Verhandlung vor Bundesgerichtshof: Werden Wirecard-Aktionäre doch noch entschädigt?

Mehr als fünf Jahre nach der Pleite des ehemaligen Dax-Konzerns Wirecard befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag mit einer brisanten Frage. Der neunte Zivilsenat muss darüber entscheiden, ob Aktionäre eines Unternehmens in einem Insolvenzfall wie Gläubiger zu behandeln sind. Nur dann könnten ihre Schadenersatzforderungen an der Insolvenzmasse beteiligt werden.

In dem Rechtsstreit klagt der Vermögensverwalter Union Investment gegen den Münchner Rechtsanwalt Michael Jaffé, den Insolvenzverwalter von Wirecard. Ein weiterer Beklagter ist der gemeinsame Vertreter der Gläubiger einer von Wirecard ausgegebenen Schuldverschreibung über 500 Millionen Euro (Az. IX ZR 127/24).

Rangfrage im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt des Streits steht die Rangfrage insolvenzrechtlicher Forderungen. Mit der im Jahr 2021 am Landgericht München I eingereichten Klage macht Union Investment Forderungen in Millionenhöhe geltend. Der Vermögensverwalter untermauerte seine Forderung unter anderem mit 70 Veröffentlichungen und Aussagen von Wirecard-Managern aus den Jahren 2014 bis 2020, die aus seiner Sicht irreführend und betrügerisch waren.

Vor allem will sich Union Investment mit eigenen Forderungen im Insolvenzverfahren nicht hinter die Gläubigerbanken einreihen. Denn Anteilseigner stehen nach der Insolvenzordnung an letzter Stelle, wenn überhaupt noch etwas aus der Insolvenzmasse zu verteilen ist.

Union Investment hatte sein Engagement in Wirecard nach dem 28. April 2020 drastisch reduziert. An diesem Tag eröffnete die Aktie mit 126,98 Euro und schloss mit 100,28 Euro. Mit dem Ausstieg reagierte der Vermögensverwalter aber nicht nur auf den Kursrutsch von Wirecard. „Wir wurden skeptisch, als der KPMG-Sonderbericht herauskam“, sagte Hans Joachim Reinke, Chef von Union Investment, im Juli 2020 im Gespräch mit der F.A.Z., nur wenige Wochen nach dem Insolvenzantrag von Wirecard. Ganz ohne Verluste kam man doch nicht aus dem Fall heraus.

9,8 Millionen in Insolvenztabelle

Während in früheren Berichten von bis zu 243 Millionen Euro Schadenersatz die Rede war, schaffte der BGH mit einer Mitteilung im Vorfeld der Verhandlung Klarheit: Demnach kaufte Union Investment bis zum 12. Juni 2020 Aktien von Wirecard auf dem Sekundärmarkt und verkaufte diese zum großen Teil wieder. Am 18. Juni 2020 hielt die Klägerin noch 73.345 Aktien des Zahlungsabwicklers aus Aschheim bei München. Insgesamt habe Union Investment etwas mehr als 9,8 Millionen Euro als einfache Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet, heißt es in der Mitteilung des Gerichts.

Das Landgericht München I hatte die Klage abgewiesen. Vor dem Oberlandesgericht bekam der Kläger hingegen Recht. Mit seiner Revision geht Jaffé nun gegen die Entscheidung in zweiter Instanz vor. Die Anerkennung der Ansprüche der Aktionäre dürfte das Insolvenzverfahren maßgeblich beeinflussen. 50.000 Anteilseigner von Wirecard haben Schadenersatzforderungen in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle angemeldet. Insgesamt liegen dem Insolvenzverwalter Forderungen von rund 15,4 Milliarden Euro vor. Der Wert der Insolvenzmasse beträgt jedoch nur 650 Millionen Euro.

Jaffé stützt sich auf Gutachten

Wie schon in anderen Rechtsstreitigkeiten gibt sich der Insolvenzverwalter vor der Verhandlung zurückhaltend. In seinen halbjährlichen Sachstandsberichten an das Insolvenzgericht und den Gläubigerausschuss weist Jaffé bereits seit Längerem auf das Risiko der Klage und die ungeklärten Rechtsfragen hin.

„Entscheidend für die Forderungsfeststellung wird sein, ob diese aktienrechtliche Vermögensbindung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen getäuschter Aktionäre ausschließt und was darüber hinaus für den Fall eines eröffneten Insolvenzverfahrens zu gelten hat”, hieß es bereits in der frühen Phase seiner Tätigkeit. Noch im Juni 2025 schreibt Jaffé von einer „besonderen Herausforderung“ des Insolvenzverfahrens.

Auszahlung von Gewinnen

Er stützt seine Position auf mehrere Gutachten, darunter auch das von dem Mannheimer Rechtsprofessor Markus Gehrlein. Dieser war bis zu seinem Ausscheiden zum Jahresende 2020 Teil des auf Insolvenzrecht spezialisierten neunten Zivilsenats. Gehrlein vertritt die Auffassung, dass die Forderungen der Aktionäre nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden können, sondern nur bei der Schlussverteilung berücksichtigt werden, da ansonsten der Gläubigerschutz den Anlegerschutz in der Insolvenz verdrängen würde. In seinem Gutachten aus dem Jahr 2021 heißt es, die Haftung wegen unrichtiger Kapitalmarktinformationen könne nur aus den Gewinnen und freien Rücklagen der Gesellschaft bestritten werden.

Ob die BGH-Richter schon am Donnerstag eine Entscheidung verkünden werden, steht noch nicht fest.

AktienAktionäreDAXEuroFGesellschaftGutachtenHansInsolvenzInsolvenzrechtJoachimJuliKarlsruheMANMarkusMichaelMünchenRechtRichterSchadenersatzTAGUnionWillWirecardZ