Volkswagen: An diesen Standorten geht jetzt die Angst um

Daniela Cavallo war sichtlich bemüht, den Ernst der Lage klar zu machen. „Alle deutschen VW-Werke sind von diesen Plänen betroffen“, sagte sie in dieser Woche, als sie mehrere Tausend Beschäftigte in Wolfsburg über den Stand der Gespräche mit dem Management informierte. „Niemand von uns kann sich hier noch sicher fühlen!“ Die 49-jährige Arbeitnehmervertreterin machte Überlegungen des Volkswagen-Vorstands öffentlich, mindestens drei Werke in Deutschland zu schließen und Zehntausenden Beschäftigten zu kündigen. Welche Fabriken konkret betroffen sind, bleibt unklar. Doch die Unsicherheit ist überall greifbar.

Insgesamt arbeiten 120.000 Menschen für die Volkswagen AG, die über sechs große Standorte in Westdeutschland verfügt. Im Fokus stehen auch die Werke in Sachsen sowie ein kleiner Standort in Osnabrück, der 2009 nach der Insolvenz des Auftragsfertigers Karmann zu VW kam und in einer eigenen GmbH geführt wird. Thomas Schäfer, Chef der Stammmarke VW, erklärt, dass die Fabrikkosten in Deutschland derzeit 25 bis 50 Prozent über dem angestrebten Niveau liegen. Einige Werke seien doppelt so teuer wie der Wettbewerb. Kernproblem ist die niedrige Auslastung, die das gesamte Produktionsnetz belastet.

Die Autowerke in Niedersachsen

Das größte Werk liegt in Wolfsburg am Stammsitz des Konzerns. Dort arbeiten 62.500 Menschen, vor allem in der Verwaltung und anderen Teilen jenseits der Produktion. 18.000 Beschäftigte sind an den Linien oder angrenzenden Stellen tätig. In diesem Jahr werden wohl etwas mehr als 500.000 Autos vom Band laufen. Der Tiefpunkt vergangener Jahre mit etwa 400.000 Fahrzeugen scheint durchschritten, doch klafft weiter eine große Lücke zu den benötigten 700.000 bis 800.000 Fahrzeugen, um Wolfsburg optimal auszulasten. Aktuell produziert die Fabrik nur die Verbrennermodelle Golf, Tiguan und Touran, ab November auch den neuen SUV Tayron. Während andere Werke schneller auf E-Autos umgestiegen sind, sind Beschäftigte hier froh über die solide Nachfrage nach Verbrennern.

Die Autofabrik in Emden hat dagegen früh auf E-Mobilität gesetzt. Nun bekommen 8000 Mitarbeiter die schwache Nachfrage nach Modellen wie dem SUV ID.4 zu spüren. Die Limousine ID.7, die dort ebenfalls vom Band läuft, findet zwar ordentliche Resonanz. Aber in Summe bleibt die Auslastung zu gering. Ähnlich sieht es in Hannover aus, wo 12.700 Beschäftigte der Marke VW Nutzfahrzeuge das Verbrennermodell T7 Multivan parallel zum elektrischen ID Buzz herstellen. Hier läuft schon ein Stellenabbau, der die Belegschaft auf etwa 10.000 Mitarbeiter reduzieren soll.

Besonders heikel ist die Lage in Osnabrück. Der Standort übernimmt Überlaufproduktion, doch seit Porsche den Auftrag für ein E-Modell zurückgezogen hat, droht den 2300 Beschäftigten die Arbeit auszugehen. Stephan Soldanski, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Osnabrück, berichtet von zunehmend besorgter Stimmung: „Die Mitarbeiter haben nicht nur Sorge um ihren Arbeitsplatz, sondern mittlerweile Angst.“

Die Autofabriken in Sachsen

In Dresden sieht die Situation ähnlich aus. Der kleine Standort, einst unter Ferdinand Piëch für das VW-Luxusmodell Phaeton aufgebaut, beschäftigt heute noch 325 Mitarbeiter, die das kompakte Elektroauto ID.3 in geringer Stückzahl produzieren. Die Entscheidung über die Zukunft der „Gläsernen Manufaktur“ steht aus, doch Überlegungen, die Produktion ganz einzustellen, laufen schon länger.

Weit größer ist das Problem in Zwickau, wo derzeit 9500 Mitarbeiter tätig sind. Dazu gehören etwa 1000 befristet Beschäftigte, deren Vertrag wohl bis Ende nächsten Jahres ausläuft. Zwickau war früher das Vorzeigewerk für VW in der E-Mobilität und produziert ausschließlich E-Modelle wie den ID.3, den Cupra Born, den ID.4 und den Audi Q4 E-tron. Doch die Auslastung liegt aktuell nur bei etwa zwei Dritteln der Kapazität von 360.000 E-Autos im Jahr.

Sollte VW tatsächlich beschließen, die Arbeit an einem so großen und mit Milliarden an Investitionen umgebauten Standort zu beenden oder stark zu verkleinern, wäre das ein „Armutszeugnis“ und ein endgültiges Eingeständnis des Scheiterns der Strategie, warnt ein Manager. Eher stünden kleinere Standorte auf der Kippe. Doch im Unternehmen schließt man derzeit nichts aus. Uwe Kunstmann, Betriebsratsvorsitzender von VW in Sachsen, warnt schonmal vor einem „heißen Winter“. Wenn sich am Vorgehen des Managements nichts ändere, würden die Beschäftigten spätestens am 1. Dezember bundesweit vor die Werkstore ziehen und den Konzern lahmlegen, sagt er.

Die Komponentenwerke

VW hat traditionell eine große Wertschöpfungstiefe und produziert viele Bauteile selbst. Das größte Komponentenwerk mit rund 15.500 Beschäftigten liegt im hessischen Baunatal und stellt wesentliche Teile des elektrischen Antriebsstrangs her. Auch hier spürt man die Flaute im E-Automarkt. Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender, bezeichnet die Drohungen des Vorstands als „Riesensauerei“ und kündigt Widerstand an. Ähnliche Äußerungen kommen aus den Komponentenwerken in Salzgitter und Braunschweig.

In Chemnitz arbeiten Beschäftigte derzeit in Extraschichten an der Montage von Drei- und Vierzylinder-Ottomotoren, die derzeit stark nachgefragt werden. Trotz der hohen Nachfrage fühlen sich die rund 1900 Mitarbeiter unsicher, da große Anschlussaufträge für die erwartete elektrische Zukunft fehlen. Die Fabrik erzielt nach Angaben aus Konzernkreisen mehr als 15 Prozent Rendite und gilt als eines der profitabelsten Werke im Verbund. Doch viele Mitarbeiter befürchten, dass sie zur „Cashcow“ werden, ihre Arbeit also nur solange weitergeht, wie sie hohen Gewinn abwirft, um sie dann zu beenden.

Wie es im Konzern als Ganzes weitergeht und ob tatsächlich Werke schließen, hängt auch von den Verhandlungen über einen neuen Haustarif für die westlichen Standorte ab. Das Management will die Entgelte um 10 Prozent senken, während der Betriebsrat dagegenhält. Die nächste Verhandlungsrunde steht am Mittwoch an.

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