Verdis „Troubadour“ in Stuttgart von Paul-Georg Dittrich: Schöner sterben – WELT

Zwei mit dem Staub der Geschichte gezeichnete Knaben im Dauerwettkampf. Dann singende Kinder auf rostigen Spielgeräten, die von einem verdrucksten Blondling animiert werden, sich eine grauenvolle Moritat von entführten, vertauschten und verbrannten Babys anzuhören. Michale Nagl als Ferrando deklamiert das mit Verve. Doch plötzlich sind die Kids durch eine wilde Brigade vierschrötige Kerle ersetzt.

Da windet sich einer auf der Wippe als Streckbank, andere überprüfen ein letztes Mal die Schlingen am Schaukelgalgen. Und schon sind die Symbolbilder von eben ein Tableau brutaler Realität. Das natürlich nur gestellt ist. Und dazu wispert und tändelt die Musik, wiegen sich Geigen in frivolem Rhythmus, scheinbar komisch und doch sehr zynisch böse.

So fängt an der Staatsoper Stuttgart ein Musiktheater an, das man eigentlich nicht inszenieren kann: Giuseppe Verdis „Il trovatore“. Schwierig sowieso schon die unlogisch-fetzenhaft ausgestellte Geschichte der verfeindeten Brüder, die voneinander nicht wissend die gleiche Frau lieben und deren einer die (Zieh-)Mutter des anderen foltert. Ein blutiges Splatterdrama aus dem finsteren mittelalterlichen Spanien, mit furios fabelhafter, immer noch immens populärer Musik gleichwohl. Fast jede Nummer ein Hit, allerdings schwer zu singen, blöderweise auch mit ausgewalzten Szenen im „Zigeuner“-Lager. Das Unwort kommt in der schwäbischen Übertitelung nur durchgestrichen oder in der französischen Übersetzung als „Gitane“ vor.

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Auch keine Lösung. Wie es Paul-Georg Dittrichs Inszenierung im Verlauf nicht gelingt, die absurde Geschichte stur und böse als eine Abfolge isolierter Bilder aus dem getrübten Hirn des traumatisierten Militärbolzen Graf Luna zu zeigen, der dem ebenfalls der Hofdame Leonore nachsteigenden Troubadour Manrico nach dem Leben trachtet. Da tauchen immer wieder Doubles und Artisten auf, deren Breakdance und Schaukämpfe nur ausgestellt wirken, spekulativer Ersatz für ein fehlend durchgezogenes Konzept. In dem Luna immer wieder an der Rampe, wo er zuvor in einem lila Wolfsfellmantel fast fetischhaft eine Wunde auf der nackten Brust ausgestellt hat, in einem alten Kinderbuch fleddert – als ob dort, jenseits des Albtraums, die Wahrheit über das Schicksal zu finden wäre.

Der 41-jährige Paul-Georg Dittrich, gebürtiger Ostdeutscher, in Hamburg ausgebildet, pendelt in der Oper vor allem zwischen Essen, Köln, Bremen, Kassel, Darmstadt. In Stuttgart hat er bereits einen „Boris Godunow“ seltsam ergänzt, in Hamburg vor der Premiere einer „Entführung aus dem Serail“ spektakulär hingeworfen. Dittrich kann spannend sein, aber auch schräg, zumindest ist er inkonsistent, die großen Häuser ignorieren ihn.

Barbie und Ken im Maisfeld

Damit steht er in der Regisseurriege nicht allein da. In München oder Berlin hat man es heute als Frau leichter, wenn man nicht zu den etablierten, überall gleichen Namen zählt, die nicht selten nur individuelle Konfektion anzubieten haben. Dietrich Hilsdorf freilich wäre so ein Fall, der nie über die mittelgroßen Häuser hinausgekommen ist. Andere, wie Uwe Eric Laufenberg, haben sich in Intendanzen gerettet.

In Stuttgart lässt Dittrich es jetzt aber krude krachen. Da mutiert der Männerchor zum ruckelnden Totentanz von Kriegsleichen, quer durch die soldatischen Jahrhunderte. Die Frauen dürfen gleich gar nicht auftreten, singen nur aus dem Graben. Ihr Nonneneinsatz ist gestrichen. Leonora, sonst immer nur passiv leidend, ist erst ein Cowgirl mit meterlanger Schleppe, die sie über ein totes Pferd zieht, später eine die Pumpgun aufpflanzende Barbie mit Trovatore-Ken als Avatare in einem verbrannten Maisfeld. Der Wahnsinn des Krieges lässt alle schizophren und verrückt werden. Manrico kann auch ganz schön zutreten, Azucena ist erst Horror-Clownin, dann ans Kreuz Geschlagene. Immer wieder sterben sie und stehen wieder auf, manipulieren einander.

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Im Finale schließlich tragen alle rote Anzüge (Kostüme: Mona Ulrich), haben sich optisch einander genähert und bleiben sich doch fremd. Das perspektivisch sich verjüngende schlagschattenkontrastiv ausgeleuchtete Einheitsbühnenbild von Christof Hetzer mit seinen schwarzgrauen Schachbrettwänden verschiebt sich. Die bald Toten – Leonora, Azucena, Manrico – fahren ins Dunkel davon. Der lange schon gefühlserkaltete Luna, aus dessen Perspektive erzählt wird, bleibt allein und isoliert zurück – in seinem ganz eigenen Seelenkerker.

Doch wie in jeder guten „Trovatore“-Aufführung: Diese Musik sublimiert, betört und besänftigt. Reich gießt hier Verdi auf dem Weg zur Reife sein Füllhorn der Ideen aus. Antonello Manacorda nimmt diese üppigen Vorgaben so glänzend wie souverän übergreifend denkend auf, hält klanglich zusammen, was sich inhaltlich immer mehr trennt. Er kann laut und knallig sein, meist aber bevorzugt er es subtil, in feinen Details der Instrumentation wie Betonung aufblitzend. So fokussiert sich das Geschehen auf die Töne, in seinen besten Momenten lässt es sich führen, umspielen, verschönern.

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Trotz des Mordens bekommen Leonoras Klagegesänge eine apotheotische Weltvergessenheit, die Selene Zanetti als edle Seele ausziseliert, wenn auch mit holpriger Koloratur. Atalla Ayan schlägt sich wacker mit der Manrico-Attacke, bleibt allerdings als Figur unklar. Sehnig schlank und zupackend klingt die Azucena von Kristina Stanek. Nur Ernesto Pettis Luna lässt sich von den erdachten wie ausgeführten, realen und symbolischen Schlächtereien auch vokal allzu sehr zum Brüllen verführen. Dann wird sein eigentlich einnehmender Bariton hart und flach, die Figur verkommt zur testosterondünstenden Karikatur.

So viel Melodram, so viel Blut, Tränen, Schmerz. Und dazwischen auch noch gesprochene Heiner-Müller-Dialogfetzen. In Stuttgart wird trotz aller szenischen Wucht bisweilen übertrieben und überdreht. Doch der grandiose Mann im Graben führt das stetig tänzerisch wendig zurück in die rechte Verdi-Balance. Sanft schwingt Schönheit. Und wir sind getröstet. Die Guten, sie transzendieren in eine bessere Pianissimo-Welt, auch wenn sie auf der Bühne noch ein wenig länger leben, lieben, singen und zu Tode kommen müssen. Mysteriöse Kunst der Katharsis, die durch eine einfache, dolcissimo und mit scheinbar simplen Streicherfiguren begleitet, zu rühren vermag – auf „rosigen Flügeln der Liebe“.

Source: welt.de

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