Union: „Mit welcher Ampel ist die Rente nicht mehr sicher“

Mit dem sogenannten Rentenpaket II sollen in Zukunft die gesetzlichen Renten stärker steigen. Gleiches gilt für den Beitragssatz, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen müssen, sowie für den Steuerzuschuss, der aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung fließt. Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf dazu am Mittwoch beschlossen und auf den Weg ins parlamentarische Verfahren gebracht. Dies geschah mit Zustimmung der FDP-Minister, obwohl es in deren Partei erhebliche Bedenken gegen das Vorhaben gibt.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kündigte nach dem Kabinettsbeschluss an, dass er eine Kursänderung in der Rentenpolitik für nötig halte. Das „Rentenpaket II“, dessen Kern eine Stilllegung des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors in der Berechnung der jährlichen Rentenerhöhungen ist, sei „der Vorläufer des Rentenpakets III und des Rentenpakets IV, des Rentenpakets V, jedenfalls weiterer Anstrengungen, die Beiträge für die Bürgerinnen und Bürger in den Dreißigerjahren zu begrenzen“, sagte er.

Mit dem aktuellen Rentenpaket würde sich der Anstieg des Beitragssatzes jedoch zunächst beschleunigen. Infolge des demographischen Wandels – mehr Rentner, weniger Beitragszahler – wird schon bisher ein Anstieg um rund 2,5 Prozent Prozentpunkte bis zum Jahr 2035 erwartet. Mit der geplanten Gesetzesänderung rechnet die Regierung nun mit einem Anstieg um rund 3,5 Prozentpunkte in diesem Zeitraum. Derzeit beträgt der Beitragssatz zur Rentenversicherung 18,6 Prozent des Bruttolohns, für 2035 erwartet das Arbeitsministerium nun 22,3 statt 21,2 Prozent.

Mehrbedarf von 7 Milliarden Euro in elf Jahren ist absehbar

Für die Bundesmittel an die Rentenversicherung rechnet die Regierung zugleich mit einem (allmählich ansteigenden) Mehrbedarf, der im Jahr 2035 einen Umfang von gut 7 Milliarden Euro erreicht. Insgesamt werden demnach dann über Beiträge und Steuern Mehrausgaben von gut 28 Milliarden Euro zu decken sein. Ein erster Beitragssprung bei der Rente wird 2028 erwartet: Das Arbeitsministerium rechnet dann mit einem Anstieg um 1,4 Prozentpunkte auf 20 Prozent.

Benötigt werden die zusätzlichen Mittel für die stärkeren jährlichen Rentenerhöhungen, die das politische Hauptziel des aktuellen Gesetzesvorhabens sind. Nach bisheriger Rechtslage wären bis 2035 Rentenerhöhungen von insgesamt knapp 32 Prozent zu erwartet, mit dem geplanten Gesetz wird daraus ein Anstieg um gut 38 Prozent. Anhand der amtlichen Schätzdaten lässt sich damit auch berechnen, was dies konkret für Rentner je nach Höhe ihrer Bezüge bedeutet.

Die sogenannte Bruttostandardrente, die den Fall eines Durchschnittsverdieners mit 45 Erwerbsjahren abbildet, beträgt derzeit 1751 Euro im Monat. Nach heutigem Recht stiege sie bis zum Jahr 2035 auf 2305 Euro, und mit dem „Rentenpaket II“ würden es stattdessen 2420 Euro, also 115 Euro mehr. Wer heute 1000 Euro Monatsrente hat, profitiert ebenfalls: Bisher wäre in diesem Fall ein Anstieg auf 1316 Euro im Jahr 2035 zu erwarten, mit der geplanten Gesetzesänderung 1382 Euro, also 66 Euro mehr. Und wer heute auf 2500 Euro kommt, könnte dann mit 3455 statt 3291 Euro rechnen, also 164 Euro mehr.

Nachhaltigkeitsfaktor sollte Rentenerhöhungen dämpfen

Im Gesetz soll dazu festgelegt werden, dass die jährlichen Rentenerhöhungen künftig nicht mehr geringer ausfallen dürfen als der Anstieg der Löhne. Bisher greift in der Formel zur Berechnung der jährlichen Rentenerhöhung dagegen der Nachhaltigkeitsfaktor: Gibt es mehr Rentner und weniger Zahler, dann sorgt er dafür, dass die Rentenerhöhung etwas geringer ausfällt als der Lohnanstieg. Das soll den Anstieg der Belastung der Zahler bremsen. Das nun geplante Gesetz schaltet diesen Mechanismus aus. Eingeführt hatte ihn die rot-grüne Koalition im Jahr 2004 mit dem Ziel, die gesetzliche Rente dauerhaft stabil zu machen.

Zwei Sichtweisen auf die Rente: Finanzminister Christian Lindner (Mitte) trägt die Beschlüsse der Ampel, die Unionspolitiker Dobrindt (links) und Merz kritisieren.dpa

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete den neuen Kurs am Mittwoch als „klares Zeichen für Leistungsgerechtigkeit“ und als „Investition in die soziale Sicherheit“. Damit bekämen „fleißige Menschen auch in Zukunft nach einem Leben voller Arbeit eine stabile Rente“, erklärte er. Sehr kritisch stellte sich am Mittwoch hingegen die CSU zu dem Gesetzespaket. Es sei „absolut keine Lösung für die Herausforderung des demographischen Wandels in der Rentenversicherung“, sagte ihr Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Folge seien erhebliche neue Belastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Stephan Stracke, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, warf der Ampelregierung sogar vor, sie kündige damit den Generationenvertrag der gesetzlichen Rente auf, indem sie Beschäftigten und Unternehmen Mehrbelastungen von insgesamt mehr als 300 Milliarden Euro in der Zeit bis 2039 aufbürde. „Mit der Ampel ist die Rente nicht mehr sicher“, sagte er. „Besonders widersprüchlich“ verhalte sich dabei die FDP, die das Rentenpaket bisher als ungerecht eingestuft habe. Trotzdem sei Finanzminister Lindner nun „eingeknickt“.

Regierung will die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge stärken

Linder kündigte indes an, dass die Regierung nach dem Sommer Vorschläge zur Stärkung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge vorlegen wolle. Dies wäre dann nach seiner Lesart eines der weiteren Rentenpakete, mit denen er auf das aktuelle Rentenpaket II reagieren will. Außerdem stellt er heraus, dass mit dem im aktuellen Paket enthaltenen „Generationenkapital“ schon Schritte zu einer Begrenzung der Belastungen unternommen würden. „Es ist wirklich eine Zäsur in der deutschen Rentenpolitik, dass wir im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nun auch in Wertpapieren anlegen werden, um die Beitragsentwicklung in der Zukunft zu begrenzen“, sagte er.

Mit dem Generationenkapital soll durch zusätzliche Schuldenaufnahme des Staates ein neuer Kapitalstock aufgebaut werden und bis 2035 ein Volumen von 200 Milliarden Euro erreichen. Durch Aktienanlage soll dieser dann Erträge erzielen, mit denen sich nicht nur die Schuldzinsen bezahlen lassen, sondern auch ein neuer Zuschuss an die Rentenversicherung. Die Regierung hofft auf 10 Milliarden Euro im Jahr, mit denen von 2036 der Beitragssatz gedämpft werden könnte. Für 2040 erwartet sie einen Satz von 22,3 Prozent mit diesen Erträgen, sonst wären es 22,6 Prozent.

Sehr kritisch sieht auch das Münchner Ifo-Institut das Rentenpaket. Das Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors gehe „an den Realitäten in Deutschland völlig vorbei“, sagte Ifo-Forscher Niklas Potrafke. Zugleich schade das Paket den öffentlichen Investitionen. Mittel, die eigentlich für bessere Straßen, Bildung und Landesverteidigung nötig seien, würden damit in die Rentenkasse gelenkt.

Die Gewerkschaft Verdi wertete das Paket indes als ersten Schritt zum Ausbau der gesetzlichen Rente, dem weitere folgen müssten. Sie fordert, wie auch die IG Metall, eine Anhebung der Kenngröße „Rentenniveau“. Dies würde bedeuten, dass die Renten in Zukunft sogar schneller steigen als die Löhne. Der Maschinenbauverband VDMA kritisierte die Rentenpolitik der Ampelregierung hingegen als nicht nachvollziehbar. „Wir können nicht über eine Wirtschaftswende diskutieren, während gleichzeitig Beitragserhöhungen beschlossen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. „Das passt nicht zusammen.“

Vor allem für die FDP könnte das weitere Gesetzgebungsverfahren noch schwierig werden. Ihre Bundestagsfraktion und ihr Parteitag hatten das vorliegende Paket schon vor dem Kabinettsbeschluss als nicht zustimmungsfähig eingestuft und zur Entschärfung unter anderem einen Ausstieg aus der sogenannten Rente ab 63 gefordert. Ihre Minister haben dem Paket nun aber trotzdem zugestimmt. SPD und Grüne lassen indessen keine Bereitschaft erkennen, auf solche Bedingungen einzugehen.

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