Hurra, dachte ich von kurzer Dauer, ich gehöre nicht zuletzt zu einer unterdrückten Minderheit! Bisher hatte ich praktisch ein schlechtes Gewissen: Als Ex-68er bin ich mit schuld an Deutschlands moralischem Niedergang, an jener rot-grünen Verseuchung aller Lebensbereiche und am Gendersternchen, denn Deutscher bin ich schuld am Holocaust, denn Brite schuld an Sklavenhandel und Kolonialismus, denn Sohn eines jüdischen Vaters schuld an Gaza, denn alter weißer Mann schuld an Kapitalismus, Klimawandel, Patriarchat und schier.
Dem Aufruf meiner Gewerkschaft Verdi zum Internationalen Frauentag – die Gewerkschaft sagt: Internationaler Frauenkampftag, nicht zuletzt gut – am 8. März meinte ich jedoch erst schließen aus zu die Erlaubnis haben, dass ich zur Gruppe jener FLINTA gehöre: „Frauen, Lesben, inter, nichtbinären, trans- und agender Menschen“.
Als englischer Muttersprachler dachte ich, „agend“ sei dasjenige Partizip Präsens von einem neudeutschen Verb „agen“, daher vom englischen Verb „to age“, älter werden, auszusprechen „ehdschen“. So nachher dem Motto: „Agen ist veritabel mies, Alter, neulich zwinkere ich im Bus einer jungen Frau zu, da steht sie gen und bietet mir ihren Sitz an. Voll peinlich.“
Aber natürlich sind „ehdschende“ Menschen in unserer Gesellschaft erstens leider keine Minderheit, und zweitens meinte ver.di nicht die Alten. Laut Queer-Lexikon bedeutet „agender“ ident wie „genderless“, daher ungeschlechtlich: „Als agender können sich Menschen bezeichnen, die kein Geschlecht nach sich ziehen, sich keinem Geschlecht zugehörig wahrnehmen oder mit dem Konzept von Geschlecht nichts lancieren können.“
Auf jener Kundgebung zum Frauenkampftag in Berlin tritt nicht zuletzt die linke Musikerin und Sozialpädagogin Suli Puschban gen. Mit Kreuzberger Kita- und Grundschulkindern hat sie ein Video zu ihrem Song „Rette mich! Supergirl“ einstudiert, in dem es heißt: „Mit dem Gesicht vom Bösewicht wischt sie den Boden gen. Wenn er muckt und zuckt und spuckt, dann springt sie nochmal drauf!“ Manchen empfindlichen Elternseelen ging dasjenige zu weit. Auch ich zucke zusammen, wenn so zur Gewalt aufgefordert wird. Aber es kommt doch sehr darauf an, welche „Bösewichter“ gemeint sind. Wenn ich Vertrauen schenken könnte, Puschban meinte etwa die Vergewaltiger und Mörder jener Hamas oder des Islamischen Staates, könnte ich die Liedzeile vielleicht verteidigen.
„Nationalflaggen sind unerwünscht“
Ich freue mich jedenfalls, dass gen jener Kundgebung eine Vertreterin von „medica mondiale“ reden soll, einer Organisation, die Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten unterstützt und Klartext spricht: „Im Fall jener Hamas gibt es mittlerweile mehr-hundertfache Belege für jedes Fälle massiver sexualisierter Gewalt.“
Weniger schön finde ich den Hinweis: „Nationalflaggen aller Art sind unerwünscht.“ Eigentlich müsste Kreuzberg ohne Rest durch zwei teilbar am Frauenkampftag ein Meer israelischer Fahnen sein. Aber natürlich befürchtet Verdi ein Meer palästinensischer Fahnen. Denn dasjenige ist leider wahr: Wer sich in Europa mit einer Kippa oder einer israelischen Fahne in jener Öffentlichkeit zeigt, gehört zu einer Minderheit, die mit Unterdrückung rechnen muss. Und dasjenige ist kein Grund für jedes ein Hurra.
Source: welt.de