Das Verteidigungsministerium will für die Bundeswehr erstmals moderne und mit Sprengsätzen versehene Angriffsdrohnen bestellen. Die Verträge dafür würden in den kommenden Tagen unterzeichnet, teilte das Ministerium mit. Damit bricht die Bundesregierung mit früheren politischen Entscheidungen, wonach Deutschland nicht über derartige teilautonome bewaffnete Drohnen verfügt.
Bei den Bestellungen soll es um Drohnen gehen, die als „loitering ammunition“, auf Deutsch etwa „herumlungernde Munition“, bezeichnet werden. Solche Systeme steuern von Soldaten vorprogrammierte Ziele selbst an und können dabei für eine gewisse Zeit in der Luft über einer Zielregion ausharren, bis ein Ziel erkannt und attackiert wird. Wenn die Waffensysteme dabei keine Geschosse oder Rakete abfeuern, sondern selbst ins Ziel stürzen und dabei explodieren, wird auch von Kamikaze-Drohnen gesprochen.
Unter den Herstellern solcher Waffen ist unter anderem das deutsche Unternehmen Helsing. Dessen Drohne HX-2 nutzt künstliche Intelligenz, wodurch sie weniger anfällig für gegnerische Störsignale sein soll und nach Herstellerangaben auch bei Ausfällen der Datenverbindung angreifen kann. Deutschland finanziert derzeit eine Lieferung Tausender solcher Drohnen an die Ukraine.
Deutschland liefert Tausende neuartige KI-Drohnen an die Ukraine
Für die Bundeswehr will das Verteidigungsministerium zunächst kleinere Stückzahlen bei zwei Herstellern einkaufen, um Erfahrungen in der Truppe zu sammeln und die praktische Ausbildung zu beginnen. Konkrete Hersteller nannte das Ministerium mit Verweis auf die noch nicht unterzeichneten Verträge zunächst nicht.
Im russischen Krieg gegen die Ukraine spielen solche Drohnen seit geraumer Zeit eine Schlüsselrolle für beide Kriegsparteien. Die deutsche HX-2 ähnelt in ihrem Aufbau etwa stark der russischen Lanzet-Drohne, die auf eine Distanz von Dutzenden Kilometern ukrainische Hochwertziele wie Raketenartilleriesysteme und Flugabwehrstellungen ansteuert. Zeitweise erlitt die Ukraine dadurch hohe Verluste bei diesen vergleichsweise wertvollen Waffensystemen.
Auch bei den inzwischen täglichen Drohnenangriffen Russlands auf ukrainische Städte – sowie den zunehmenden ukrainischen Attacken auf russische Militär- und Energieinfrastruktur – werden Kamikaze-Drohnen genutzt. Dabei handelt es sich allerdings um Langstreckendrohnen mit Reichweiten von bis zu 2.000 Kilometern, mit denen die vom Verteidigungsministerium anvisierten Systeme nur bedingt vergleichbar sind.
FPV-Drohnen für die meisten Verluste im Ukrainekrieg verantwortlich
Eine noch größere Rolle spielen sogenannte FPV-(First-Person-View)-Drohnen. Die kleinen, ursprünglich für den zivilen Gebrauch konzipierten Drohnen sind mit einer Kamera ausgestattet und können vom jeweiligen Piloten in Echtzeit gesteuert werden. Sie werden von beiden Kriegsparteien aufgrund ihrer niedrigen Kosten in sehr hohen Stückzahlen produziert. So visiert die Ukraine für dieses Jahr etwa eine Produktion von mehr als vier Millionen solcher Drohnen an, im vergangenen Jahr war es mehr als eine Million.
FPV-Drohnen sind inzwischen nach Angaben beider Kriegsparteien und unabhängigen Schätzungen für mehr als die Hälfte der jeweiligen Verluste auf dem Schlachtfeld verantwortlich. Sie werden unter anderem zu Aufklärungszwecken benutzt, aber auch, mit einem Sprengsatz versehen, auf gegnerische Waffensysteme wie Panzerfahrzeuge, Stellungen oder auf einzelne Soldaten gesteuert, wo sie explodieren.
Vor allem die Ukraine experimentiert inzwischen mit FPV-Drohnen, die nicht nur Sprengladungen, sondern Waffensysteme wie Granatenwerfer tragen oder als eine Art fliegender Flammenwerfer gegnerische Stellungen verbrennen. Russland hingegen liegt bei der Entwicklung von Drohnen, die an einem langen Glasfaserkabel hängen und somit unabhängig von der Qualität von Funksignalen sind, vorn.
Schnelle Innovationszyklen erschweren die Planung
Das Verteidigungsministerium betrachtet Drohnen im Zusammenhang des Ukrainekriegs als eine Schlüsselentwicklung. So zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus dem Ministerium, Drohnen seien derzeit in ihrer Wirkung vergleichbar mit den ersten Panzern vor 100 Jahren, „ein wirklicher Gamechanger“. Vor allem der Einsatz im Verbund könne entscheidend sein.
Zugleich warnen Experten davor, Drohnen in ihrer Wirkung überzubewerten. Kriege könnten durch sie allein nicht gewonnen werden. Das ukrainische Militär verweist beispielsweise auf die Mitverantwortung des Einsatzes von Drohnen für den seit zwei Jahren anhaltenden weitgehenden Stellungskrieg: Durch die Allgegenwart von Aufklärungsdrohnen stehe die Frontlinie beiderseits unter Dauerbeobachtung, wodurch überraschende Vorstöße kaum noch möglich seien.
Militärexperten verweisen zudem darauf, dass sich Staaten nur bedingt durch größere Bestellungen auf den Einsatz von Drohnen in einem Krieg vorbereiten könnten. Grund dafür sind die sehr schnellen Entwicklungszyklen: Größere Lagerbestände könnten schnell wieder veraltet sein. Im Ukrainekrieg müssen sowohl die Ukraine als auch Russland ihre Drohnen stetig weiterentwickeln, da die jeweilige Gegenseite ihre elektronische Kampfführung zur Störung der gegnerischen Drohnen ebenfalls permanent weiterentwickelt.
Bundesregierung sieht hohes Potenzial bei Loitering Munition
Dennoch setzt die Bundesregierung Hoffnung in die neue Technologie. „Der Einsatz von Loitering Munition minimiert das Risiko für eigene Soldatinnen und Soldaten und erhöht den Schutz eigener Kräfte und Mittel durch Trennung des Bedienpersonals vom System“, schrieb sie im Februar 2024 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zu einer möglichen Beschaffung solcher Drohnen.
Durch ihren Einsatz könne eine „präzise und skalierbare Wirkung in der Tiefe gegen gegnerische Schlüsselfähigkeiten“ erreicht, „die eigene kämpfende Truppe entlastet und deren Durchhalte- und Durchsetzungsfähigkeit grundsätzlich erhöht werden“, teilte die Bundesregierung weiter mit. Zudem gebe es Einsatzmöglichkeiten „im gesamten Einsatzspektrum der Bundeswehr“, also sowohl bei internationalen Kriseneinsätzen als auch bei der Landes- und Bündnisverteidigung.