Verschlafene Sozialpolitik: Warum gerade oft junge Leute wohnungslos sind

Ein Großteil der Wohnungslosen in Deutschland ist jünger als 25 Jahre. Martin Kositza, Sprecher der „BAG Wohnungslosenhilfe“ weiß, warum es sie so häufig trifft und auch, dass die Sozialpolitik der schwarz-roten Bundesregierung die Lage noch verschärfen wird.

der Freitag: Deutschland ist Stand jetzt noch ein Sozialstaat. Somit gibt es viele Hilfsangebote, bei denen auch die Wohnkosten übernommen werden. Es muss also eigentlich niemand in Deutschland auf der Straße landen.

Martin Kositza: Natürlich muss im Idealfall niemand wohnungslos sein. Leider ist das aber nicht so. Zum einen steigen die Zahlen der Menschen, die arbeiten und trotzdem wohnungslos sind. Zum anderen sehen wir in den Großstädten, dass es zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten gibt, und schon heute Menschen, wegen überfüllter Unterkünfte, weggeschickt werden. Gleichzeitig wissen viele nicht, wo sie sich hinwenden können, wenn sie wohnungslos sind. Das betrifft gerade die unter 25-Jährigen. Viele waren, bevor sie in den Unterkünften ankamen, bei der Jugendhilfe. Die müssen sie mit spätestens 21 Jahren verlassen, und häufig ist die Schnittstelle von der Jugendhilfe zur Sozialhilfe nicht gut geregelt, weshalb junge Menschen anschließend auf der Straße landen.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes, sind unter den Wohnungslosen knapp 40 Prozent unter 25 Jahre alt. Das sind rund 195 000 Menschen. Wer sind diese jungen Leute?

Insgesamt ist die Zahl so hoch, weil unter den Personen in Unterkünften sehr viele geflüchtete Familien sind. Die jungen Menschen im Hilfesystem, die wir erfassen, kommen meist aus prekären Hintergründen, sind bereits von Armut betroffen und haben in dem Alter natürlich noch keine finanziellen Absicherungen. Dabei ist der Hauptgrund, warum sie auf der Straße landen, der Auszug bei den Eltern. Was aus verschiedenen Motivationen heraus geschehen kann. Von den jungen Menschen, über die wir Daten haben, haben viele keinen Schulabschluss oder einen Hauptschulabschluss. Häufig auch gar keine berufliche Qualifizierung und keine Eltern, die finanziell einspringen können.

Zudem sind auffällig viele weiblich.

Das liegt unter anderem daran, dass sich Frauen tendenziell früher Hilfe suchen als Männer und früher ausziehen. Allerdings ist ein Faktor auch häusliche Gewalt, bei der Frauen schnell die Wohnung verlassen müssen.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen auch, dass Menschen, die erst einmal wohnungslos sind, meistens zwischen ein bis zwei Jahre wohnungslos bleiben. Jetzt sprechen wir über Menschen am Beginn ihres Erwachsenwerdens.

Da müssen wir nicht viel forschen: Es ist klar, dass es sich um eine entscheidende Lebensphase handelt. Es geht um den Berufseinstieg, den Weg in die Selbstständigkeit. Hierbei ist die Wohnung die Basis für alles Weitere. Gerade wenn jemand keine gute Schulbildung hat und schließlich auch wohnungslos ist, kann sich derjenige natürlich viel weniger darauf konzentrieren, sich weiterzubilden, um damit in Zukunft ein sicheres Einkommen zu haben, weil eben die Basis der Wohnung fehlt.

Wie Sie bereits angesprochen haben, sind die Zahlen des statistischen Bundesamtes unter anderem so hoch, weil unter den jungen Menschen viele Geflüchtete sind. Zum Beispiel sind dort ein Drittel geflüchtete Ukrainer aufgelistet. Haben wir also gar kein so großes Problem mit wohnungslosen Jugendlichen, sondern mit der Integration von Geflüchteten?

Wenn Menschen hierherkommen und noch nie hier gelebt haben und auf diesen Wohnungsmarkt treffen, dann führt das natürlich zu Schwierigkeiten. Gerade bei größeren Familien ist es schwierig, bei dem aktuellen Wohnungsmarkt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wenn wir auf unsere Zahlen schauen, dann ist der Anteil an unter 25-Jährigen bei den Wohnungslosen deswegen geringer, als in der Statistik des Bundesamtes.

Jetzt ist es nicht nur für junge Leute aus prekären Verhältnissen schwierig, eine Wohnung zu finden. Nach einer Studie von „YouGov“ ist für ein Viertel der Deutschen das Thema Mieten eines der drängendsten Probleme.

Auch für uns ist bezahlbarer Wohnraum aktuell die dringlichste Aufgabe. Denn die Voraussetzung, dass unsere Hilfe erfolgreich ist, ist bezahlbarer Wohnraum. Mit bezahlbar meinen wir aber, bezahlbar für die Menschen, die es betrifft, und nicht nur für die Mittelschicht. Hier sehen wir ein riesiges Problem und das schlägt sich nieder in Meldungen, dass junge Menschen immer länger zu Hause wohnen bleiben, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden. Und dabei reden wir noch gar nicht über jugendgerechte Wohnungspolitik. Also die Frage: Welche Infrastruktur brauchen junge Menschen? Das wäre eine Aufgabe, der man sich dringend annehmen muss.

Teilweise gibt es Lösungsansätze, bei denen etwa Rentner mit Studierenden zusammenwohnen, weil viele Rentner alleine in relativ großen Wohnungen leben.

Es spricht nichts gegen solche Ideen, aber es ist nicht die Antwort auf das Problem. Denn auch junge Menschen haben das Recht, in die Selbstständigkeit zu gehen, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Hier geht es nicht darum, dass junge Menschen alleine in einen Vier-Zimmer-Palast ziehen, sondern um kleine Wohnungen und Wohngemeinschaften. Aber auch für WGs braucht es bezahlbaren Wohnraum. Mittlerweile werden dort teilweise Summen für ein Zimmer gezahlt, wofür man früher eine eigene Wohnung haben konnte.

Auf die Frage, wie das Problem grundlegend gelöst werden kann, spricht die CDU etwa meist von: Bauen, bauen, bauen.

Die Hoffnung ist, wenn man mehr baut, fällt auch etwas für die anderen ab. Aus meiner Perspektive funktioniert Trickle-down beim Wohnen, genauso wie beim Reichtum, nicht. Profitorientierte Wohnungsbaugesellschaften schauen auf Rendite und Ausschüttungen an Aktionäre. Deswegen lohnt sich günstiger Wohnraum für sie nicht. Es braucht den Staat. Der darf sich nicht, wie in den letzten 30 Jahren, im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zurückziehen, was zu einer Wohnungsnot geführt hat. Sondern muss landeseigene Baugesellschaften, Genossenschaften und gemeinnütziges Wohnen stärken.

Der Gesamtaufgabe, der Wohnungslosigkeit möchte sich die Bundesregierung mit dem „Nationalen Aktionsplan“ widmen. Nur klingt der eher nach „Wir möchten darüber reden“ als nach Aktion.

So könnte man das vielleicht auch formulieren. Aktuell werden in dem Plan vor allem Maßnahmen gebündelt, Schnittstellen bei der Jugendhilfe angeschaut und Wissen über die Hilfssysteme gesammelt. Zudem wird dort auch geschaut, welche Rechtsansprüche besser durchgesetzt werden können. Allerdings braucht es konkretere Maßnahmen und dort geschieht bisher nicht genug. Denn selbst wenn wir das bisherige System optimieren, soweit es geht, können wir trotzdem den Menschen nicht helfen, wenn die Sozialarbeitenden keine bezahlbare Wohnung mit den Menschen finden.

Für konkretere Maßnahmen sieht es allerdings schlecht aus. Beim Thema Sozialstaat redet Friedrich Merz von einem Abbau des Sozialstaats. Der wahrscheinlich auch bald die Wohnungslosenhilfen erreichen wird.

Bisher hören wir von unseren Mitgliedern, dass vor allem über Kürzungen geredet wird, sie allerdings in der Praxis häufig noch nicht umgesetzt sind. Die Kürzungsgedanken gehen häufig um die Frage, ob nicht drei statt vier Anlaufstellen für Wohnungslose reichen würden. Diese bevorstehenden Kürzungen werden zur Folge haben, dass es mehr wohnungslose Menschen gibt und sich die Situation insgesamt verschärfen wird.

Mit Blick auf den „Nationalen Aktionsplan“ und die bevorstehenden Kürzungen. Was sind Ihre Forderungen als Verband?

Es braucht eine Kooperation zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe, damit junge Menschen bei dieser Schnittstelle nicht mehr auf der Straße landen. Es braucht Konzepte und Planung. Aber grundlegend braucht es flächendeckende Hilfsangebote und Präventionsmaßnahmen, wie Beratungsstellen.

Martin Kositza wurde 1973 in Berlin geboren. Er studierte Soziale Arbeit und hat einen Master in Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Er arbeitete lange in der Jugendhilfe, ist seit 2021 Fachreferent bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. und dort unter anderem für das Thema junge Menschen in Wohnungsnot zuständig.

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