Verordneter Gleichklang – Wie Kovac die Pleite störungsfrei umdeutet

Krise? Welche Krise? Das Debüt von Niko Kovac bei Borussia Dortmund endet mit einer verdienten Niederlage. Der Trainer hätte viel zu kritisieren, doch er tut das Gegenteil. Ihm ist die gefährliche Lage von Mannschaft und Verein bewusst.

Das Spiel konnte Niko Kovac nicht mehr gewinnen – also versuchte er zumindest noch, sich die Deutungshoheit über das Zustandekommen der Niederlage zu sichern. Direkt nach dem Schlusspfiff sowie der obligatorischen Verabschiedung von den Fans auf der Südtribüne beorderte der neue Trainer von Borussia Dortmund seine Spieler in die Kabine. Nach einigen Minuten traten sie wieder aus den Stadion-Katakomben hervor, stellten sich den Fragen der Reporter – und verkündeten im Gleichklang ihre Botschaft. Sie lautete: Das Ergebnis tut weh, aber das Spiel macht Mut.

„Es ist maximal bitter gelaufen“, sagte Innenverteidiger Waldemar Anton nach dem 1:2 (0:0) gegen den VfB Stuttgart – der bereits achten Saisonniederlage des BVB. Doch es sei „Laufbereitschaft und Leidenschaft und Zweikampfbereitschaft“ zu sehen gewesen. „Es waren viele gute Ansätze dabei. Das sollten wir mitnehmen“, erklärte der Nationalspieler, der mit einem Eigentor (50. Minute) die Dortmunder in dem wichtigen Spiel gegen den Konkurrenten um die Champions League-Plätze auf die Verliererstraße gebracht hatte. Auch das sei natürlich „maximal bitter“ gewesen, so Anton: „Aber ich finde, wir haben trotzdem ein ordentliches Spiel gemacht.“

Lesen Sie auch

Das positive Denken, das Anton und seine Kollegen zur Schau stellten, wirkte verordnet – und das war es wohl auch. Kovac, der als erfahrener Trainer weiß, wie wichtig es ist, dass sich eine Mannschaft in einer schwierigen Situation nicht zerfleischt, dürfte den Spielern diese Sichtweise nahegelegt haben: bloß keine Selbstzweifel erkennen lassen. Er deutete die Niederlage anlässlich seines Debüts kurzerhand um: zu einem Beleg, auf dem richtigen Weg zu sein – wenn auch ohne das vermeintlich verdiente Ergebnis.

Didi Hamann: „Das war kein Pech. Sie haben verdient verloren“

„Wir hätten hier nicht als Verlierer vom Platz gehen dürfen. Ich finde, dass wir über neunzig Minuten von der Leistungsbereitschaft, vom Einsatz und vom Willen her vieles richtig gemacht haben. Wir haben den Gegner kontrolliert“, erklärte Kovac, der erst am vergangenen Sonntag von Interimstrainer Mike Tullberg übernommen hatte. Gehakt habe es lediglich daran, „die richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn wir in den Strafraum des Gegners kamen“, so der 53-Jährige. Deshalb tue die Niederlage „natürlich weh, weil sie unglücklich war“, erklärte er. Doch die Spieler hätten „Verantwortung übernommen. Ich habe gesehen, dass hier jeder hundert Prozent gegeben hat.“

Diese Einschätzung musste naturgemäß Widerspruch hervorrufen. Auch von Didi Hamann, der als Experte für Sky den BVB regelrecht zerlegte – mit fast schon philosophisch anmutenden Formulierungen. „Das war kein Pech und auch nicht fehlendes Glück. Sie haben verdient verloren“, sagte er nach dem bereits fünften sieglosen Dortmunder Bundesliga-Heimspiel in Folge. Damit legte Hamann den Finger in die Wunde: Das, was Kovac als Erklärung heranführte, reichte nicht aus. Der BVB konnte die Stuttgarter lediglich für kurze Zeit unter Druck setzen – unmittelbar nach der Pause, als Karim Adeyemi zwar zwei gute Chancen herausspielte, sie aber auch völlig überhastet vergab.

Es waren auch nicht die durchaus umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen, die zu dieser Niederlage geführt hatten – wie die vermeintlich doch strafbare Abseitsstellung vor dem 0:2 durch Jeff Chabot (61. Minute). Es waren vielmehr das verzagte Auftreten der Schwarz-Gelben, die immer wiederkehrenden Fehler. Und die deutlich erkennbare Verunsicherung. In der Schlussphase sah Julian Ryerson die Gelb-Rote Karte, weil er sich zu heftig wehrte, nachdem ihn Angelo Stiller festgehalten hatte. Für die Dortmunder war es bereits der sechste Platzverweis der Dortmunder in der laufenden Saison, was nicht gerade ein Ausdruck von Nervenstärke ist.

Es würde Chaos drohen …

Die Wahrscheinlichkeit, dass Kovac all dies ebenfalls äußerst kritisch bewertet, dürfte hoch sein – allerdings darf er das auf keinen Fall so sagen. Denn das könnte fatale Folgen haben.

Der BVB befindet sich in einer gefährlichen Lage. Im Verein knirscht es. Am Donnerstag wurde der Technische Direktor Sven Mislintat gefeuert. Es hatte intern mächtig Ärger gegeben, weil Berater Matthias Sammer die Mannschaft öffentlich vernichtet („körperlich und mental in einer Nicht-Verfassung“) und damit die Trennung von Cheftrainer Nuri Sahin quasi vorweggenommen hatte. Sammer soll auf Drängen von BVB-Sportgeschäftsführer Lars Ricken nun keine Spiele mehr mit Dortmunder Beteiligung für das TV kommentieren.

Lesen Sie auch

In den vergangenen drei Partien hatte Interimstrainer Mike Tullberg einspringen müssen. Unter ihm gelang es immerhin, vier Punkte aus zwei Bundesligaspielen zu holen und die Champions League-Partie gegen Donezk zu gewinnen. Doch den Spielern, denen in den vergangenen Monaten nicht nur Sammer, sondern vor allem auch von den Fans immer wieder die Mentalität abgesprochen worden war, ist die Verunsicherung weiterhin anzusehen. Wenn nun Kovac, ihr vierter Trainer innerhalb von neun Monaten, auch nur leise Zweifel an ihnen durchschimmern lassen sollte – es würde Chaos und die Gefahr eines Absturzes ins Bodenlose drohen.

Und jetzt auch noch Englische Wochen

Also gibt Kovac den Mutmacher, den Beschwichtiger – in der Hoffnung, dass sich Verein, Team und Fans hinter ihm versammeln. Nur so kann vielleicht doch noch die Trendwende gelingen – selbst wenn sie nach diesem Samstag nicht unbedingt wahrscheinlicher wird. Die Dortmunder hängen auf Platz elf fest. „Am Ende steht der Fakt, dass wir verloren haben. Dann brauchen wir natürlich nicht mehr darüber reden, wie wir verloren haben. Es fehlen Punkte und wir stehen in der Tabelle nicht gut da“, sagte Kehl.

Kovac versucht zu beeinflussen, was er in Zeiten der nun wieder einsetzenden Englischen Wochen, in denen kaum trainiert werden kann, überhaupt beeinflussen kann. Schon am Dienstag muss der BVB das Hinspiel in der Play-Off-Runde der Champions League bei Sporting Lissabon bestreiten. Bis dahin will er die Spieler irgendwie starkreden – auch wenn das in der öffentlichen Wahrnehmung zulasten seiner Glaubwürdigkeit gehen könnte.

Source: welt.de

Borussia DortmundDietmarHamannKovacNikotexttospeechVfB Stuttgart