Bei all den Krisen der US-amerikanischen Demokratie, seit der Ermordung von Abraham Lincoln, über die Hexenjagd von Senator McCarthy, den Vietnamkrieg, Watergate, die „reaganomische“ Rechtswendung bis zur ersten Amtszeit von Donald Trump, gab es stets ein großes Hoffnungsbild, nämlich das von ihren „Selbstheilungskräften“.
Man ging davon aus, dass eine moderne Gesellschaft wie die amerikanische auf innere Widersprüche und äußeren Druck zwar gelegentlich mit Anfällen von Bigotterie, Terror und Autokratie reagieren würde, aber nur bis zu dem Punkt, wo sich genügend Bürgerinnen und Bürger zu einem „Genug ist genug“ zusammenfinden würden und an irgendeinem historischen Ort jemand den politischen Verbrechern historische Worte wie bei McCarthy entgegenschleudern würde: „Sir, haben Sie denn gar keinen Anstand?“.
Anstand ist eine Kategorie, die für Donald Trump nicht existiert
Nein, von Anstand ist im Trumpismus nichts zu erkennen, leider aber auch nur wenig von den beschworenen Selbstheilungskräften der amerikanischen Demokratie.
Die Allianz der Anti-Demokraten scheint einfach zu mächtig: die neue Rechte und die Erben der „Neo-cons“ mit ihren Think Tanks und Influencern, die fundamentalistischen „nationalen Christen“ mit ihrer tiefen Verankerung in der Provinz der amerikanischen Herzen, die Tech-Milliardäre und Oligarchen, die sich einen absolutistischen Technokratie-Staat ohne Demokratie und ohne liberale Marktwirtschaft erhoffen, die klassischen Rechtsextremen und Neofaschisten, die Psychos aus der „Manosphere“, aber eben auch ein unerwartet breites und williges Heer von Speichelleckern, Duckmäusern, Opportunisten, Feiglingen und Nutznießern.
Und eine träge gesellschaftliche Masse, die hinnimmt, die gleichgültig bleibt, die abwartet und die nun eben auf die Selbstheilung wartet, ohne selbst dabei etwas riskieren zu wollen.
Warum sagen nicht mehr Regierungen, mehr Universitäten, mehr Medien, mehr Kulturen, mehr Wissenschaftler zum Trumpismus einfach „Nein“? Die Antwort liegt in der Totalität der Machtübernahme. Totale Herrschaft bedeutet die Macht über alle gesellschaftlichen Subsysteme wie Militär, Verwaltung, Bildung, Wissenschaft, Justiz, Ökonomie, Kultur und nicht zuletzt die Presse. Sie duldet nicht Opposition und Kritik, aber auch keine „Freiräume“, keine Abweichungen.
Die Tragödie der Vereinigten Staaten von Amerika liegt darin, dass zu einem historischen Moment Bewegungen nach rechts einander gefunden haben, einen gemeinsamen „Führer“ wählten und gemeinsam eine Herrschaft errichten, die man zumindest nach Umberto Ecos Modell vom „Urfaschismus“, sozusagen einem „Quellcode“ der Faschisierung, genau so nennen muss: faschistisch.
Die Maga-Strategie lautet: Bedrohung, Verleumdung, Korruption, Willfährigkeit
Allerdings tut man durchaus gut daran, auch sehr eigene, sehr aktuelle Aspekte dieser Machtübernahme zu sehen. Es ist ein Faschismus, der immer noch einige äußere Elemente der Demokratie zitiert und im eigenen Sinn umformt. Das beste Beispiel ist die Vorgehensweise gegen die unliebsamen kritischen Stimmen in der Presse. Da wird nicht eine zentrale Zensur-Instanz errichtet, und es werden keine direkten Verbote ausgesprochen.
Es geht vielmehr um ein strukturelles Unterwerfen durch Bedrohungen, Verleumdungen, Korruption und Willfährigkeit. Die Mehrzahl der Eingriffe entsprechen einer Drei-Einheit des Regimes: die eitle Rachsucht des Emperors, das Kontroll- und „Säuberungs“-Verlangen der Tech-Milliardäre und ihrer Medien, und die „moralische“ und „religiöse“ Empörung der rechten „Normalbürger“.
Die Erschaffung eines Märtyrers wie Charlie Kirk kommt da gerade recht, das alles wieder einmal öffentlich zu vereinen. Jimmy Kimmel, dem man mit Mühe nachsagen konnte, er habe sich gegen das Andenken des „Märtyrers“ versündigt, wurde nicht „verboten“, er wurde öffentlich geopfert. Zu diesem Opfer gehört der obszöne Kniefall des Disney-Konzerns vor dem Wunsch des Emperors. Ob dieses Opfer mit Kimmels Wiederzulassung im TV zurückgenommen oder nur relativiert wurde, wird sich weisen – ein geradliniger Prozess ist wohl auch diese Abschaffung der kulturellen Freiheit nicht.
Welche Symbolik: Trump zerstört die Demokratie und fährt mit König Charles in der Kutsche
Erledigt wird, wie zuvor schon bei anderen Medien, bei kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen, ein gesellschaftliches Subsystem, das Schritt für Schritt dem Regime gehören soll. Und zur gleichen Zeit, da auf das öffentliche Opfer des Jimmy Kimmel das Dekret folgt, das die Armee (mittlerweile vor allem eine Waffe der Trumpisten im eigenen Land) gegen freie Berichterstattung immun macht, fährt Emperor Trump mit König Charles in einer goldenen Kutsche durch London und lässt sich alle erdenklichen Schmeicheleien gefallen.
Fast verzweifelt mutet es an, wenn der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom die Mitschuld der Länder anklagt, die durch ihre Speichelleckerei den Trumpismus erst ermöglichen. Angewidert, wie Newsom sagt, kann man vom MAGA-Faschismus sein, doch noch mehr angewidert ist man wohl vom Opportunismus, der Feigheit.
Auch in Europa, und in Deutschland ganz besonders, deutet sich an, was der Trumpismus in den USA angerichtet hat: Die demokratische Zivilgesellschaft hat keine Institutionen, keine Medien, keine Sprache, keine Bilder mehr, um sich ihrer Abschaffung zu widersetzen. MAGA Total schlägt genau dort zu, wo sich die Selbstheilungskräfte der Demokratie bilden können.