Verteidigungspolitik: Der Mythos Drohnenwall

Flughäfen mussten ihren Betrieb wegen Drohnenüberflügen vorübergehend einstellen, deutsche Kriegsschiffe meldeten, dass sie von unbemannten Flugzeugen
ausgespäht wurden, kritische Infrastruktur wie Kraftwerke und auch Rüstungsunternehmen
in Deutschland wurden ebenso
ausspioniert. In den vergangenen Wochen gab es fast täglich Meldungen über
Drohnensichtungen
. In der Nacht zu Freitag flogen Drohnen über dänische Militärstützpunkte.
Auch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern tauchten unbemannte Systeme auf. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte daraufhin: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ 

Laut Merz habe es sich bisher offenbar um unbewaffnete Drohnen gehandelt, die aber mit Spähtechnik ausgestattet seien und bis zu acht Meter
Spannweite hätten. „Wir wissen auch noch nicht genau, wo sie wirklich herkommen“,
sagt Merz. „Die Vermutung liegt nahe, dass sie von Russland kommen.“

Die russischen Provokationen am Himmel und der fortgesetzte „hybride Krieg“ der Machthaber im Kreml gegen den Westen zeigen, wie verwundbar
Europa gegen Drohnenangriffe ist. Die EU-Kommission hat nun in der vergangenen Woche versucht, ein
Zeichen der Stärke zu senden und kündigte
an, einen „Drohnenwall“ errichten zu wollen.

Der Vorschlag wurde jedoch sofort von Experten kritisiert, auch vom deutschen Verteidigungsminister. Denn schon was ein Drohnenwall überhaupt sein soll, blieb vage.

Ein Drohnenwall soll Europa sicherer machen

Aber von Anfang an. In Brüssel berieten am Freitag Vertreter der Mitgliedsländer
über die zunehmende Gefahr durch Drohnen im Luftraum der Union. Sie sprachen
auch über Pläne für einen gemeinsamen Drohnenwall. EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen hatte einen solchen Wall ein paar Tage zuvor ins Gespräch
gebracht. Verteidigungskommissar Andrius Kubilius sollte dafür nun die
Zustimmung der Staats- und Regierungschefs gewinnen. Er stellte erste
Vorschläge der Kommission zur Stärkung der Abwehr von Drohnen vor, bei denen jedoch unklar blieb, wie er technisch bestückt sein und wer über dessen Einsatz entscheiden würde.

Dass hier
alle Staaten der Europäischen Union Nachholbedarf haben, bestreitet so gut wie
niemand. Die Luftverteidigung ist eine große Schwäche der Europäer,
nicht nur gegen unbemannte Systeme, sondern auch gegen Raketen und Marschflugkörper.

Bei der Abwehr von Drohnen allerdings bleiben die Lücken
besonders groß. So gelang es weder Dänemark noch Norwegen in den vergangenen Wochen, unbemannte Kleinflugzeuge über den Flughäfen der Hauptstadt abzuwehren.
Auch in Deutschland konnten die Behörden meist nicht fremde, unautorisierte Drohnen,
die über Kasernen, Häfen, Pipelines, Kraftwerken oder Flughäfen kreisen,
abfangen oder auch nur den Urheber feststellen.

Die Bundesregierung will deshalb die Detektion verbessern. „Wir
brauchen ein klares Lagebild“, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius
Ende der Woche vor Journalisten in Berlin. Er will interoperable Systeme zur Abwehr einsetzen, bei der Bundeswehr sowie den Polizeibehörden. Gegenüber dem ZDF sprach er sich gegen die Pläne der EU-Kommission aus: „Es geht hier nicht um einen Drohnenwall. Einen Drohnenwall wird niemand
innerhalb weniger Monate errichten können. Ein Drohnenwall ist ein
Hightechprojekt, das über Jahre aufgebaut werden muss, damit es
wirklich seine Wirkung entfaltet.“ 

Helfen würde tatsächlich als erster Schritt, die Drohnen frühzeitig zu orten. „Es sollten Multisensorsysteme beschafft werden, die mit
Radaren und anderen Aufklärungsmitteln arbeiten. Und die Technologie muss
hochmobil sein und schnell verlegbar“, sagt
die Juristin Verena Jackson, die am Center für Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München zu Drohnen
forscht. „Es ist utopisch, dass überall ein
Flakpanzer steht.“

Abgeschossen
werden können Drohnen mit Geschützen oder anderen Waffen durch Soldaten ohnehin derzeit nicht einfach. Dafür müsste Gefahr im Verzug sein. Denn um die Bundeswehr im Frieden bewaffnet im Landesinnern einzusetzen, müsste zunächst das Grundgesetz
geändert werden. „Wenn ein gegnerischer
Panzer über unsere Grenze rollt, ist die Lage klar, dann tritt der
Verteidigungsfall ein. Wenn Drohnen in den
Luftraum eindringen oder dort unterwegs sind, ist die Lage nicht so klar, auch
nicht juristisch“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Jackson. Solange nicht der
Verteidigungsfall oder die Vorstufe, der Spannungsfall, ausgerufen und vom
Bundestag bestätigt wurden, darf die Bundeswehr nicht bewaffnet im Inneren
eingesetzt werden. Und dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament,
die es derzeit nicht gibt. Auch für eine Änderung des Grundgesetzes, um der
Bundeswehr mehr Kompetenz bei der Abwehr von Drohnen zu geben, wäre eine solche
Mehrheit im Bundestag notwendig.

Das bisherige Verbot für den Waffeneinsatz durch Soldaten in Deutschland würde auch für einen Drohnenwall gelten, der mit Systemen der Bundeswehr
bestückt würde. 

Warum ein Drohnenwall so schnell nicht funktionieren wird

Die Idee eines Drohnenwalls stammt aus dem vergangenen Jahr. Damals schlug
die Rüstungsindustrie vor, mit ihren Drohnen die Sicherheit zu verbessern. Allen voran das
Unternehmen Helsing, dessen Chef Gundbert Scherf im März 2025 anbot,
binnen eines Jahres einen Drohnenwall aufzubauen. Dafür seien neben Angriffsdrohnen auch Aufklärungssysteme und Satelliten
notwendig. Daraus entstehe eine intelligente Sperre, die feindliche Kräfte bekämpfe,
aber eigene Truppen durchlasse. Der von Scherf vorgeschlagene Drohnenwall richtete
sich damit gegen gegnerische Panzer oder Fußtruppen, nicht gegen Drohnen.

Auch ein Expertenvorschlag zur Verteidigungspolitik aus dem
März 2025 – verfasst von der Unternehmerin Jeannette zu Fürstenberg, dem Ökonomen Moritz Schularick, dem früheren Airbus-CEO Tom Enders und dem Ex-Telekom-Chef sowie Aufsichtsrat von Airbus, René Obermann – beinhaltete die „Etablierung eines weiträumigen Drohnenwalls über
der Nato-Ostflanke zur wirksamen Abschreckung durch echte Masse“.

Der von Ursula von der Leyen nun geforderte Drohnenwall soll allerdings etwas ganz anderes sein, nämlich ein System zur Abwehr unbemannter
Flugobjekte. Sie sprach von „einem Schutzschild für unseren gesamten Kontinent“.

Doch dieses Versprechen ist eine Illusion. „Für die Abwehr
von Drohnen, wie sie derzeit über europäischem Territorium fliegen, ist die
Idee eines Drohnenwalls völlig absurd“, sagt Brigadegeneral
a. D. Helmut W. Ganser. „Man sollte sich von der Vorstellung eines statischen ‚Drohnenwalls‘ im Baltikum verabschieden.“ Bei dem Begriff drängten sich ungute historische
Analogien zum Westwall und der Maginot-Linie auf, mit denen Angriffe nicht
aufgehalten werden konnten.

Zudem sind die unbemannten Systeme, die Russland gegen den
Westen einsetzt, sehr unterschiedlich. Es gibt nicht eine Abwehrmethode, die
für alle Flieger geeignet ist. „Man muss bei der Drohnenabwehr zwei
unterschiedliche Kategorien auseinanderhalten. Das eine ist die Abwehr von
einzelnen Aufklärungsdrohnen oder Schwärmen, die über unseren kritischen
Infrastrukturen fliegen“, sagt Ganser, der nach seinem Dienstende bei der
Bundeswehr als sicherheitspolitischer Publizist und Dozent tätig ist. „Der
massenhafte Drohneneinsatz an der Front in der Ukraine und vermutlich in
künftigen Kriegen ist eine ganz andere Dimension. Hier erhält die Drohnenabwehr
und der Drohneneinsatz mittlerweile eine militärisch-operative Qualität, die
das Kriegsbild fundamental verändert hat.“

Die unbewaffneten Gerbera-Drohnen, von denen Russland im August 20 Stück weit in die Ukraine hineingeschickt hat und die von ihrem Flugverhalten den mit
Sprengstoff bestückten Geran-2 ähneln, mit denen die russischen Streitkräfte fast jede
Nacht zivile Ziele in der Ukraine angreifen, sind so groß, dass sie von Jets
bekämpft werden können, mit Luft-Luft-Raketen oder mit Maschinenkanonen an Bord. Hier gibt es in der EU keinen Mangel.

Auch der Flakpanzer Skyranger, von dem die Bundeswehr 29
Stück bestellt hat, ist in der Lage, diese Militärdrohnen vom Himmel zu holen.
Aber die bislang gekaufte Stückzahl ist viel zu gering. Dazu gibt es
Abwehrdrohnen wie die Systeme von Tytan Technologies aus München. Das Start-up hat jüngst mitgeteilt, den ersten Auftrag der deutschen Beschaffungsbehörde
erhalten zu haben.

Für kleinere Drohnen braucht es andere Methoden, um sie auszuschalten.
Gegen sie können Netzwerfer sowie andere Drohnen zum Abfangen oder auch Störsender,
sogenannte Jammer, eingesetzt werden. Bislang verfügen die noch zuständige Landes- und Bundespolizei allerdings über zu wenig Technik für die Drohnenabwehr – ebenso wie die Bundeswehr.

Ein Wall, also ein starres System, installiert an festen Orten, macht auch hier keinen Sinn. Kleine Drohnen können überall gestartet werden. Ermittler haben bei russischen Saboteuren, die in Bayern festgenommen wurden, bereits solche Drohnen sichergestellt. 

Ein Gürtel ist besser als ein Wall

Sinnvoll wäre eine vielschichtige Flugabwehr, wie sie Israel unter hohen
Kosten und mit großem Aufwand installiert hat. Dort arbeiten mehrere Abwehrsysteme
nebeneinander, um das Land vor verschiedenen Gefahren zu schützen, von Mörsergeschossen
und kleinen Drohnen bis zu Marschflugkörpern und Langstreckenraketen.

So etwas bräuchten auch die Staaten der EU und der Nato. „Es
bedarf vermutlich eines Drohnen-, Flug- und Raketenabwehrgürtels an der Nato-Ostflanke
im breiten Spektrum von der Bekämpfung im engen Nahbereich bis zu großen
Entfernungen“, sagt Helmut W. Ganser. 

Seit dem russischen Überfall auf die
Ukraine und dem dort von beiden Seiten geführten Drohnenkrieg ist in Europa
erschreckend wenig passiert. In Deutschland hat die Bundesregierung Jahre vertan. „Zu lange Zeit wurde zu wenig getan“,
sagt die Expertin Jackson. „Es gab zwar Forschung bei der Bundeswehr, aber
die technischen Mittel zur Drohnenabwehr sind noch nicht in Masse da.“ 

Erste Bestellungen bei Rüstungsfirmen
in den vergangenen Tagen – Netzwerfer- und Abwehrdrohnen wurden bestellt – zeigen zumindest,
dass die Politik verstanden hat, dass sie endlich ins Handeln kommen muss. Weitere Jahre des Zauderns wären fatal.

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