Unbeliebte SPD: Das Land darf nicht unter den Leiden dieser Sozialdemokraten leiden

Ein Bundeskanzler einer nicht mehr regierungswilligen und -fähigen Partei kann nicht mehr regieren. Dieser Befund galt im Herbst 1982, als die sozialliberale Koalition auseinanderbrach. Der Auslöser, nicht die eigentliche Ursache des Bruchs war das Lambsdorff-Papier des FDP-Bundeswirtschaftsministers. Es plädierte für eine am damaligen Ende des keynesianischen Zeitalters international populäre Rückkehr zu einer stärker marktwirtschaftlichen Politik.

Wer das Papier heute liest, wird es nicht als besonders radikal empfinden; im Grunde trug es seit Jahren unter anderem vom Sachverständigenrat vorgelegte Ideen zusammen. Für die SPD waren diese Ideen nicht akzeptabel. Sie fürchtete ein Kaputtsparen von Haushalt und Sozialstaat; ihre Rezepte waren Steuererhöhungen und höhere Staatsverschuldung.

Noch größere Schwierigkeiten mit der Anpassung an eine sich verändernde Welt hatte die SPD in der Verteidigungspolitik. Sie kündigte ihrem Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Frage des NATO-Doppelbeschlusses die Gefolgschaft und begab sich auf einen sicherheitspolitischen Irrweg, den manche Linke noch heute für einen Ausdruck besonderer Klugheit halten. Das Ergebnis ihrer Realitätsflucht waren für die SPD 16 lange Oppositionsjahre im Bund.

Heute wirken manche Sozialdemokraten verstaubter als 1982

Geschichte wiederholt sich nicht im Detail, aber Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind unverkennbar. Die SPD findet sich wieder nicht zurecht in einer Welt, in der die Standortschwächen Deutschlands eine marktwirtschaftlichere Politik erfordern. Steuererhöhungen gelten zumindest für einen Teil der Partei als Option, während sich das Repertoire ihrer akademischen Ratgeber weitgehend auf Kritik an der Schuldenbremse beschränkt.

Sich einer höheren Verschuldung zu versagen wird als Versuch eines unannehmbaren Kaputtsparens beschimpft, der reformbe­dürftige Wohlfahrtsstaat für unan­tastbar erklärt. So klangen die Sozialdemokraten schon 1982. Heute wirkt das noch ungleich verstaubter als damals.

Das Leiden der SPD an der Realität wird auch in der Verteidigungspolitik sichtbar. Der Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister mögen sich zur Unterstützung der Ukraine bekennen; in der Partei dagegen sind ganz andere Stimmen zu hören. Diese Stimmen dürften mit schwachen Wahlergebnissen lauter werden.

An die Kernwähler erinnern

Ihre Verstaubtheit in wichtigen Themen kostete die SPD 1982 die Macht im Bund, aber sie gefährdete nicht die Existenz der Partei. Im Jahr 1983 erhielt sie 38 Prozent der Stimmen, vier Jahre später waren es 37 Prozent. Vor drei Jahren reichten 25,7 Prozent zur Kanzlerschaft dank eines wenig populären Spitzenkandidaten der Union und eines sich außer Rand und Band befindlichen bayerischen Ministerpräsidenten.

Heute liegt die SPD in Umfragen bei rund 15 Prozent – und es spricht wenig dafür, dass die SPD im kommenden Jahr noch einmal rund 25 Prozent erreicht. Eher erscheint ein weiterer Rückgang möglich. Die SPD wäre in Europa nicht die erste Traditionspartei, die im Wind des Wandels unterginge.

Die Sozialdemokraten könnten sich daran erinnern, dass sie ihre Erfolge als eine Partei der Arbeiter feierte, von denen die meisten Wert auf äußere und auf innere Sicherheit legten und die ein leistungsfähiges Bildungssystem als eine wesentliche Voraussetzung für den sozialen Aufstieg betrachteten. Diese Kernwähler waren auch der Ansicht, dass Hilfsbedürftigen zwar geholfen werden sollte, dass sich Arbeit gleichzeitig aber lohnen muss und ein Wohlfahrtsstaat keine falschen Anreize für Nichtstun geben darf.

Viele dieser Arbeiter wählen längst die AfD – keineswegs alle aus Überzeugung, sondern weil sie im traditionellen Parteienspek­trum keine Heimat mehr finden. Aber wer in der heutigen Führung der SPD soll leistungsorientierte und bodenständige Arbeiter zurückgewinnen? Frau Esken? Herr Kühnert?

Die SPD mag mit Hubertus Heil den durchsetzungsstärksten Fachminister dieser (wie der vorherigen) Bundesregierung stellen. Aber offenbar honorieren nicht einmal die von dieser Politik profitierenden Wähler den Tatendrang des Ministers. Nicht zuletzt kleine Unternehmen konstatieren dagegen eine sie belastende Regulierungswut dieser Politik.

Die heutige SPD wirkt des Regierens zunehmend unfroh. Im Herbst 1982 beendete Helmut Schmidt die sozialliberale Koalition. Wohl kein Regierungschef verlässt gerne das Kanzleramt; das galt auch für Schmidt. Aber manchmal ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende. Die Leiden der SPD dürfen nicht zu den Leiden des Landes werden.

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