unerwartetes Ereignis | Dank Haftbefehl ist Reinhard Mey wieder weit – ebendiese Hits sind immer gut

Ja, Mey: In meinem Garten!

In der Doku Babo über den Rapper Haftbefehl ist dieser Moment gegen Ende deshalb besonders, weil es ausnahmsweise mal nur um die Musik geht – wenn auch die eines anderen. Wie ein angezählter Boxer mit hängender, vom Kokain zertrümmerter Nase und tief sitzender Kapuze hockt er da und spielt auf seinem Handy den 55 Jahre alten Song In meinem Garten von Reinhard Mey. Beseelt geht er darin auf. „Kennst du den?“, fragt er, als würde er von Slick Rick oder Big L sprechen, und hebt bei der Zeile „In meinem Dache, in meinem Dache / Baut ein Rabe sich sein Nest“ mitsingend den Zeigefinger, als wolle er auf eine besonders harte Punchline hinweisen.

Dem Künstler Haftbefehl ging es immer um die Kraft der Sprache und die beherrscht auch Reinhard Mey. Nun ist In meinem Garten der meist gespielte Mey-Song auf Spotify und die Plattenpressen werden bei Universal wieder angeschmissen. Göttliche Fügung oder Marketing-Coup? Kommt noch eine Kollabo wie einst zwischen Ski Aggu und Otto Waalkes? Ji-Hun Kim

A wie Alterserfolg: Robinson Crusoe

Trotz bester Voraussetzungen gleich mehrfach zu scheitern ist eine Kunst. Und auf die verstand er sich bestens. Ein mit der üppigen Mitgift seiner Frau gegründetes Unternehmen geht bankrott. Widrige Umstände, aber auch mangelndes kaufmännisches Talent sind die Ursachen. Schriftstellerisch ist er erheblich begabter, doch seine aufmüpfigen Pamphlete erregen den Zorn der Obrigkeit und er wandert ins Gefängnis. Wieder einmal ist er ruiniert. Doch er gibt nicht auf.

Von puritanischem Arbeitseifer beseelt, beginnt er eine Karriere als Journalist (→ Nachlass). Sein Name wäre dennoch heute vergessen, hätte er nicht den Bericht eines Seemanns gelesen, der vier Jahre auf einer einsamen Insel zugebracht hatte. Eine Buchidee ist geboren. 1719, mit 59 Jahren, veröffentlicht Daniel Defoe seinen Roman Robinson Crusoe, der zum internationalen Bestseller avanciert. Dass der Erfolg vor allen Dingen seinen Verleger zum reichen Mann macht, verwundert angesichts von Defoes Biografie wenig. Joachim Feldmann

Eins, zwei, drei, Berlin

Ans monumentale Filmplakat kann ich mich gut erinnern. Es schmückte das Berliner Delphi-Kino ja unfassbare 43 Wochen lang. Das war 1985. Als Billy Wilder 1961 seine Ost-West-Komödie Eins, zwei, drei in der noch durchlässigen Stadt drehte, wurde plötzlich die Mauer hochgezogen. Schlechtes Timing. Gags über sowjetische Apparatschiks und den Coca-Cola-Imperialismus wirkten bei diesem Trauma unpassend, das Meisterwerk floppte (→ Star Trek) und die bräsige Springer-Presse war eh wieder am Motzen.

Dann der unverhoffte Publikumserfolg in den 1980ern. Der Kalte Krieg war ritualisiert, man konnte über ihn lachen. Auch über Horst Buchholz, der als Jung-Kommunist mit dem Motorrad durchs Brandenburger Tor rast, während sich am Auspuff unbemerkt ein Ballon mit der Aufschrift „Russki, go home!“ aufbläht. Zeitloser geht’s kaum. Philipp Haibach

Auch so ein Langsamzünder: Herr der Ringe

Blickt man von heute auf sein Werk zurück, würde wahrscheinlich kaum jemand vermuten, dass J. R. R. Tolkien Anlaufschwierigkeiten hatte. Immerhin hat das ZDF mit Die Ringe der Machtdiese millionenschwere Fantasy-Vorgeschichte von Amazon ins Programm geholt. Tatsächlich dauerte es, bis Der Herr der Ringe zum Erfolgsschlager wurde. 1954/55 erschienen die drei Bände erstmals und erfuhren mäßige Aufmerksamkeit.

Als 1964 in den USA eine Paperbackausgabe herauskam, die aufgrund unklarer Rechtslage quasi als Raubdruck erschien, schlug diese endlich ein. Aber für die deutsche Ausgabe wurde 15 Jahre lang ein Verlag gesucht, der das Werk veröffentlichen will. Danach folgten Wellen des Erfolgs. Unterm Strich blieb dieser aber auf Fantasy-Kreise beschränkt. Erst die Realverfilmung ab 2001 machte das Epos wirklich populär. Tobias Prüwer

Mozart stieß mit manch einem Klavierkonzert auf Ablehnung

Sogar für einen Mozart öffneten sich nicht gleich die Ohren: Seine letzten Klavierkonzerte, die erst ganz zeigen, was er konnte, stießen bei den Wiener Zeitgenossen auf Ablehnung. Denn alle große Musik ist utopisch und das heißt: für ein Publikum geschrieben, das es nicht gibt – das durch sie erst erschaffen wird. Bei Gustav Mahler war es aber anders. Wie er den Zusammenbruch der bürgerlichen Kultur im Ersten Weltkrieg musikalisch vorausahnte, wurde von deren Repräsentanten spontan verstanden und bei der Uraufführung seiner Achten (1910) verzweifelt gefeiert.

Weil er freilich Jude war, wollten die Nazis, dass er vergessen werde. Erst als Luchino Viscontis Film Tod in Venedig in die Kinos kam (1971) und mit dem Adagietto von Mahlers Fünfter begann, einer Sehnsuchtsmusik von kaum noch erträglicher Schönheit, war er sofort und nachhaltig wieder da. Besonders auch Adornos Mahler-Buch (1960) hatte seine Wiederentdeckung vorbereitet. Heute gibt es wenige, die in den Konzertsälen präsenter sind als er. Michael Jäger

Louise Bourgeois und die Spinne Maman

Annähernd zehn Meter ist sie hoch, in ihrem langbeinigen Körper trägt sie Marmoreier und sie steht vor dem Guggenheim-Museum in Bilbao. Erschrecken braucht man nicht vor Maman, wie Louise Bourgeois diese Bronzespinne nannte. Festgemauert in der Erde kann sie einem nichts tun. Außerdem sind Spinnen im Werk der Künstlerin, die 1911 geboren wurde und in Paris in einer Galerie für historische Textilien mit angeschlossener Weberei aufwuchs, positiv besetzt.

Maman steht für Fruchtbarkeit und für die eigene Mutter, die in Louises Kindheit oft an Teppichen arbeitete und die Tochter vor dem unberechenbaren Vater schützte. Obwohl Spinnen schon ab den 1940ern im Werk von Louise Bourgeois auftauchen, schuf sie die riesigen Exemplare erst ab Mitte der 1990er-Jahre. Da war sie bereits Mitte achtzig und auf dem Gipfel ihrer Popularität. Beate Tröger

Unbedingt lesen: Sebastian Haffners Abschied

Es war eine literarische Sensation, als in diesem Sommer aus dem Nachlass des 1999 verstorbenen Publizisten Sebastian Haffner 169 handgeschriebene Seiten als Roman Abschied bei Hanser erschienen – eine sehr witzige, sehr, sehr melancholische Liebesgeschichte. Sie spielt 1931 in Paris: Der schöne Franz aus Süddeutschland, der höfliche Horrwitz, der schweigsame Andrews und der junge Jurist Raimund aus Berlin umschwirren die Jüdin Teddy, in die sich Raimund alias Haffner im Sommer zuvor verliebt hat. Haffner war 24, als er Abschied schrieb.

Es ist Frühjahr 1931, Zwischenkriegszeit, ständig werden Gitanes geraucht, es ist ein Kommen und Gehen in Teddys Bohème-Kämmerchen. Die Handlung konzentriert sich auf den Tag von Raimunds Abreise, er ist todunglücklich, hitzköpfig vor Liebeskummer. Erst 1938 ging Haffner ins Exil nach England (→ Zweite Doktorarbeit), wo er zum bekannten Publizisten wurde. Die ebenfalls posthum erschienene Geschichte eines Deutschen (2000) wurde ein Weltbestseller – das erzählende Sachbuch zu diesem Roman. Katharina Schmitz

R wie Rickrolling, ein Youtube-Scherz

Rick Astleys Hit Never Gonna Give You Up von 1987 (für manche war es Plastik-Pop) erlangte 20 Jahre später durch einen Internet-Scherz eine neue, massive Popularität. Bei dem Gag werden Nutzer im Internet unwissend auf das Musikvideo geleitet. Dabei wird der Link in einen Text eingebaut, der das Interesse der ahnungslosen Leser erwecken soll. Das Internetphänomen „Rickrolling“ wurde zum beliebten Meme.

Vor allem auf Webseiten wie Reddit werden „Rickrolls“ häufig eingesetzt, um andere Nutzer des Portals auf den Arm zu nehmen. Am 1. April 2008 leitete Youtube als Aprilscherz alle Links auf seiner Startseite kurzzeitig auf das besagte Musikvideo um und „rickrollte“ so ahnungslose Besucher. Am 28. Juli 2021 erreichte das Original-Musikvideo von Rick Astleys frühem und späten Smashhit bei Youtube mehr als eine Milliarde Aufrufe.Elke Allenstein

Star Trek, für immer Evergreen

Star Trek, heute eine der erfolgreichsten Science-Fiction-Storys überhaupt mit 13 Serien und 14 Spielfilmen in sechs Jahrzehnten, war anfangs fast ein Flop (→ Berlin). Die originale Star-Trek-Serie von 1966 wurde in Variety als „Weltraum-Western in Gummianzügen mit seelenlosen Dialogen“ abgecancelt. „Zu intelligent für den Durchschnittszuschauer und zu dumm für Intellektuelle“, hieß es. Die Einschaltquoten waren schlecht. Der Sender wollte nach zwei Staffeln Schluss machen, eine Fanpost-Kampagne schlug dann noch eine dritte Staffel raus, 1969 zog NBC die Reißleine.

Die Verwertungsrechte wurden relativ günstig ins Ausland verkauft, was heute als ein Grund für den globalen Erfolg der Science-Fiction-Serie gilt, die plötzlich weltweit über Bildschirme flimmerte. Selbst nach der Mondlandung blieb NBC skeptisch. Und erst 1973 wurde eine Zeichentrickserie aufgelegt (Star Trek: The Animated Series), für die Schauspieler der Original-Serie als Sprecher war das eine Art Gnadenbrot. Bis 1979 der erste Kinofilm anlief, um Kirk, Spock und Pille dann doch unsterblich zu machen. Florian Schmid

Francis Bacon oder: Z wie Zweite Doktorarbeit

Meine Frau erklärt mich für verrückt. Damit liegt sie zwar falsch, tendenziell aber durchaus richtig. Warum sonst sollte ein bald 60 Jahre alter Literaturwissenschaftler zum zweiten Mal promovieren? Nun, männliche Eitelkeit, es sich (und anderen) auf seine alten Tagenoch mal zu beweisen (→ Alterserfolg), ist kaum abzustreiten.

Der Umstand, nach einer langen Auslandsgermanistenkarriere in England vom Brexit quasi aus Unibetrieb wie Gastland rausgeworfen worden zu sein, spielt ebenso eine Rolle. Denn nun kann und darf ich mich neu erfinden. Dass es in Deutschland trotz 35 Büchern und unzähligen Fachartikeln nur bis zum Privatdozententitel gereicht hat, spricht ohnehin Bände. Eine Studie über Francis Bacon wollte ich seit Jahren schon schreiben. Warum sie also nicht gleich als kunstgeschichtliche Dissertation einreichen? Uwe Schütte

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