Verstoß gegen DSA: EU verhängt Geldstrafe von 120 Millionen Euro gegen „X“

Die EU-Kommission hat die Plattform „X“, ehemals unter dem Namen Twitter bekannt, wegen Verstößen gegen den Digital Services Act (DSA) zu einer Geldstrafe von 120 Millionen Euro verurteilt. Das teilte Digitalkommissarin Henna Virkkunen am Freitag in Brüssel mit. Es ist das allererste Mal, dass ein Unternehmen wegen Verletzung dieses Digitalgesetzes zur Verantwortung gezogen wird.

Die Geldbuße ist politisch brisant, vor allem vor dem Hintergrund der trüben Beziehungen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten. Der US-Regierung sind die beiden europäischen Digitalgesetze Digital Markets Act (DMA) und DSA schon lange ein Dorn im Auge. Erst vergangene Woche hatte der amerikanische Handelsminister Howard Lutnick die beiden Gesetze bei einem Besuch in Brüssel heftig kritisiert. Nur wenn die EU DMA und DSA aufweiche, sei Washington zu Zugeständnissen im Handelskonflikt bereit. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Teresa Ribera, sprach daraufhin offen von „Erpressung“. Am Donnerstagabend erneuerte dann US-Vizepräsident JD Vance diese Kritik. Mit Blick auf kursierende Gerüchte zu der drohenden Strafe schrieb er auf „X“, die EU solle Meinungsfreiheit unterstützen, anstatt „amerikanische Unternehmen wegen Müll anzugreifen“. Virkkunen widersprach dem am Freitag deutlich. „Diese Entscheidung hat mit Zensur nichts zu tun“, sagte sie im Gespräch mit der F.A.Z. und anderen europäischen Medien.

Blaue Haken irreführend

Konkret wirft Brüssel der Plattform X drei Verstöße gegen den DSA vor. Erstens: Die „blauen Haken“, die ursprünglich mal zur Verifizierung öffentlich bekannter Personen gedacht waren, seit Ende 2022 aber auch an Profile verteilt werden, die für die Nutzung der Plattform bezahlen, seien irreführend, so Virkkunen. Inzwischen könne jeder gegen Bezahlung den Status „verifiziert“ erhalten, ohne dass das Unternehmen überprüfe, wer sich hinter dem Konto verbirgt, heißt es in einer Mitteilung der Kommission. Dies mache es für die Nutzer schwierig, die Authentizität der Konten und Inhalte zu beurteilen. In der Folge würden Nutzer Betrugsversuchen „böswilliger Akteure“ ausgesetzt. Insbesondere unmittelbar nach der Umstellung hatte es mehrfach Ärger gegeben, weil falsche Konten von Unternehmen und Prominenten plötzlich echt wirkten. Der DSA schreibt zwar keine Nutzerüberprüfung vor, verbietet es Plattformen jedoch ausdrücklich, solch eine zu behaupten, ohne dass sie tatsächlich stattgefunden hat. Diesen Verstoß stuft die Kommission als besonders gravierend ein.

Der zweite Verstoß bezieht sich auf unzureichende Transparenz von Werbung. Plattformen müssen nach dem DSA in einem öffentlichen Verzeichnis unter anderem kenntlich machen, wer für welche Anzeigen bezahlt hat. Diese sind nach Ansicht der Kommission für Forscher und Zivilgesellschaft wichtig, um Betrugsversuche, Bedrohungskampagnen und „gefälschte Anzeigen“ aufzudecken. Das Verzeichnis von „X“ sei aber nicht transparent genug und nur sehr schwierig zu benutzen, so die Kommission. Drittens erlaube die Plattform Forschern keinen ausreichenden Zugang zu Daten – etwa darüber, wie sich bestimmte Inhalte über die Plattform verbreiten, wie oft sie angesehen werden und wie oft der „Gefällt mir“-Button gedrückt wird.

Die genaue Höhe der Strafe bemisst sich unter dem DSA an der Art der Verstöße, ihrer Schwere sowie ihrer Dauer. Theoretisch sind Geldbußen von bis zu sechs Prozent des globalen Jahresumsatzes, im Extremfall sogar eine Abschaltung des Dienstes möglich. „X“ veröffentlicht seit dem Verkauf an Elon Musk keine detaillierten Finanzergebnisse mehr. Schätzungen zufolge war der Umsatz im vergangenen Jahr aber wegen niedrigerer Werbeerlöse dramatisch gefallen. Die Kommission veranschlagt nun für den Verstoß bezüglich der blauen Haken 45 Millionen Euro Geldbuße, für den zweiten 35 und für den dritten 45 Millionen Euro.

Macron: Durchsetzung des DSA „viel zu langsam“

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte zuletzt die Durchsetzung des DSA als „viel zu langsam“ kritisiert. Tatsächlich hatte die Kommission schon im Dezember 2023 das Verfahren eingeleitet und im Juli vergangenen Jahres die drei Verstöße vorläufig festgestellt. Virkkunen sagte am Freitag, die Juristen der Kommission hätten für die endgültige Verurteilung noch Zeit gebraucht. „X“ habe sich im ganzen Verfahren wenig kooperativ gezeigt.

Der deutsche Bundesdigitalminister Karsten Wildberger (CDU) begrüßte am Freitag die aus seiner Sicht „sehr hohe“ Strafe gegen „X“ als „wichtiges Signal“ dafür, dass die Kommission den DSA entschlossen anwendet und „unsere Werte schützt“. Auch Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, die in Deutschland für die Überwachung und Durchsetzung des DSA zuständig ist, begrüßte die Geldstraße: „Die europaweite Zusammenarbeit der nationalen Behörden und der Europäischen Kommission wirkt. Gemeinsam stellen wir sicher, dass Online-Plattformen den DSA einhalten.“

Das US-Unternehmen hat nun 60 Werktage Zeit, Anpassungen anzukündigen. Die EU-Kommission verkündete am Mittwoch außerdem, dass ein ähnliches Verfahren gegen Tiktok, gegen das ebenfalls wegen intransparenter Werbung ermittelt worden war, eingestellt werde.

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