Verbrenner-Aus: Viele Auto-Zulieferer stillstehen hinauf welcher Kippe

Jürgen Schlote erlebt seit Jahren, wie schwierig die Lage in der Autoindustrie geworden ist. Krisenzeiten hat es immer gegeben, auch zu Zeiten seiner Eltern, die die Schlote Gruppe, einen mittelständischen Autozulieferer, 1969 in Harsum nahe Hildesheim gegründet haben. Mit dem Kauf eines ehemaligen Kuhstalls und dem Bau einer Werkshalle fing alles an. Heute bearbeiten rund 1500 Beschäftigte im In- und Ausland überwiegend Gussteile für Benzin- und Dieselmotoren, deren Verkauf die EU von 2035 an verbieten will.

Für Schlote ein schwerer Fehler: „Mit dem Verbrenner-Aus haben wir eine Technologie preisgegeben, in der wir führend waren – und das völlig ohne Not“, sagt der Geschäftsführer der F.A.Z. Für Schlote ist klar: Die Politik muss das korrigieren.

Das Unternehmen versucht, mit der Zeit zu gehen. Wenn Autos elektrisch fahren, will der Präzisionsteilefertiger dabei sein. Doch diese Transformation stellt heimische Mittelständler vor ungeahnte Schwierigkeiten. „In der E-Mobilität werden Projekte vielfach an Zulieferer vergeben, die nicht mehr in Deutschland produzieren“, sagt der 61 Jahre alte Inhaber in zweiter Generation. „Die Industrialisierung wird dann von den Lieferanten in Slowenien, Serbien, Montenegro, Tschechien, Rumänien, Ungarn, Polen oder der Slowakei umgesetzt.“ Gegen die günstige Konkurrenz aus Osteuropa haben Mittelständler am Hochlohnstandort Deutschland wenig Chancen, sagen Branchenfachleute.

Hinzu kommen Probleme wie der Fachkräftemangel. Das weiß auch Oliver Altmann, der im niedersächsischen Barsinghausen den Zulieferer Bergmann Automotive führt. „Unter jüngeren Leuten geht das Interesse an der Entwicklung von Verbrennertechnologie gegen null“, sagt er. „Das ist das nächste Thema, was auf uns zukommt.“ Die Gießerei Bergmann stellt Zylinderlaufbuchsen für Verbrennungsmotoren her, eine Nische, in der sich das Unternehmen mit 140 Beschäftigten zu den Marktführern zählt.

Probleme bei Teilen für E-Autos

Wer sich zum Streifzug durch die deutsche Zulieferbranche aufmacht, erlebt einen Sektor, der sich nicht erst seit der Corona-Pandemie in schweren Turbulenzen befindet. Seit 2018 sind fast 40.000 Stellen in deutschen Autozulieferern weggefallen. Der Zweig steht für gut ein Drittel der Mitarbeiter in der Autoindustrie. Heute arbeiten noch rund 274.000 Beschäftigte für die Lieferanten, zu denen Konzerne wie Continental, Bosch und ZF Friedrichshafen, vor allem aber kleine und mittelgroße Betriebe zählen. Dort, im automobilen Mittelstand, wird die Auslese unter all jenen Fahrt aufnehmen, deren Auftragsbücher leer sind, die von den Banken keine Finanzierungen mehr bekommen und keine neuen Investoren finden. Ein Manager eines Autounternehmens, der nicht genannt werden will, bringt es auf den Punkt: „In der Politik sollte niemand überrascht sein, wenn es schon bald zu einer Insolvenzwelle kommt.“

Selbst die Unternehmen, die sich der Transformation stellen, leiden unter der „Marktmacht der Markenhersteller, die ihre Risiken und Probleme oft gnadenlos auf die mittelständischen Zulieferer abwälzen“, wie Christoph Münzer sagt. Der Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden vertritt mittelständische, oft noch von Familien geführte Betriebe. „Viele sind das rempelige, volatile und existenzbedrohende Automobilgeschäft zunehmend leid. Sie verlassen die Branche, verkaufen, gehen ins Ausland oder in die Insolvenz.“

Lange galten nur Hersteller von Verbrennerbauteilen als Problemfälle. Doch jetzt spitzt sich auch die Situation bei Komponenten für Elektroautos zu. Der Grund: Unternehmen, die viel Geld in Werke für den elektrischen Antriebsstrang oder Batteriesysteme gesteckt haben, verzweifeln an den niedrigen Bestellzahlen der Fahrzeughersteller. Deren Kunden nehmen die Fahrzeuge nicht an wie erhofft, was Schwierigkeiten in der ganzen Wertschöpfungskette verursacht.

Ichtershausen in Thüringen: Direkt am Erfurter Autobahnkreuz hat das baden-württembergische Familienunternehmen Marquardt einen dreistelligen Millionenbetrag in ein neues Werk für die Produktion von Batteriemanagementsystemen investiert. Noch ist die Produktion nicht angelaufen, aber schon jetzt ist klar: „Die Abnahmemengen liegen bis zu 60 Prozent unter den ursprünglich geplanten Stückzahlen“, sagt Inhaber Harald Marquardt. An anderen Standorten des ­Traditionsunternehmens mit Sitz in Rietheim-Weilheim sei es ähnlich. „Wir haben Maschinen, die im Dreischichtbetrieb laufen sollten“, sagt er, und nun werde maximal eine Schicht benötigt.

Großkonzerne kämpfen ebenfalls

Rund 100 Kilometer südwestlich ist das Schwarzwälder Familienunternehmen Auto-Kabel Anfang des Jahres in die Insolvenz gegangen. Auch hier ist der Grund, dass Kunden Aufträge für E-Komponenten storniert oder verschoben haben. Im fränkischen Bad Neustadt wiederum will sich der Zulieferer Franken Guss in einem Schutzschirmverfahren sanieren. Die mittelständische Gießerei mit 650 Mitarbeitern stellt sowohl Bauteile für Verbrennermodelle als auch für E-Autos her. Neben den Problemen am Markt kommt das Familienunternehmen auch durch politische Vorgaben in Bedrängnis, die zu hohen Investitionen in eine klimaneutrale Produktion zwingen. Woher das Geld für solche Umbauten kommen soll, wisse im Moment kaum jemand in der Branche, heißt es von der IG Metall.

Auch die Großen haben zu kämpfen. Gerade hat der Milliardenkonzern ZF aus Friedrichshafen an einem seiner Leitstandorte für Elektromobilität verkündet, Stellen zu streichen. Zunächst fallen 380 Arbeitsplätze im bayerischen Schweinfurt bis Jahresende weg. Zudem läuft in Schweinfurt ein Programm, um die Kosten in der Elektromobilität den ausbleibenden Umsätzen anzupassen, wie Thomas Höhn, erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, erläutert. Das ist nicht mal die größte Sorge des Gewerkschafters. „Wir gehen davon aus, dass ZF die nächste Generation von Elektrokomponenten nicht mehr in Deutschland ansiedeln wird. Und eine Nicht-Ansiedelung ist genauso dramatisch wie ein Stellenabbau – das macht keinen Unterschied“, sagt Höhn.

Transformationsdruck besteht unabhängig vom Verbrenneraus

Einer, der die Transformation der deutschen Autozulieferer gut kennt, ist Klaus Rosenfeld. Der 58 Jahre alte Manager führt seit mehr als zehn Jahren die Schaeffler AG, einen Familienkonzern im mittelfränkischen Herzogenaurach, der einen guten Ruf für seine Präzisionsmechanik genießt. Die von Schaeffler hergestellten Wälzlager halten Fahrzeuge und Maschinen in Bewegung, und das seit Jahrzehnten. Früh hat Rosenfeld das Unternehmen auf die E-Mobilität vorbereitet, und mit der Milliardenübernahme des Autozulieferers Vitesco bringt er Schaeffler mit dann 120.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 25 Milliarden Euro in die Riege der Zulieferriesen Bosch, ZF und Continental.

Eine mögliche Abkehr vom Verbrenner-Aus in der EU ändert für Rosenfeld nichts am Transformationsdruck für die Branche, wie er der F.A.Z. sagt. „Selbst wenn das Ausstiegsdatum 2035 kippen sollte, wird das die Transformation nicht aufhalten. Wir müssen uns vielmehr darauf einstellen, dass batterieelektrische Autos in ein paar Jahren günstiger sein werden als Autos mit Verbrennungsmotor.“ Rosenfeld vermutet zudem, dass es auch auf der Kostenseite noch ungemütlicher werden wird. „Die chinesischen Autohersteller, die jetzt auf den europäischen Markt kommen, werden den Kostendruck für die Zulieferer noch einmal verschärfen.“

Vor wenigen Monaten hat BYD angekündigt, ein Elektroauto-Werk in Ungarn zu errichten und damit der erste große chinesische Automobilhersteller mit Produktionsstätte in Europa zu werden. Tatsächlich ist in der Branche zu hören, dass BYD seinen neuen, westlichen Lieferanten einiges abverlangen wird – oder eben auf das heimische, kostengünstige Netzwerk setzt. Kleine und mittelständische Unternehmen mit austauschbaren Produkten dürfte die neue Konkurrenz vor große Herausforderungen stellen. Um Schwierigkeiten in der Lieferkette zu verhindern, haben manche Großkonzerne schon Spezialisten für Sanierung zu ihren Sublieferanten geschickt, heißt es in der Branche. Wer als unverzichtbar gilt, kann auf Unterstützung hoffen. Viele andere stehen vor dem Aus.

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