Der große Naturbeobachter Bernhard Malkmus notiert in seinem jüngsten Buch das Aussterben der Arten in Nordengland. „Himmelsstriche“ ist ein melancholisches, persönliches Porträt einer sich drastisch verändernden Landschaft
Viele Vogelarten sind vom Aussterben bedroht
Foto: Imago/McPhoto
Wer heute die Idylle sucht, findet sie vereinzelt im Nordosten Englands, zwischen den Küstenklippen und dem „Dreiflüsseland“, wo sich der River Tyne, River Wear und River Tees ihren Weg durch das satte Grün bahnen. Dabei hat auch diese Gegend einen Teil ihrer früheren Unschuld eingebüßt. Denn tief im hohen Gras trifft man auf verendete Basstölpel. Viele von diesen an der Vogelgrippe krepierten Wesen hat Bernhard Malkmus gesehen und dokumentiert. Entstanden ist daraus nicht nur ein sehr persönliches, oftmals melancholisches Tagebuch, sondern gleichsam das Porträt einer sich drastisch verändernden Landschaft.
Die Brandseeschwalbe mit ihrem eleganten Flug
Dass deren rasanter Wandel insbesondere auf einer expansiven Wirtschaft gründet, macht der Autor in seinem erzählenden Sachbuch Himmelsstriche. Vom Leben der Vögel und Überleben der Menschen deutlich, indem er uns über diverse Umweltsünden vor Ort aufklärt. Neben Chemieabfällen von Werften in Gewässern macht sich ebenso die Zunahme des Schiffsverkehrs seit dem 19. Jahrhundert negativ bemerkbar. Aus Wasserströmen wurden Warenströme, mit all den bekannten und häufig irreversiblen Folgen für die Natur.
Es handelt sich nur um zwei von vielen Beispielen für die „Allgegenwart der Todesschicht, die im Zuge der Industrialisierung des Lebens um den gesamten Planeten gelegt worden ist“ – eine Pathologie, die einerseits aus sichtbaren und nachweisbaren Eingriffen der menschlichen Zivilisation resultiert, andererseits tief in der Kultur angelegt ist. Darüber geben etwa die Lektüren des 1973 in Aschaffenburg geborenen und in Oxford lehrenden Germanisten Aufschluss.
Angelesenes verarbeitet Malkmus direkt in seinem philosophisch-leichtfüßigen Gedankenstrom. Darunter sind die Aufzeichnungen des Ornithologen Bengt Berg, dessen Werk Mein Freund, der Regenpfeifer von 1917 mehrfach den titelgebenden Vogel vermenschlicht, ihn gar „zum Seelenführer“ stilisiert. Obwohl derlei Zuschreibungen sich gegen die traditionelle Entwertung des Tiers wenden, lässt sich die Herrschaftslogik unserer Spezies aus Sicht des Autors nicht leugnen. Wir sind es, die den Mornellregenpfeifer zur Projektion missbrauchen und eben dadurch doch über ihn verfügen.
Gewiss erweisen sich solche Exkurse zu den Auswirkungen unseres Wirkens auf Klima und Artenvielfalt keineswegs als neu. Spätestens seit der mittlerweile ein Jahrzehnt umfassenden Auseinandersetzung der Literatur mit dem Anthropozän liegt ein wichtiger Akzent der Sachbuchsparte auf unserem ökologischen Fußabdruck. Ungewöhnlich und bereichernd mutet indes an, dass die Sensibilisierung für das Thema in Himmelsstriche sicherlich der Vermittlung von Faktenwissen bedarf.
Aber sie braucht noch Weiteres, nämlich die reichhaltige Beschreibung der Landschaft und ihrer tierischen Bewohner. Erst sie rüttelt auf. Sei es die Brandseeschwalbe mit ihrem eleganten Flug und der feinen Jagdpräzision beim Fischen oder die Schwarmbildung des Goldregenpfeifers, erinnernd an eine „eingeschworene Religionsgemeinschaft, die einer arkanen Liturgie folgt“ – gerade in diesen literarischen, zum Staunen anregenden Skizzen jener einzigartigen Fauna kommt die Botschaft auf expressive Weise zum Tragen.
Schöpfung ist nicht abstrakt
Zugleich zeugen jene Passagen von der ebenso in diesem Essay verhandelten Sprachsuche. Wie fassen wir, was uns unzugänglich und fremd ist? Wie überwinden wir den gewachsenen Spalt zwischen der Umwelt und den Tieren? Für Malkmus steht fest: „In Worten werden die Wesen gegenwärtig, mit denen zusammen wir leben. Wenn wir die Worte nicht haben, werden diese Wesen für uns zu bloßen Schemen, deren Weggang wir nicht einmal bemerken.“ Abseits aller stimmigen ethischen Theorien legt dieses Buch dar, dass Pflicht und Moral auch einer emotionalen Ansprache bedürfen. Schöpfung ist nicht abstrakt, wir sind mittendrin – und längst nicht mehr ihre Krone.
Himmelsstriche. Vom Leben der Vögel und Überleben der MenschenBernhard Malkmus Matthes & Seitz 2025, 228 S., 28 €
Himmelsstriche. Vom Leben der Vögel und Überleben der Menschen
Bernhard Malkmus Matthes & Seitz 2025, 228 S., 28 €