich gut nachfragen. Das gilt nicht nur für den Golf, sondern auch für den Stadtgeländewagen Tiguan, der ebenfalls in Wolfsburg produziert wird. Gleichzeitig ist klar, dass die Marktschwäche der E-Autos den VW-Konzern in die Bredouille bringt. Denn Werke wie Zwickau oder Emden sind darauf angewiesen, dass sich der Markt schnell in Richtung E-Mobilität bewegt. Wolfsburg kann hingegen von einer umstrittenen Strategie profitieren, die Cavallos Vorgänger an der Betriebsratsspitze, Bernd Osterloh, seinerzeit durchgesetzt hatte. Statt das Werk schnell zu elektrifizieren, wurde die globale Golf-Produktion dort zusammengefasst. Umso mehr ärgert es die Belegschaft, dass die aktuelle Kundennachfrage die Produktion nicht so stark belebt, wie es die Kapazität eigentlich hergäbe.

Allgemein ist die Situation angespannt, auch weil im Konzern ein Sparprogramm angelaufen ist, das vor allem die Verwaltung betrifft. Dort, im „indirekten Bereich“, will VW die Kosten um 20 Prozent senken. Instrumente für den Stellenabbau wie Altersteilzeit und Abfindungen werden in großer Zahl angenommen, wie Personalvorstand Gunnar Kilian am Dienstag auf der Betriebsversammlung nach Angaben von Teilnehmern berichtete. So sei das Budget für Abfindungen in der Volkswagen AG von rund 900 Millionen Euro schon zur Hälfte durch mehr oder weniger konkrete Vereinbarungen mit Beschäftigten reserviert, hieß es.

Neue Streitpunkte dürften im Herbst aufbrechen, wenn die Verhandlungen über einen neuen Haustarifvertrag von VW in die heiße Phase gehen. In den jüngsten Auseinandersetzungen um das Effizienzprogramm habe das Unternehmen auch Entgelteinbußen ins Spiel gebracht, sagte Betriebsratschefin Cavallo. „Warten wir mal ab, wann sich das Unternehmen positioniert. Und ob das Unternehmen die Giftliste wieder hervorholt. Oder nur Teile davon.“

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