Unicredit und Bund: Kampf um die Commerzbank

Früher hätten sie in Frankfurt und München über die Vorstellung gelacht, eine italienische Bank könnte sich eine große deutsche Bank einverleiben. Früher, das war zur Zeit der deutschen Bankenherrlichkeit in den Achtzigerjahren mit den drei Großbanken Deutsche, Dresdner und Commerzbank in Frankfurt und den kaum kleineren süddeutschen Häusern Bayerische Vereinsbank sowie Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank in München. Das war die Zeit der Deutschland AG mit ihren Kreuzbeteiligungen. Die eigentliche Spinne im Netz war nicht die Deutsche Bank in Frankfurt, sondern die Allianz in der Königinstraße in München. Die beiden heutigen italienischen Großbanken, Unicredit und Intesa Sanpaolo, existierten damals überhaupt noch nicht.

Seitdem ist in Deutschland etliches schiefgelaufen. Das Debakel begann mit der von der Bayerischen Staatskanzlei und jener Spinne aus der Münchner Königinstraße in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre erzwungenen Verheiratung der starken Vereinsbank mit der schwachen Hypotheken- und Wechsel-Bank, um eine Übernahme der Vereinsbank durch die Deutsche Bank zu verhindern und den Bankenplatz München zu stärken. Das Ergebnis dieser Mesalliance hieß Hypovereinsbank (HVB). Sie war zwar mit Blick auf die Bilanzsumme die zweitgrößte Bank in Deutschland, geriet aber wegen eines großen Bestands an faulen Immobilienkrediten bald in erhebliche Schwierigkeiten.

Im Jahr 2005 schlossen sich die geschwächte HVB und die erst wenige Jahre zuvor aus Zusammenschlüssen italienischer Häuser entstandene Unicredit zusammen. Die Münchener träumten von einer Verbindung unter Gleichen, doch übernahm bald die stärkere Unicredit die Macht. Von den fünf deutschen Großbanken der Achtzigerjahre befanden sich in der Mitte der Nullerjahre schon zwei unter italienischer Kontrolle. Als Skandal wurde das nicht wahrgenommen; vom Bankenplatz München ist seitdem allerdings seltener die Rede.

Die Irrungen und Wirrungen wirken ernüchternd

In Frankfurt erlebte derweil die unter Kontrolle des Großversicherers aus der Königinstraße stehende Dresdner Bank eine arge Beschleunigung ihres schon längere Zeit andauernden Niedergangs. In der Finanzkrise des Jahres 2008 musste die Dresdner Bank mit erheblichen Hilfen des Staates von der Commerzbank notübernommen werden, um die Allianz gegen Marktturbulenzen abzuschirmen. In der Commerzbank, die für eine Übernahme der Dresdner Bank eigentlich nicht die notwendige Größe besaß und selbst von der Finanzkrise betroffen war, band die Integration jahrelang erhebliche Ressourcen. Trotz aller wackerer Bemühungen der Commerzbank bleibt der Befund, dass der Staat seine 2008 übernommenen Aktien heute mit Verlust verkauft, während der amerikanische Staat seine in der Finanzkrise erworbenen Bankbeteiligungen längst mit Gewinnen abgegeben hat.

Die Folgen dieser Irrungen und Wirrungen wirken ernüchternd: Die Deutsche Bank, deren jüngere Geschichte auch nicht nur von Glanz und Gloria geprägt ist, und die Commerzbank kommen auf Börsenwerte von 29 beziehungsweise 19 Milliarden Euro. Von den Börsenwerten der italienischen Großbanken trennt das deutsche Duo eine ganze Welt. Diese Börsenwerte belaufen sich auf 69 (Intesa Sanpaolo) beziehungsweise 61 Milliarden Euro (Unicredit).

Im Falle einer Übernahme der Commerzbank durch Unicredit befänden sich vier der fünf deutschen Großbanken der Achtzigerjahre im Besitz eines Hauses aus Mailand. Nur die Deutsche Bank bliebe mit einem im europäischen Vergleich mittelmäßigen Börsenwert übrig.

Diese Betrachtung der jüngeren Bankengeschichte nützt der Commerzbank in ihrem Kampf um ihre Unabhängigkeit nichts. Aber sie wirft einen Blick auf Pfadabhängigkeiten und Verantwortungen. Eine Konsolidierung der Banksysteme war seit den Neunzigerjahren in vielen Ländern zu beobachten. In Deutschland gelang sie schlechter als etwa in Italien, in Frankreich oder in Spanien.

In der Finanzkrise sahen auch deutsche Banken schlecht aus. Nicht nur eine unglückliche Hand in der Konsolidierung spielte eine Rolle, sondern auch – und eher noch mehr – die politisch und gesellschaftlich gewollte Starrheit eines Drei-Säulen-Systems mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken. Alte Sünden werfen lange Schatten. Daher lachen sie in Frankfurt und München heute nicht mehr über die Italiener.

Die aktuelle Beteiligung von rund 9 Prozent, die Unicredit an der Commerzbank übernommen hat, wird in Berlin wie in Frankfurt ernst genommen. Zur Hälfte kam sie zustande durch einen neuerlichen Anfall von Dysfunktionalität in der Bundesregierung, indem Unicredit beim Verkauf staatlich gehaltener Aktien entgegen der Absicht der Regierung ein Anteil von 4,5 Prozent an der Commerzbank zugeteilt wurde. Das ist zweifellos arg, aber irgendwie passt diese skurrile Episode auch wieder in die Unglücksgeschichte der deutschen Bankenkonsolidierung.

Die Ankündigung des Unicredit-Vorstandsvorsitzenden Andrea Orcel in der Zeitung „Il Messagero“, die Bank strebe kein unerwünschtes Übernahmeangebot an („ein zu aggressiver Schritt“), mag zunächst Sorgen vor einer Hauruckaktion der Italiener zerstreuen. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ließ sich Orcel alle Optionen offen. Ein Interesse an der Übernahme der Commerzbank bleibt jedoch unverkennbar, selbst wenn dieser Prozess mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnte.

Die Ouvertüre des Wettstreits erinnert an eine Vielzahl anderer Übernahmeversuche. Das potentielle Ziel sieht sich gut aufgestellt und versichert, aus eigener Kraft noch besser zu werden. Der potentielle Übernehmer betont hingegen, das Übernahmeziel benötige einen starken Partner, um seine Möglichkeiten voll auszuschöpfen.

Die Commerzbank, ablesbar an Äußerungen ihres Vorstandsvorsitzenden Manfred Knof und ihrer stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Bettina Orlopp, sieht sich für einen Alleingang gut gerüstet. In der kommenden Woche werden Vorstand und Aufsichtsrat zwei Tage lang über die Aussichten sprechen. Argumente für ihre Sicht der Dinge haben Knof und Orlopp durchaus. Hinter dem im Vergleich der europäischen Großen nicht sehr beeindruckenden Börsenwert der Commerzbank verbirgt sich eine sehr ansehnliche Wachstumsgeschichte in den vergangenen Jahren, die den Aktienkurs von rund 5 auf annähernd 15 Euro steigen ließ.

Da die Summe der Erträge kaum gestiegen ist, erklärt sich das Gewinnwachstum mit einer deutlich höheren Effizienz; zudem haben steigende Zinsen geholfen. Die Führung der Commerzbank will erläutern, wie sie die Bank in den kommenden Jahren im Alleingang noch effizienter aufstellen und den Aktienkurs noch weiter steigern möchte. Sie muss im Wettbewerb der Strategien überzeugen.

Orcel argumentiert wenig erstaunlich, eine Kombination aus Commerzbank und HVB in Unicredit böte der Commerzbank sehr viel mehr Chancen. „Deutschland braucht mehr Wettbewerb im Bankensektor. Eine zweite starke und profitable Bank könnte dabei helfen“, sagte er im Gespräch mit der F.A.Z. HVB und Commerzbank würden sich auch in regionaler Hinsicht gut ergänzen. „Aus all diesen Gründen erhielten wir eine relativ positive Reaktion aus der Unternehmenswelt, besonders aus dem Mittelstand“, berichtete Orcel.

Dazu sind in Deutschland auch aus Unternehmenskreisen allerdings andere Ansichten zu hören. Sie wenden sich gegen Orcels Bild einer föderalen Struktur der Unicredit, das er in der F.A.Z. so beschrieb: „Die HVB ist innerhalb unserer Gruppe eine der unabhängigsten und einflussreichsten Banken. Das wäre auch für die Commerzbank der Fall, wenn wir einen Deal mit ihnen machen. Dann wäre Deutschland ungefähr so groß wie Italien, das heute unser größter Markt ist.“

Die Hypovereinsbank, lange als Aktiengesellschaft geführt, wurde 2023 auf den Status einer als GmbH verfassten Filiale reduziert. Und zumindest anekdotische Evidenz deutet an, dass wichtige Kreditentscheidungen der HVB in Mailand getroffen werden.

Die Frage nach den Risiken.

Dem stellt man in Deutschland gerne das Bild einer Commerzbank als Mittelstandsbank entgegen, die kundennah agiere. Dazu ergänzt sich eine Sorge, eine an einer noch höheren Rentabilität ausgerichtete Commerzbank müsse notwendigerweise ihr Kreditvolumen gegenüber dem Mittelstand reduzieren, wenn Orcels anspruchsvolle Ziele erreicht werden sollten. Darunter, so die düstere Prognose, könne die gesamte deutsche Wirtschaft leiden – womit, unausgesprochen, eine Übernahme der Commerzbank zu einer systemrelevanten Angelegenheit würde und einer Zustimmung der Regierung bedürfe. Eine drastische Reduzierung des Kreditgeschäfts, so raunen Stimmen, könne man jetzt schon in der HVB sehen.

Ein Blick auf die nackten Zahlen der HVB bestätigt diesen Eindruck nicht zwingend. Ihre Bilanzsumme ist zwischen 2019 und 2023 zwar von 303 auf 282 Milliarden Euro gesunken, doch sind die Forderungen an Kunden, zu denen auch die Kredite an Unternehmen (aber nicht nur an sie) zählen, von 140 auf 155 Milliarden Euro gestiegen. 2023 steuerte das Geschäft mit Unternehmen zu den Gesamterträgen von 5,4 Milliarden Euro immerhin 3,6 Milliarden Euro bei.

Der Anteil des Geschäfts mit Unternehmen am Gesamtgeschäft ist in der HVB höher als in der Commerzbank. Dort wurden 2023 Erträge über 10,5 Milliarden Euro verzeichnet, von denen 4,5 Milliarden Euro auf das Geschäft mit Unternehmen entfielen und darunter 2,6 Milliarden Euro auf das Mittelstandsgeschäft. Auf den Mittelstand entfällt ein Viertel der Erträge der Commerzbank.

Auch wenn Übernahmen von Banken in Europa grundsätzlich möglich sein müssen, stellt sich in jedem Fall die Frage nach den Risiken. Unicredit und Commerzbank kämen – vor der Nutzung von Synergien – zusammen auf eine Bilanzsumme von rund 1300 Milliarden Euro. Diese Bank hätte ihr Geschäft mindestens zur Hälfte in Deutschland, ihren Sitz aber in Italien. Das Rating der Unicredit, die hohe Bestände an italienischen Staatsanleihen hält, leidet unter dem schwachen Rating Italiens. Falls die Bank sich einmal in einer Krise befinden sollte, wäre eine grenzüberschreitende Lösung bei den heutigen Regeln in Europa schwierig, warnt der Ökonom Martin Hellwig.

Grenzüberschreitende Bankenheiraten kommen nicht ohne zumindest ein stilles Kopfnicken von Regierungen zustande. Das weiß auch Unicredit-Chef Andrea Orcel. Die Bundesregierung hat inzwischen angekündigt, auf absehbare Zeit keine weiteren Aktien zu verkaufen. Ob der Italiener den Auftritt eines Wettbewerbers fürchten muss, erscheint hingegen eher zweifelhaft. BNP Paribas aus Frankreich (Börsenwert 74 Milliarden Euro), manchmal als Interessent für die Commerzbank genannt, dürfte nicht willkommener sein als Unicredit. Und die Deutsche Bank hat schon einmal aus guten Gründen eine Ehe mit der Commerzbank abgelehnt.

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