Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 50/2024.
Lieber Olaf Scholz,
zuerst einmal: Nett, dass Sie
fragen! Natürlich eigentlich nicht uns hier im Politischen Feuilleton, eigentlich
überhaupt nicht die „Bürger und Bürger“, die Sie oft so neckisch in Ihren Reden
adressieren mit diesem
charakteristischen Doppelmaskulinum. Bei dem haben wir uns in den
vergangenen drei Jahren oft gefragt, was das eigentlich ist – ein verschmitztes
Stilmittel zum Unterlaufen aller Gender-Konventionen oder nur normal
norddeutsches Genuschel? Sie merken: Eigentlich kennen wir Sie gar nicht so
gut.
Was ja nach drei Jahren
Kanzlerschaft schon merkwürdig ist. Und weshalb wir die Vertrauensfrage, die
Sie am Montag dem Parlament stellen wollen, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen,
wie es im Räumdienstdeutsch des Regierungsviertels heißt, stattdessen ganz
wörtlich nehmen und auf uns beziehen wollen. Vielleicht kommen wir ja so noch
ins Gespräch, Sie und wir.
Also: Sind Sie, lieber Olaf
Scholz, eigentlich vertrauenswürdig? Und was bedeutet es für uns alle, falls
nicht?
Dass Sie es schwer hatten und
haben, das sehen wir, keine Sorge. All die Krisen und Katastrophen, zudem eine
politische mediale Öffentlichkeit, die sich in ein kurzatmiges Grundmisstrauen
radikalisiert hat, gerade gegen politisch Verantwortliche wie Sie. Andererseits
braucht es just auf dieser schiefen Ebene, auf der wir uns alle befinden,
verlässliche Bremsklötze und Wellenbrecher, es braucht politische
Vertrauensleute mit – verzeihen Sie die kleine Pointe – Doppel-Wumms
(mindestens). Sind Sie das? Beziehungsweise, minimal anders gefragt: Sind das
Sie?
Es gibt da unsererseits gewisse
Zweifel. Wir wollen jetzt gar nicht mit den ganzen ollen Kamellen ankommen,
aber Sie wissen sicher selbst, dass Ihre Hamburger Altlasten eine gewisse – das
Wort kennen Sie vielleicht aus Bankerkreisen – Hypothek auch für den
Bundespolitiker Olaf Scholz darstellen, nach wie vor. Diese Mischung aus
strategischer Amnesie in Sachen Cum-Ex und Warburg Bank bei gleichzeitig
überpräzisen Einschätzungen der unübersichtlichen Geschehnisse rund um den
Hamburger G-20-Gipfel („Polizeigewalt hat es nicht gegeben“): Das war weiß
Gott nicht förderlich für unser Vertrauen in Sie, in Ihre Aufrichtigkeit, in
die Person Olaf Scholz.
Vielleicht ist das aber auch zu
viel verlangt. Wir müssen einer Person nicht zu 100 Prozent vertrauen, um doch darauf
zu vertrauen, dass sie als Amtsträgerin das Bestmögliche für eine möglichst
große Zahl an „Bürgern und Bürgern“ (sorry) herausholt. Man kennt das aus dem
Sport, die sogenannte Drecksau, die man lieber im eigenen Team weiß als
im gegnerischen. Doch auch hier die Frage: Sind das wirklich Sie, lieber Olaf
Scholz, der Sergio Ramos
von Bundesdeutschland? Vertrauen wir zumindest
darauf, dass Sie für uns „kämpfen“, wie Sie in Ihrer Wahlkampagne nun ständig
versprechen?
Wen wollen Sie für unser Team umtreten?
Sorry, aber wir haben schon
wieder Zweifel. Denn zu einem ehrlichen Kampf würde gehören, dass Sie Ihre
Gegner klar benennen. Gegen wen geht es, wen wollen Sie, um im Fußballbild zu
bleiben, für unser Team umtreten? Konzerne, Vermieter, Reiche, Bürokraten
– Putin? Wir fürchten hier, dass Ihr Kampf eine hohle sozialdemokratische Geste
bleibt, ein Schattenboxen im Sicherheitsabstand zu den eigentlichen Gegnern.
Um unser Vertrauen in den Kämpfer
Scholz sieht es also ebenso schlecht aus wie um das Vertrauen in die Person
Scholz. Doch wechseln wir zuletzt auf ein Spielfeld, auf dem
weniger herb-männlich gebrüllt wird – das liegt Ihnen eigentlich eh nicht
so, oder? Lassen wir den Lautsprecher Scholz dieses Winters und suchen wir
den gewieften und abgeklärten Polit-Profi, der in den Hinterzimmern der Macht
alles im Griff hat: Sind Sie da der, der Sie versprochen haben zu sein? Sind Sie nach
innen so führungsstark, wie Sie es uns angekündigt hatten?
Ledertasche, Knitter-Shirt, Merkel zwei
In Ihr Wahlkampagnen-Bild von
2021 hatten und haben wir ja nach wie vor am ehesten Vertrauen, lieber Olaf
Scholz: ruhig, verschmitzt, lässig, Ledertasche, Knitter-Shirt, Merkel zwei. Erneut
gespürt haben wir es in jenem trügerischen Führungsstärkemoment, als Sie
Christian Lindner drei Jahre später mit einer – wie hinterher allseits
hervorgehoben wurde 😉 – toll vorbereiteten Rede vor die Tür gesetzt haben.
Doch
beim genaueren Nachdenken entglitt uns etwas das Vertrauen in jemanden, der
offensichtlich die tiefe Dysfunktionalität seiner Koalition zu lange still
erduldet, um
dann zur weltpolitischen Unzeit – und wie wir heute wissen: unter
höchstem innenpolitischen Handlungsdruck – zu eskalieren. Das kam für uns
schon ein bisschen spät. Nach all der abgebügelten, weggegrinsten und
schnippisch wegmoderierten Ampelkritik der letzten Jahre. Nach all den
Schulterschlüssen mit Christian Lindner und seiner FDP, die dadurch lange wirkte
wie Ihr Lieblingskoalitionspartner, mit dem man sich gemeinsam der blöden
grünen Ideologen erwehrt. Nicht missverstehen: Wir wissen, dass Politik auch
blickdichte Räume braucht, in denen sich Koalitionäre vertrauensvoll
begegnen und streiten können. Aber wie sollen wir Ihnen jetzt vertrauen, dass
Sie uns rechtzeitig Bescheid sagen, wenn ein Minister eines möglichen Kabinetts
Scholz zwei – nennen wir ihn vielleicht Spens Jahn – im Hintergrund alles
demontiert?
Alles kann anders werden
So steht es also um unser Vertrauen in Sie – gar nicht mal so gut. Doch das Tolle an diesem Staat und seinem politischen System ist, dass es nicht so bleiben muss. Sie können dafür kämpfen, sich Vertrauen zurückzuholen. Vor der Vertrauensfrage, die Sie wahrscheinlich verlieren werden, können Sie mit einer großen Rede im Bundestag womöglich sogar die zwei – einer geht noch – Bürger und Bürger erreichen, die Ihnen hier schreiben. Dass es zwischen Ihnen und uns zwar nicht mehr von vorn losgeht, aber doch immer weiter, und dass alles anders werden kann: Darauf vertrauen wir doch alle. In diesem Sinne: Freundschaft!