Michael Kimmage ist Professor im Fachbereich Geschichte an der Catholic
University of America. Von 2014 bis 2017 war er im US-Außenministerium im Büro für
Politikplanung für das Ressort Russland/Ukraine zuständig. In diesem Herbst ist
er Fellow an der American Academy in Berlin.
Die Deutschen hegen zwei Befürchtungen hinsichtlich der bevorstehenden
US-Präsidentschaftswahl: Erstens, dass Donald Trump zurück ins Amt gewählt
wird, in der Folge die transatlantischen Beziehungen in die Brüche gehen und die
Ukraine allmählich den Krieg verliert. Die zweite Befürchtung ist, dass Kamala Harris, sollte sie die Wahl gewinnen, zeigen wird, dass Joe Biden der „letzte
der Atlantiker“ war und die USA entweder zu sehr nach innen gerichtet oder
mit dem indopazifischen Raum ausgelastet sein werden, um langfristig ein
Partner für Europa zu sein. In beiden Szenarien kehren die USA Europa den
Rücken.
Die Bedenken gegenüber Trump sind berechtigt. Unter Trump dürften sich
die transatlantischen Beziehungen sicherlich verschlechtern, das Nato-Bündnis
weniger verlässlich werden. Selbst wenn Trump die Unterstützung für die Ukraine
nicht zurückzieht und darauf kein unmittelbarer russischer Sieg in der Ukraine
folgt, die Last des Krieges bliebe stärker an Europa hängen als unter einer
Präsidentin Harris. Um die USA am Krieg beteiligt zu halten, dürfte Trump von
Europa und insbesondere von Deutschland eine Gegenleistung fordern –
Zugeständnisse im Handel oder eine größere Bereitschaft zur Konfrontation mit
China.
Die Angst, dass Biden sich als der letzte Atlantiker erweisen könnte, ist hingegen unbegründet. Kamala Harris und ihre engsten Berater sind
sehr wohl Atlantiker, und im Wesentlichen
werden sie eine ähnliche Außenpolitik verfolgen wie Biden. Dabei werden sie die
deutsch-amerikanischen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung stärken.
An der Kriegsfront in der Ukraine werden sie sich um Fortschritte bemühen und
sich für eine starke und prosperierende EU einsetzen. Mit Harris‘ Amtsantritt
ginge keineswegs eine Ära zu Ende.
Deutschland wurde um seinen Wohlstand beneidet
Gleichwohl wäre ein Harris-Wahlsieg für Deutschland nicht transformativ.
Weder führt Harris Deutschland aus den innenpolitischen Schwierigkeiten heraus
noch zur Lösung seiner
außenpolitischen Probleme. Während Bidens Präsidentschaft hat sich eine
unbequeme Wahrheit herauskristallisiert: Zwar haben sich die
deutsch-amerikanischen Beziehungen positiv entwickelt, doch Deutschlands
Situation in Europa, in der Welt und im eigenen Land hat sich dramatisch
verschlechtert. Hier besteht kein kausaler Zusammenhang. Bidens Regierung hat
Deutschland keineswegs geschadet, doch es zeigt sich, dass die USA für
Deutschland eine periphere Rolle spielen können – eine wichtige, aber nicht unbedingt eine
entscheidende Rolle.
Diese Wahrheit unterstreicht die Notwendigkeit für Deutschland, einen
eigenständigen Kurs einzuschlagen, unabhängig davon, wer ab Januar 2025 in den
Vereinigten Staaten regiert.
Als Joe Biden im Januar 2021 ins Weiße Haus einzog, war Deutschland
durchaus in einer guten Position. Die Bundesrepublik erfreute sich eines
friedlichen Europas, profitierte von einem kostengünstigen Zugang zu Gas und Öl
und einem riesigen Markt für ihre Waren in China. Deutschland wurde von ganz
Europa um seinen Wohlstand beneidet, und die harmonische Gestaltung der
Europäischen Union erschien noch immer als Muster für globale Beziehungen und
als Grund für die Projektion seines geopolitischen Modells nach außen. Anfang
2021 zeigte die Biden-Regierung ihre Ehrerbietung gegenüber Deutschland, indem sie
das Nord-Stream-2-Pipeline-Abkommen zwischen Deutschland und Russland
genehmigte. Eine prosperierende Beziehung zu den USA bildete eine stabile
Grundlage für die deutsche Außenpolitik.
Michael Kimmage ist Professor im Fachbereich Geschichte an der Catholic
University of America. Von 2014 bis 2017 war er im US-Außenministerium im Büro für
Politikplanung für das Ressort Russland/Ukraine zuständig. In diesem Herbst ist
er Fellow an der American Academy in Berlin.
Die Deutschen hegen zwei Befürchtungen hinsichtlich der bevorstehenden
US-Präsidentschaftswahl: Erstens, dass Donald Trump zurück ins Amt gewählt
wird, in der Folge die transatlantischen Beziehungen in die Brüche gehen und die
Ukraine allmählich den Krieg verliert. Die zweite Befürchtung ist, dass Kamala Harris, sollte sie die Wahl gewinnen, zeigen wird, dass Joe Biden der „letzte
der Atlantiker“ war und die USA entweder zu sehr nach innen gerichtet oder
mit dem indopazifischen Raum ausgelastet sein werden, um langfristig ein
Partner für Europa zu sein. In beiden Szenarien kehren die USA Europa den
Rücken.