Untreue wie Erfolgsmodell – Wie jener 1. FC Köln die Trendwende schaffte

Untreue wie Erfolgsmodell – Wie jener 1. FC Köln die Trendwende schaffte

Noch im Oktober drohte dem 1. FC Köln eine Zerreißprobe. Viele Fans verzweifelten an ihrem Klub, seiner Mannschaft und den Verantwortlichen. Doch plötzlich führt der Traditionsverein die Zweite Liga an. Es ist die Folge einer bemerkenswerten Wende.

Die Fans des 1. FC Köln schienen schon beinahe gar nicht mehr zu wissen, wessen Ablösung sie nun fordern sollten. Also arbeiteten sie sich in Sprechchören gleich an zwei vermeintlichen Verursachern der Misere ab: an Sportchef Christian Keller, den viele bereits für den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga im vergangenen Sommer verantwortlich gemacht hatten – und an dem von Keller anschließend verpflichteten Trainer Gerhard Struber. Denn unter dessen Führung schien die Mannschaft kaum noch Chancen auf eine baldige Rückkehr nach oben zu haben.

Das war Ende Oktober 2024, vor gut drei Monaten. Damals hatten die Kölner gerade zu Hause 1:2 gegen Paderborn verloren. Es war die dritte Saisonniederlage. Aus zehn Spielen waren nur zwölf von möglichen 30 Punkten geholt worden – und das Team spielte tatsächlich meist mit einer nahezu beängstigenden Naivität: offensiv zwar, teilweise sogar auch attraktiv – aber halt mit extrem vielen Fehlern. Die Fans drohten zu verzweifeln.

Gut drei Monate später ist die Gemütsverfassung eine ganze andere. Der FC grüßt von der Tabellenspitze der Zweiten Liga, könnte bei einem Sieg über den FC Schalke 04 im Heimspiel am Sonntag (13.30 Uhr, Sky) den Vorsprung sogar ausbauen. Es herrscht Aufbruchstimmung – daran konnte auch das auch Ausscheiden aus dem DFB-Pokal am vergangenen Mittwochabend bei Bayer Leverkusen (2:3 nach Verlängerung) nichts ändern. Im Gegenteil: Die Tatsache, eine der besten Vereinsmannschaften Europas an den Rand einer Niederlage gebracht zu haben, scheint das Selbstvertrauen sogar noch größer gemacht zu haben.

„Wir müssen das Gute aus dem Spiel mitnehmen. Nämlich, dass wir schon ein deutlich höheres Niveau haben, als wir es vielleicht zuletzt gezeigt haben“, sagte Keller anschließend. Auch Struber zeigte sich überzeugt, dass der couragierte Auftritt Mut geben wird – so bitter das Ergebnis auch war. „Das ist der Sport, der tut manchmal weh. Aber man hat gesehen, dass wir auch kicken können und wir uns in der Liga ruhig mal wieder mehr zutrauen können“, sagte der Coach.

Gerhard Strubers besondere Philosophie

Es sei zwar schwierig gewesen, Worte zu finden, um seine Spieler wieder aufzurichten, nachdem sie erst in der Nachspielzeit den 2:2-Ausgleich kassiert hatten – doch die mehr als respektable Leistung tauge allemal, um sich schnell wieder aufrichten zu können. Sie zeige, dass Köln auch ein Ziel wieder „in Reichweite“ hat, das zwischenzeitlich schon als verfehlt eingestuft worden war: den Wiederaufstieg. Der Österreicher vermied zwar den Begriff, doch jeder wusste, was er meinte.

Struber weiß mittlerweile aus eigener Erfahrung, wie schnell die Stimmung in Köln kippen kann. Die Tatsache, dass er trotz des Fehlstarts in die Saison noch im Job ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Doch er selbst hat den entscheidenden Beitrag zur Trendwende geleistet. Der 48-Jährige hat seine eigene Herangehensweise hinterfragt. Er lässt die Mannschaft mittlerweile ganz anders spielen.

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Das fiel Struber jedoch nicht leicht. 15 seiner 18 Trainerjahre hat er im Kosmos von Red Bull verbracht – als Jugendtrainer, als Trainer von Farmteams des weltweiten Fußballprojektes des Getränkekonzerns und zuletzt eine Saison als Cheftrainer von RB Salzburg. Die RB-Philosophie hat ihn geprägt: Angreifen, den Gegner unter Druck setzen, ihn früh und mit hohem Risiko attackieren. So, hatte er im Sommer verkündet, als er nach Köln gekommen war, solle auch der FC spielen.

Doch es funktionierte nicht – oder zumindest nicht oft genug. Strubers Mannschaft, die auch unter den Folgen des Abstiegs und der damit verbundene Unruhe im Klub litt, tappte immer wieder in die gleiche Falle. Sie ließ sich nach Ballverlusten auskontern und brachte sich so um viele Punkte. Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb Struber als einen „monothematischen Vertreter der Red-Bull- bzw. Gegen-den-Ball-Schule“ – einer Spielweise, die nicht zu den Spielern passe.

In Köln geht Erfahrung vor Talent

Also stellte Struber um: Er änderte das System und verordnete eine andere Strategie. Weg von dem hohen Aufrücken der Außenverteidiger und dem ständigen Versuch von Balleroberungen – hin zu pragmatischer Kompaktheit mit drei Innenverteidigern und einer tieferen Staffelung. Fortan hatte Köln weniger Ballbesitz, auch weniger Torchancen. Dafür aber erkennbar mehr Stabilität. Es folgten neun Siege aus zehn Ligaspielen, auch weil Struber seine Kriterien bei der Spielerauswahl upgedatet hat. Er zieht mittlerweile Erfahrung Talent vor.

Seit Beginn der Trendwende stehen mehrere Routiniers, die bis dahin kaum eine Rolle gespielt haben, regelmäßig in der Startelf: Marvin Schwäbe, 29, rückte wieder ins Tor. Dabei war der im Sommer fast schon weg – weil er nicht mit in die Zweite Liga wollte und ihm dann das Talent Jonas Urbig, 21, vor die Nase gesetzt wurde. Mittlerweile ist Urbig weg – er ging für sieben Millionen Euro Ablöse, die der FC gut gebrauchen kann, zum FC Bayern. Schwäbe dagegen gibt der wackeligen Abwehr Sicherheit.

Das gilt vor allem auch für Dominique Heintz. Der erfahrene Defensivspezialist spielte bei Saisonbeginn lediglich eine unterordnete Rolle, teilweise fand sich für den 29-Jährigen nicht mal ein Platz im Spieltagskader. Seit vergangenem November ist er eine zentrale Figur – bezüglich der Organisation und als Führungsspieler. Heintz gibt den Mitspielern Halt, bleibt auch in brenzligen Phasen cool – so wie am vergangenen Mittwoch in Leverkusen. Trotz einer frühen Gelben Karte führte er gegen die Leverkusener Topstürmer jeden Zweikampf und gewann die allermeisten. „Er bringt Fußballschläue par excellence mit – wie er in bestimmten Situationen richtig gute Entscheidungen trifft, wie er das Spiel lesen kann“, so Struber.

Die Kölner haben sich mit Verspätung, aber möglicherweise noch rechtzeitig zu einer Zweitliga-Spitzenmannschaft entwickelt – weil die Routiniers das fragile Fundament stabilisiert haben. Davon profitiert das gefährliche Sturmduo mit Damian Downs, 19, und Tim Lemperle, 23, die mittlerweile beide auf je acht Ligatreffer kommen. Der FC gewinnt oftmals knapp. Struber ist sich bewusst, dass es spielerisch noch Luft nach oben gibt – aber der Kurs stimmt.

Der 1. FC Köln hat wieder eine Perspektive – und ist zudem wieder handlungsfähig, selbst wenn die wirtschaftlichen Zwänge immer noch groß sind. Doch die einjährige Transfersperre, zu welcher der Klub wegen angeblicher Anstiftung zum Vertragsbruch verurteilt worden war, ist zum 31. Dezember ausgelaufen. In Teilen war sie sogar schon drei Wochen zuvor gelockert worden. Struber bekam drei Winterzugänge, teils auch im Vorgriff auf im Sommer drohende Abgänge. Dann ist neben Urbig auch Lemperle weg, der bereits in Hoffenheim zugesagt haben soll. An Downs sind mehrere Erstligavereine interessiert.

Doch die Chancen auf den Wiederaufstieg sind so real wie lange nicht mehr.

Oliver Müller berichtet für WELT als Fußball-Reporter seit Jahren über Borussia Dortmund und die weiteren Klubs aus dem Ruhrgebiet und dem Westen.

Source: welt.de

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