Ungleichheit | Die Alten wissen, wie man Widerstand organisiert

Der Impfstoff ist global ungerecht verteilt und reiche Länder schaden ärmeren durch selektive Reiseverbote. Für die Anti-Apartheid-Aktivistin Fatima Hassan ist das Gesundheitskolonialismus – und nicht das erste Mal, dass er ihr begegnet

Corona sei für sie eine Art Déjà-vu gewesen, sagt Fatima Hassan. Schon zu Beginn der Pandemie warnte die südafrikanische Menschenrechtsanwältin und Aktivistin vor einer Impf-Apartheid und vor drohendem Gesundheitskolonialismus.

Seitdem nimmt sie an Diskussionsrunden teil, gibt zahllose Interviews, setzt sich unermüdlich für eine Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe ein, prangert die ungleiche Verteilung und deren Konsequenzen an und die Tatsache, dass Menschenleben offenbar nicht überall gleich viel zählen. Den Ländern des globalen Nordens wirft sie strukturellen Rassismus vor, auch mit Blick auf die selektiven Reiseverbote nach Entdeckung der Omikron-Variante.

Ihre Landsleute schätzen Fatima Hassan für ihre klaren Worte. Für viele junge Aktivisten ist sie ein Vorbild, bekannt aus der Zeit, in der sie um den Zugang Südafrikas zu bezahlbaren HIV-Medikamenten kämpfte. Damals gehörte sie zu den Anwältinnen, die gegen die Regierung klagten und gewannen.

„Es war zunächst ermutigend“, sagt Fatima Hassan, dass zu Beginn der Corona-Pandemie „von Gesundheit als öffentlichem Gut die Rede war, von Wissensaustausch und Solidarität. Aber wir haben schon damals vor leeren Versprechungen gewarnt.“

Ihre Erfahrung habe sie gelehrt, dass man sich in Bezug auf lebensrettende Medikamente und Impfungen nicht auf Wohlwollen und Wohltätigkeit verlassen könne. Stattdessen brauche es „einklagbare Garantien“.

Hassan ist eine von vielen Aktivistinnen, die während der Apartheid aufgewachsen sind und bis heute für ihre Ideale kämpfen. Junge Aktivisten der sogenannten Born-Free-Generation, die nach der demokratischen Wende geboren wurden, profitieren von ihrem Erfahrungsschatz: wie man Widerstand organisiert, Menschen mobilisiert, aufklärt, wasserdicht argumentiert und effektive Strategien entwickelt.

Es finde ein lebhafter Austausch zwischen den Generationen statt, sagt Vuyiseka Dubula, selbst Aktivistin und Dozentin am Centre for Civil Society an der Universität von KwaZulu-Natal. Ältere Aktivistinnen seien dabei wichtig, weil sie daran erinnerten, wie frühere Kämpfe ausgetragen worden seien. „Ohne diese Art eines institutionellen Gedächtnisses der Zivilgesellschaft wären wir verloren“, sagt sie. Etwa, wenn jüngere Aktivistinnen fragen, was Freiheit und Demokratie bedeuteten, wo sie doch keinen gerechten Zugang zu Gesundheit, Landbesitz oder Arbeitsplätzen gebracht hätten.

„Es ist wichtig, dass sie aus erster Hand erfahren, welchen Weg wir bereits zurückgelegt haben, damit sie die Zukunft gestalten können“, so Dubula. Dass Aktivistinnen wie Fatima Hassan schon seit Jahrzehnten einen Kampf gegen die eklatante und weiter bestehende Ungleichheit führen, sei nicht nur ein Zeichen dafür, dass Veränderungen Zeit bräuchten, so Dubula, sondern auch ein Hoffnungsschimmer. „Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass wir nicht aufgegeben haben und das auch in Zukunft nicht tun werden, damit wir irgendwann einmal die Ziele erreichen, die wir alle anstreben.“

Leonie March lebt seit 2009 als freie Korrespondentin in Südafrika

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