Ich beziehe als Student Geld nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) und gehöre damit wohl zu einer Minderheit. Denn nur knapp über 600.000 Studierende bekommen laut Statista im Jahr 2023 Bafög, von knapp drei Millionen Studierenden. Warum?
Bestimmt auch deshalb, weil viele vor dem enormen, bürokratischen Aufwand zurückschrecken, den ein Bafög-Antrag mit sich bringt. Die Antragsteller müssen tief in den Geldbeutel der Eltern blicken lassen. Zu Beginn meines Studiums beantragte ich Bafög beim zuständigen Studierendenwerk – noch auf die herkömmliche Weise. Sie wollten alles wissen und einsehen: die Einkommenssteuerbescheide meiner Eltern, Belege über mögliche Riester-Renten oder eventuelle Nachweise über Schwerbehinderungen. Nach zwei Monaten kommt dann der Bescheid: 455 Euro pro Monat.
Auf meine Frage hin, wie ich davon Miete, Kranken- und Pflegeversicherung, Strom und Lebensmittel bezahlen solle, lautete die Antwort: „Die Eltern können ja etwas dazugeben.“ Aber schon eine Kranken- und Pflegeversicherung für Studierende kostet um die 130 Euro, wenn man über 25 Jahre alt ist. Meine Eltern arbeiten in der Industrie und im Gesundheitswesen – einst solide Branchen. Dennoch finde ich, dass man mit 25 Jahren nicht mehr finanziell abhängig von den Eltern sein sollte. Das Bafög soll ja eigentlich für meine Unabhängigkeit während des Studiums sorgen. Doch in der Realität sieht das anders aus.
Was für die einen eine Frage der Neigung ist, bleibt für andere eine Frage des Geldes. Ein Blick in den jährlichen Hochschulbildungsreport offenbart die soziale Schieflage: Im Jahr 2021 hatten 27 Prozent der Studierenden mindestens einen Elternteil mit Hochschulabschluss, Tendenz steigend. 1991 lag dieser Anteil noch bei 12 Prozent. Die Zahlen spiegeln das wider, was bereits bekannt ist: Die Hürden im Bildungssektor für den Nachwuchs ohne akademischen Familienhintergrund sind hoch.
Die Kosten für ein WG-Zimmer kann die Wohnpauschale nicht decken
1971 wurde das Bafög mit dem Ziel eingeführt, Jugendlichen aus Arbeiterfamilien den Weg an die Hochschulen zu ebnen. Damals war es noch als Zuschuss, ohne Rückzahlungspflicht, gedacht. Seitdem hat sich die Bafög-Beantragung drastisch verändert.
Anfang der 2000er Jahre wurde mit dem sogenannten Bologna-Prozess eine vereinheitlichte europäische Basis für alle Studiengänge geschaffen. Damit einher ging eine regelrechte Verschulung der gesamten Hochschullandschaft. Diesem Studiendruck standzuhalten und neben dem Studium zu jobben, ist dadurch nicht einfacher geworden.
Glück gehabt: Ich wohne gerade in Essen in einer kleinen Wohnung und zahle für knappe 34 Quadratmeter momentan 290 Euro warm. Dazu kommen noch Strom- und Internetkosten mit 80 Euro. Die Bafög-Wohnpauschale von 380 Euro ist in Städten wie Essen, Berlin, München oder Köln aber kaum etwas wert. Dort zahlt man selbst für ein WG-Zimmer im Durchschnitt etwa 550 Euro, Tendenz steigend. In Essen kostet ein Zimmer im Studentenwohnheim des Studierendenwerks im Schnitt 500 Euro für 17 Quadratmeter.
Auch hier stoßen Studierende an ihre finanziellen Grenzen: Die Wartelisten für einen Platz im Wohnheim sind lang; es kann Monate, manchmal sogar über ein Jahr dauern, bis ein Platz frei wird. In Städten wie Berlin oder München sind die Chancen besonders gering. In vielen Universitätsstädten verschärft sich die Lage weiter, da es zu wenige bezahlbare Wohnheimplätze gibt, und die Konkurrenz um den knappen Wohnraum wächst.
Gegen die politische Überzeugung
Nach meinem Abitur habe ich mich an verschiedenen Universitäten beworben, unter anderem auch in Marburg. An dieser historischen Universitätsstadt lassen sich die Wohnraumprobleme gut aufzeigen. Dort stand ich im Sommer 2022 vor der Wahl, ob ich in das Haus einer Burschenschaft ziehe. Ansonsten hätte ich keine Unterkunft gehabt. Das ging anderen Studierenden ähnlich, wie ich erfuhr. Aber Überzeugungen hinten anstellen und Teil einer Studentenverbindung werden, für eine Bleibe?
In diesen oft reaktionären Vereinigungen wird günstiger Wohnraum angeboten – allerdings mit einem politischen Preis. Es gibt enge Verbindung zwischen den Burschenschaften und der extremen Rechten. Die Burschenschaften im Dachverband Deutsche Burschenschaft haben sich entschieden, die Mitgliedschaft an ein völkisches Verständnis von Deutschsein zu knüpfen. Eine Entscheidung, die nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die eigenen Werte betrifft.
Doch die Wohnsituation ist nur ein Teil des Problems. Die Lebenshaltungskosten steigen unaufhörlich: Während 2016 zehn Brötchen noch 2,70 Euro kosteten, zahlt man heute fast 4,80 Euro. Laut Verbraucherzentrale sind die Lebensmittelpreise zwischen 2021 und 2024 um bis zu 37 Prozent gestiegen. Zwar hat sich die Inflation 2024 in einigen Bereichen abgeschwächt, doch Grundnahrungsmittel bleiben teuer, und die Kaufkraft der Studierenden ist weiterhin schwach. Der durchschnittliche Bafög-Satz von 640 Euro (2024) reicht hier oft nicht aus.
Viele Studierende müssen neben dem Studium jobben. Zusätzlich zum Bafög darf man bis zu 556 Euro dazuverdienen. Doch selbst mit diesem zusätzlichen Einkommen bleibt es schwierig, hohe Mieten und steigende Lebenshaltungskosten zu decken. Während der Pandemie haben zudem rund 42 Prozent der Studierenden ihre Nebenjobs verloren.
Studieren ohne Schuldenfalle
Die steigende Inflation hat die Kaufkraft der Studierenden weiter geschwächt. Eigentlich sollte das Bafög elternunabhängiger werden. Im Sommer letzten Jahres wurden die Bafög-Sätze dann um fünf Prozent angehoben. Der Bafög-Höchstsatz beträgt nun also 992 Euro statt der bisherigen 934 Euro. Im Koalitionsvertrag hat sich die Union mit der SPD auf eine Reform des Bafög geeinigt.Unter anderem soll der Bedarfssatz für die Studentinnen und Studenten bis 2028 an das Niveau der Grundsicherung angepasst werden. Ob diese Änderungen am Ende auch wirklich umgesetzt werden, ist bislang nicht abzusehen.
Fast jeder zweite Studierende verlässt die Hochschule mit Schulden. Ob durch Bafög – hier müssen im Höchstfall um die 10.000 Euro zurückgezahlt werden – oder durch Studienkredite wie die der KfW-Bank, die mit Zinssätzen von aktuell noch 6,31 Prozent eine ernsthafte Belastung darstellen können. Auch das schreckt viele Studierenden ab, die finanziellen Hilfen anzunehmen.
Etwa vier Jahre nach dem Ende der Regelstudienzeit meldet sich das Bundesverwaltungsamt Köln. Und will wissen, wie man gedenke, die Schulden zu begleichen. Üblich sind Monatsraten mit einer Höhe von etwa 130 Euro. Was aber, wenn der sichere Job noch auf sich warten lässt? Wer nach dem Studium ein Einkommen von monatlich weniger als 1.690 Euro (nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungspauschale) hat, kann einen Antrag stellen, um die Rückzahlung auszusetzen. Für einzelne Monate kann die Zahlung auch pausiert werden.
Verbände und Studierendenvertretungen fordern daher eine grundlegende Reform der Studienfinanzierung. Vor 15 Jahren ging es in den „Bildungsstreiks“ um mehr als die Abschaffung von Studiengebühren, heute muss es unter anderem um die Finanzierbarkeit des Studiums für alle gehen – ohne dabei in eine Schuldenfalle zu tappen.
Besser wäre eine gerechtere Studienfinanzierung
Einige Studierende organisieren sich bereits in Gewerkschaften oder Hochschulgruppen, um gegen die belastenden (finanziellen) Zustände zu protestieren. Auch ich bin seit Beginn meines Studiums in der Gewerkschaft. Nur gemeinsam lassen sich Erfolge verbuchen. Seit meinem dritten Semester bekomme ich den Bafög-Höchstsatz. Mit Unterstützung der Gewerkschaft habe ich die Beantragung durchbekommen.
Was die wenigsten wissen: Es gibt eine Gesetzeslücke, von der auch ich profitiere. Das Bafög wird erst dann elternunabhängig gezahlt, wenn man über 30 Jahre alt ist oder nach dem 18. Lebensjahr fünf Jahre gearbeitet hat. Hat man, wie ich, vor dem Studium eine Berufsausbildung absolviert, muss man drei Jahre oder entsprechend länger gearbeitet haben.
Die Forderungen nach einem elternunabhängigen Bafög, das die tatsächlichen Lebenshaltungskosten abdeckt, und nach einer grundlegenden Reform der Studienfinanzierung sollten deshalb ernst genommen werden. Hierbei sind nicht nur die Studierenden gefragt. Auch Politik und Universitäten müssen handeln. So rät die Initiative Arbeiterkind in einer Studie, dass die Hochschulen individuelle und niedrigschwellige Beratungsangebote für Studierende aus Nichtakademikerfamilien anbieten.
Denn mehr als die Hälfte aller Schulabgänger beginnt heutzutage ein Studium. Das Privileg eines Hochschulbesuchs sollte deshalb nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.