Das neue EU-Regelwerk für den Führerschein ist unter Dach und Fach. Das Plenum des Europaparlaments hat am Dienstag in Straßburg endgültig einer Gesetzesreform zugestimmt, welche die Parlamentsunterhändler im März mit den Vertretern der Mitgliedstaaten ausgehandelt hatten. Der Ministerrat hat schon zuvor zugestimmt. Mit dem Kompromiss von Rat und Parlament ändert sich an den Regeln weniger, als es die EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgeschlagen hatte. Viele Vorschriften, welche die Kommission in der EU vereinheitlichen wollte, werden weiter national geregelt.
Vom Tisch ist etwa der Vorschlag, von allen Autofahrern im Alter von 70 Jahren an alle fünf Jahre einen einheitlichen Nachweis über ihre Gesundheit zu verlangen. Das soll der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Vereinheitlicht werden aber Gesundheitsvorschriften, wie sie in Deutschland schon bestehen, etwa ein Sehtest und eine Selbstauskunft über gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Mitgliedstaaten können Gesundheitstest abfordern
Flexibel geregelt bleibt die Gültigkeitsdauer des Führerscheins. Generell gilt – wie heute schon in Deutschland – eine Dauer von 15 Jahren. Von dieser Regelung können die Mitgliedstaaten nach unten abweichen und eine Dauer von zehn Jahren einführen. Sie können ferner entscheiden, ob sie bei einer Verlängerung des Führerscheins zusätzliche Gesundheitstests abfordern. Wie bisher schon in Deutschland soll künftig in der ganzen EU das Fahren „in Begleitung eines erfahrenen Beifahrers“ schon mit 17 Jahren möglich werden. Auch eine Probezeit von zwei Jahren für unerfahrene Fahrer gilt künftig EU-weit. Wer in dieser Zeit unter Alkoholeinfluss fährt oder die Gurtpflicht missachtet, muss mit einer besonders schweren Strafe rechnen.
Gelockert werden einige Altersgrenzen für den Erwerb des Führerscheins. So sinkt das Mindestalter für Lkw-Fahrer von 21 auf 18 Jahre, bei Busfahrern von 24 auf 21 Jahre. Beides wird damit begründet, dass sich so der Fachkräftemangel abmildern lässt. Wohnmobilfahrer dürfen nach einem Training künftig Fahrzeuge bis 4,25 Tonnen steuern.
Regeln für schwere Verstöße werden vereinheitlicht
Vereinheitlicht werden vor allem jene Regeln, die schwere Verstöße gegen die Verkehrsvorschriften betreffen, etwa Trunkenheit am Steuer oder extremes Rasen. Solche Delikte sollen künftig mit einem EU-weiten Fahrverbot belegt werden können. Ein solches Fahrverbot soll künftig von den Behörden jedes Mitgliedstaates ausgesprochen werden können, unabhängig davon, wo der Verstoß begangen wurde. Für weniger gravierende Vergehen bleiben aber allein die Behörden des Landes zuständig, in dem sich der Verstoß ereignet hat. Sie können die Delikte schon bisher grenzüberschreitend mit Geldbußen verfolgen.
Auch ein EU-weites Punktesystem ist nicht vorgesehen. Die Behörden sollen nur Informationen zu schweren Verstößen untereinander austauschen. Dies soll durch die prinzipiell vorgesehene Einführung eines digitalen Führerscheins einfacher werden. Diesen sollen die Autofahrer von 2030 an über ihr Smartphone abrufen können.
Der digitale Führerschein soll nach dem Vorbild der digitalen Bankkarte und des Personalausweises funktionieren. Das Beantragen eines physischen Führerscheins, also einer Karte, soll aber möglich bleiben. Die zuständige Parlamentsberichterstatterin Jutta Paulus (Grüne) hob hervor, dass „die volle Wahlfreiheit zwischen einer App und einer physischen Karte“ erhalten bleibe.
Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber lobte, dass sich das neue Regelwerk auf besonders schwere Delikte konzentriert. Ihm sei wichtig gewesen, dass keine Urlauber von einem EU-weiten Fahrverbot betroffen würden, die aus Unkenntnis lokaler Regelungen eine geringfügige Strafe im Ausland bekommen. Wer aber im Ausland durch einen gravierenden Verkehrsverstoß auffalle und seinen Führerschein verliere, der sei auch zu Hause eine Gefahr für den Verkehr. „Dass in diesen besonders schweren Fällen die gegenseitige Anerkennung vom Führerscheinentzug nicht längst möglich ist, ist angesichts des grenzenlosen Verkehrs in Europa nicht vermittelbar.“ Die CDU/CSU habe sich außerdem Bestrebungen für ein harmonisiertes europäisches Punktesystem entgegengestellt. „Die nationalen Systeme sind auch heute schon ausreichend und für die Bürger besser verständlich.“
Die SPD-Parlamentarierin Vivien Constanzo nannte das neue Regelwerk einen „entscheidenden Fortschritt auf dem Weg zu ‚Vision Zero‘ – dem Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 zu halbieren und langfristig auf null zu senken“. Niemand solle in der EU mehr sein Leben auf der Straße verlieren, weil Regeln unklar seien oder ihre Durchsetzung an Landesgrenzen scheitere. Europa gelange damit „einen großen Schritt näher an die Vision von null Verkehrstoten.“