Versorgungssicherheit: Berlin kürzt Pläne zum Bau neuer Gaskraftwerke

Wo kommt der Strom her, wenn die Kohlekraftwerke vom Netz gehen, aber der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Vor allem aus Gaskraftwerken, so die Idee, die nicht nur die derzeitige Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) verfolgt, sondern der auch schon ihr Vorgänger Robert Habeck (Grüne) anhing. Doch die Kapazitäten, die Berlin nun ausschreiben möchte, um deren Bau anzureizen, fallen viel kleiner aus als erwartet – und könnten nicht ausreichen, um die bald im Stromsystem entstehende Lücke zu schließen.

Wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Donnerstagabend nach Beratungen zwischen Union und SPD im Koalitionsausschuss mitteilte, will seine Regierung im kommenden Jahr nur zehn Gigawatt Leistung zur Sicherung der Versorgungssicherheit ausschreiben, die bis 2031 in Betrieb gehen sollen. Davon sollen acht Gigawatt auf wasserstofffähige Gaskraftwerke entfallen. Bedingung ist, dass diese mindestens zehn Stunden am Stück Strom erzeugen können und bis spätestens zum Jahr 2045 „technologieoffen“ dekarbonisiert sind. Das kann theoretisch auch bedeuten, dass ein Teil der Kraftwerke nicht mit Wasserstoff betrieben wird, sondern weiter Erdgas verbrennt, aber mit Anlagen zur Abscheidung des entstehenden Kohlenstoffdioxids (CCS) ausgestattet wird. Acht Gigawatt entsprechen etwa 16 Kraftwerken. Die übrigen zwei Gigawatt sollen technologieoffen ausgeschrieben werden, das heißt, auf die Erbringung der steuerbaren Leistung zur Sicherung der Versorgungssicherheit können sich nicht nur zu erbauende Gaskraftwerke, sondern auch Speicher bewerben.

Zu diesen insgesamt zehn Gigawatt kommen weitere „mindestens“ zwei Gigawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke hinzu, die spätestens 2027 ausgeschrieben werden, bis 2032 in Betrieb gehen und „frühzeitig verpflichtend“ auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Dazu sollen für einen begrenzten Zeitraum Betriebskosten gefördert werden. Mögliche weitere Bedarfe könnten kurzfristig noch 2029 ausgeschrieben werden, heißt es weiter in einem Papier, das die Ergebnisse des Koalitionsausschusses auflistet.

Regierung bleibt weiter hinter den „bis zu 20 Gigawatt“ zurück

Selbst wenn man die Kapazitäten miteinbezieht, deren Ausschreibung noch nicht für das kommende Jahr geplant ist, bleibt die Bundesregierung damit weit hinter den „bis zu 20 Gigawatt“ zurück, deren Bau Schwarz-Rot bis zum Jahr 2030 versprochen hatte. Die Bundesnetzagentur hatte den Bedarf an zusätzlichen steuerbaren Kapazitäten bis 2035 in einem jüngsten Bericht auf 22,4 bis 35,5 Gigawatt beziffert. Damit ist der eigentlich für 2030 angestrebte Kohleausstieg wohl endgültig vom Tisch. „Da helfen keine Schnellboote mehr, sondern nur noch Wunder“, hatte der Chef des Netzbetreibers Amprion , Christoph Müller, schon Anfang September im F.A.Z.-Interview vermutet. Grund sind die langen Lieferzeiten, die Siemens-Energy -Chef Christian Bruch am Freitag auf vier Jahre schätzte.

Zumal ihr die dafür nötige Zustimmung der EU-Kommission immer noch nicht vorliegt. In dem Papier heißt es nur, zum ersten Segment in Höhe von acht Gigawatt strebe man „in den nächsten Tagen“ eine Einigung an. Insgesamt wolle man mit Brüssel „schnellstmöglich zu einer rechtssicheren Verständigung“ gelangen. Die Behörde nehme die Ankündigungen aus Berlin „zur Kenntnis“, hieß es aus dem Berlaymont reserviert. Man werde weiter mit der Bundesregierung über eine Lösung sprechen, welche das Beihilferecht respektiere und gleichzeitig die deutschen Sorgen um die Versorgungssicherheit berücksichtige.

Damit blieben „wesentliche Fragen zur Investitionssicherheit unbeantwortet“, bemängelte der Energieverband BDEW. Damit komme die dringend erforderliche Entlastung unseres Stromsystems zu spät; fehlende regelbare Leistung ließe die Systemkosten steigen, die dann – ähnlich wie beim für drei Jahre beschlossenen Industriestrompreis – durch staatliche Ausgleichszahlungen abgefedert werden müssten, kritisierte auch der Gaslobbyverband.

Uniper: „Akzeptabler Kompromiss“

Der Energiekonzern Uniper, der sich seit der Gaskrise zum allergrößten Teil in Staatshand befindet, bezeichnete die zunächst geplanten acht Gigawatt als „akzeptablen Kompromiss“. Das in Düsseldorf ansässige Unternehmen machte – wie auch schon in der Vergangenheit – deutlich, dass es in den Startlöchern steht, um sich mit rund zwei Gigawatt an den Ausschreibungen zu beteiligen. Im fortgeschrittenen Planungsstadium seien zwei Projekte, eines am Standort Gelsenkirchen-Scholven und eines am Standort Staudinger bei Hanau. Wichtig sei auch, die Kraftwerksstrategie in einen „klaren Gesamtfahrplan“ einzubetten. Die Bundesregierung sieht zusätzlich zur Ausschreibung der Gaskraftwerke einen technologieoffenen Kapazitätsmarkt vor, auf dem Energieversorger schon mit dem Bereithalten von Kapazitäten Geld verdienen können, nicht nur mit der Stromerzeugung. Laut Beschluss des Koalitionsausschusses soll dessen Einführung bis spätestens 2027 verabschiedet und 2032 gestartet werden.

Wenn die Ausschreibungen frühzeitig im kommenden Jahr kämen, könnten erste Anlagen schon im Jahr 2030 den Betrieb aufnehmen, sagte ein Sprecher von Deutschlands größtem Energiekonzern RWE. Das Unternehmen wolle sich „an Ausschreibungen, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen ermöglichen, beteiligen“. Während der Verkündung der Geschäftszahlen zum dritten Quartal am vergangenen Dienstag hatte es geheißen, Genehmigungsplanungen für drei Standorte – Voerde, Werne und Weisweiler – seien weit fortgeschritten. Das Essener Energieunternehmen Steag Iqony , das mittlerweile dem spanischen Unternehmen Asterion Industrial Partners gehört, teilte mit, es sei mit Planungen für ein etwa 880 Megawatt starkes Gaskraftwerk in Bergkamen weit fortgeschritten.

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