Urteil in Münster: Verfassungsschutz darf AfD wie rechtsextremen Verdachtsfall münden

Die AfD darf bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremer
Verdachtsfall eingestuft werden. Das hat der fünfte Senat des
nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster entschieden. Damit
wiesen die Richter die Berufung der Partei zurück. 

Der Verfassungsschutz habe bei seinen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt, teilte das OVG in seiner Urteilsbegründung mit. Das Vorgehen der Verfassungsschützer sei mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und dem Völkerrecht vereinbar.

Zudem sah das Gericht den begründeten Verdacht, dass zumindest ein maßgeblicher Teil der AfD das Ziel habe, „deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen“. Das sei eine unzulässige Diskriminierung und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch bestehe der hinreichende Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die mit einer Missachtung der Menschenwürde sogenannter Ausländer und muslimischer Menschen verbunden seien. Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen sieht das Gericht ebenfalls.

Mit dem Urteil erlaubt das Gericht dem Verfassungsschutz, die Öffentlichkeit weiter über die Einstufung der AfD als Verdachtsfall zu informieren. Von einer sachlich richtigen und weltanschaulich-politisch neutralen Bekanntgabe dazu, dass Informationen gesammelt würden, werde die Partei nicht unverhältnismäßig belastet.

AfD will Beschwerde einlegen

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zwar ließ das OVG keine Revision zu, dagegen kann die AfD allerdings innerhalb eines Monats Beschwerde einlegen. Diese ginge zunächst an das OVG selbst – wenn dieses seine eigene
Entscheidung nicht ändert, kann die nächsthöhere Instanz, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, eine
Revision unter bestimmten Voraussetzungen doch noch zulassen.

Dabei kann das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des OVG lediglich auf Rechtsfehler prüfen. Die AfD könnte also keine neuen Beweisanträge mehr
vortragen, weil das Gericht in Münster die letzte sogenannte Tatsacheninstanz ist. Sollte das Bundesverwaltungsgericht doch eine Revision zulassen, würde es das Münsteraner Urteil erneut prüfen.

AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch kündigte nach der Urteilsverkündung in einer Mitteilung an, „selbstverständlich die nächste Instanz anrufen“ zu wollen. Der stellvertretende Bundessprecher der AfD, Peter Boehringer, kritisierte an dem Verfahren zudem eine „ungenügende Sachverhaltsaufklärung“ und warf dem Gericht „Arbeitsverweigerung“ vor. Es sei „Hunderten Beweisanträgen“ nicht nachgegangen, die erst Grund für die Revision gewesen seien.

Prozessverzögerung mit Hunderten Anträgen

Im
März 2021 war bekannt geworden, dass das Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) die AfD-Bundespartei sowie deren
Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremen
Verdachtsfall führt. Dagegen hatte die Partei in erster Instanz vor dem
Verwaltungsgericht Köln geklagt – und verloren: Im März 2022 gab das
Gericht dem BfV recht, da es ausreichend Anhaltspunkte für
verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD sah.

Im Anschluss zog die AfD für eine Berufungsverhandlung vor die nächste Instanz. Da das BfV seinen Hauptsitz in Köln hat, ist das OVG in Münster zuständig. In dem dortigen Verfahren warfen die AfD-Anwälte den Richtern unter anderem Befangenheit vor und legten mehrere Hundert Beweisanträge vor, die das Gericht allesamt ablehnte. Ein Anwalt des Verfassungsschutzes hatte der AfD vorgeworfen, mit den
vielen Anträgen das Verfahren vor dem OVG in die Länge ziehen zu wollen.

„Keine Mittel der politischen Auseinandersetzung“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte das Urteil und sprach von einem Zeichen einer wehrhaften Demokratie. „Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen. Diese Instrumente werden eingesetzt“, zitiert das Ministerium Faeser auf X. Dabei hob die Ministerin die Eigenständigkeit des Verfassungsschutzes hervor.

Das Gerichtsurteil habe die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns erneut bestätigt, sagte Faeser. „Hier geht es um das Handeln unserer Sicherheitsbehörden, um gesetzliche Kriterien und ihre Überprüfung vor Gericht. Dies sind keine Mittel der politischen Auseinandersetzung.“ Man werde die rechtliche Bewertung „weiter klar von der politischen Auseinandersetzung trennen“, sagte Faeser.

AfD will gegen Urteil vorgehen und sieht Urteil politisch motiviert

Die AfD-Chefin Alice Weidel kündigte rechtliche Schritte an. Das Urteil sei „so nicht akzeptabel“, teilte sie mit. „Wir werden die nächsten Schritte sehr genau überlegen, aber wir werden uns dann wohl in Leipzig wiedersehen“, sagte sie mit Blick auf das Bundesverwaltungsgericht in der Stadt. „Wir werden für unsere Mitglieder, Wähler, aber auch für den Rechtsstaat alles ausschöpfen, was nötig ist, um für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen“, sagte auch Weidels Amtskollege Tino Chrupalla.

Beide Parteichefs kritisierten, dass das Gericht der AfD verwehrt habe, weitere Beweisanträge vorzulegen. „Sie werden programmatisch bei uns nichts finden, was in irgendeiner Weise verfassungsfeindlich ist“, sagte Chrupalla. Weidel fügte hinzu: „Wir stehen auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung. Und ich stelle sogar die These auf, dass keine andere Partei so auf dem Boden unserer Demokratie und des pluralistischen Austausches steht wie die AfD.“

Zudem unterstellten sie dem Gericht, ein politisch motiviertes Urteil gefällt zu haben. Chrupalla begründete den Vorwurf mit dem Zeitpunkt des Verfahrens und der Urteilsbekanntgabe. „Wir befinden uns mitten im Europawahlkampf, auch das zeigt, dass hier eine politische Motivation dahintersteckt, ganz klar“, sagte er. An der Unabhängigkeit des Gerichts bestünde Zweifel, wenn es „Beweisanträge einfach so vom Tisch gewischt“ habe.

Weidel verteidigte zudem Äußerungen von führenden Parteivertretern, die dem Gericht ebenfalls die Unabhängigkeit absprachen – etwa des Chefs der AfD Sachsen Martin Reichardt. Dieser sprach von „dem Establishment hörige(n) Richter(n)“. Diese Worte würde sie nicht wählen, könne den Frust aber verstehen, sagte Weidel.

Verfassungsschutz darf nachrichtendienstliche Mittel einsetzen

Das
Urteil des OVG hat Auswirkungen auf die Mittel, die der
Verfassungsschutz bei der Beobachtung von Gruppierungen einsetzen darf:
Wird eine Organisation als extremistischer Verdachtsfall eingestuft,
ermöglicht dies den Verfassungsschutzbehörden, diese mit
nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Dazu gehören die
geheime Observation von Personen, die Arbeit mit sogenannten V-Leuten sowie die
Überwachung von Kommunikation. Eine Einstufung als Verdachtsfall darf
das BfV zudem öffentlich mitteilen, was möglicherweise politische Debatten beeinflusst.

Die Stufe unterhalb des
Verdachtsfalls ist der Prüffall. Wird eine Gruppierung als solcher
eingestuft, darf der Verfassungsschutz sie lediglich auf Grundlage
öffentlich zugänglicher Quellen beobachten. Dazu zählen etwa Zeitungsberichte oder
öffentlich zugängliche Postings in sozialen Medien. Auch
Parteiprogramme dürfen ausgewertet und öffentliche Parteiveranstaltungen
besucht werden.

Drei Landesverbände gelten als „gesichert rechtsextrem“

Als nächsthöhere Stufe nach dem Verdachtsfall steht
die Feststellung, dass die beobachtete Gruppierung eine gesichert extremistische Bestrebung aufweist. Medienberichten zufolge prüft das
BfV derzeit, ob die AfD als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden
kann. Im Fall der JA
hat das Bundesamt dies bereits erklärt
. Das Verwaltungsgericht Köln
bestätigte diesen Schritt im Februar 2024. Diese Frage wurde in dem
aktuellen Verfahren vor dem OVG jedoch nicht mitverhandelt.

Das Urteil des Gerichts in Münster fällt mitten in den Wahlkampf für die Europawahl Anfang Juni und für die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Herbst. Umfragen zufolge ist die AfD in den ostdeutschen Bundesländern besonders stark. Die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und in Sachsen-Anhalt werden von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz bereits als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.

Die AfD darf bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremer
Verdachtsfall eingestuft werden. Das hat der fünfte Senat des
nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster entschieden. Damit
wiesen die Richter die Berufung der Partei zurück. 

Der Verfassungsschutz habe bei seinen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt, teilte das OVG in seiner Urteilsbegründung mit. Das Vorgehen der Verfassungsschützer sei mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und dem Völkerrecht vereinbar.

Zudem sah das Gericht den begründeten Verdacht, dass zumindest ein maßgeblicher Teil der AfD das Ziel habe, „deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen“. Das sei eine unzulässige Diskriminierung und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch bestehe der hinreichende Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die mit einer Missachtung der Menschenwürde sogenannter Ausländer und muslimischer Menschen verbunden seien. Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen sieht das Gericht ebenfalls.

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