Umgang mit Rechten: In Frankreich bröckelt die Brandmauer schon länger

Als Jordan Bardella auf dem Podium der diesjährigen Sommerkonferenz des größten französischen Arbeitgeberverbands Medef seine Vorstellungen von Wirtschaftspolitik präsentierte, brandete nicht nur vereinzelt Applaus auf. Bei vielen der anwesenden Unternehmer kam der junge Parteichef des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) gut an.

Dazu muss man wissen: Im Publikum saßen neben Vertretern der Pariser Wirtschaftselite zahlreiche Mittelständler und Medef-Vertreter aus den Regionen; der „Provinz“, wie viele Hauptstädter traditionell mit abwertendem Unterton zu sagen pflegen.

Längst ist der RN auch in der französischen Wirtschaft auf dem Vormarsch. Die „Brandmauer“ gegen rechts, die die Familienunternehmer in Deutschland nun einreißen wollen, hat im Nachbarland schon vor Jahren zu bröckeln begonnen. In einigen der RN-Hochburgen des deindustrialisierten Nordens und in Südfrankreich machten bei den letzten Wahlen mehr als 50 Prozent der Wähler bei den Rechtspopulisten ihr Kreuz.

„Die Chefs sind frustriert“

Zwangsläufig hat das zu einer „Normalisierung“ des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Mandatsträgern des RN geführt. Dass sich dieser heute pragmatisch-wirtschaftsliberal positioniert, eine „Melonisierung“ nach italienischem Vorbild betreibt und radikalen Forderungen wie dem Euro- und EU-Austritt abgeschworen hat, erleichtert den Austausch.

Für viele Millionen Franzosen hat die unter ihrem Gründer Jean-Marie Le Pen und seiner Tochter Marine Le Pen früher offen rechtsextremistische Partei ihren Schrecken verloren. Das schließt Kunden und Belegschaft der Betriebe, aber auch deren Geschäftsführer und Gründer ein. Im Kleinunternehmerverband U2P stimmte bei den Parlamentswahlen 2024 laut Demoskopen eine Mehrheit der Mitglieder für den RN.

Dass Frankreich seitdem politisch dauergelähmt ist, treibt die Zustimmung weiter in die Höhe. „Die Chefs sind frustriert, dass nichts vorangeht“, sagt ein einflussreicher Pariser Unternehmensberater. Ausbleibende Reformen, die lähmende Bürokratie und steigende Steuern und Abgaben seien Wasser auf die Mühlen des RN, dem obendrein der Nimbus der Unverbrauchten in die Karten spielt.

Am Dienstag vermeldete das Umfrageinstitut Odoxa, dass Bardella eine Stichwahl der Präsidentschaftswahlen gegen alle derzeit diskutierten Gegenkandidaten gewinnen würde.

Keine bedeutsamen Strippenzieher

Dennoch: Von einer völligen „Normalisierung“ des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und RN kann noch keine Rede sein. Die Rechtspopulisten mögen in den französischen Regionen zur führenden politischen Kraft aufgestiegen sein. Teil des bürgerlichen Establishments sind sie in den Großstädten und allen voran in Paris bislang aber nicht.

Im hochzentralisierten Frankreich ist das nicht unwesentlich: Der schillernde Medienmilliardär Vincent Bolloré, der Unternehmer Pierre-Edouard Stérin und der frühere EDF-Chef Henri Proglio gehören hier zu den wenigen bekannten Köpfen aus der Wirtschaftselite, die mit dem RN sympathisieren oder zusammenarbeiten. Bardellas Wirtschaftsberater François Durvye und Charles-Henri Gallois sind in Paris keine bedeutsamen Strippenzieher.

Politische Zurückhaltung der Unternehmen hat in Frankreich Tradition, allen voran in Wahlkämpfen. Doch auch aus inhaltlichen Gründen scheuen die Wirtschaftseliten den direkten Kontakt mit den Rechtspopulisten. Das Wirtschaftsprogramm des RN sieht man allen voran in den Führungsetagen der internationalisierten Großkonzerne trotz aller Mäßigung sehr kritisch. Das liegt nicht nur an seinem unverändert nationalistischen Unterton und dem damit verbundenen Imageschaden, der mit einer zu starken Nähe droht.

So gelten Versprechen wie die Beibehaltung der Rente mit 62 Jahren, der Ausstieg aus dem europäischen Energiemarkt und der schnelle Bau vieler neuer Kernkraftwerke schlicht als unglaubwürdig. Tenor in den Pariser Konzernzentralen ist nach wie vor, dass der RN seine Nähe zu den Top-Entscheidungsträgern in der Wirtschaft aufbläst. Die Medef-Spitze und Afep, die Interessensvertretung der französischen Großkonzerne, halten ihn weiter auf Distanz.

Pragmatischerer Umgang der Jungen

Und doch mehren sich die Anzeichen, dass auch diese „Brandmauer“ nicht mehr von langer Dauer ist. So nimmt auf den unteren Führungsebenen der französischen Großunternehmen die Kontaktaufnahme Fahrt auf – mitunter aus Opportunismus, vor allem, um auf den zunehmend wahrscheinlichen Wahlsieg des RN vorbereitet zu sein. Gleiches gilt für diplomatische Auslandsvertretungen.

Der ein oder andere französische Konzernchef räumt inzwischen auch offen ein, persönliche Gespräche mit Le Pen und Bardella geführt zu haben. „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Kontakte zum RN habe“, sagte Eric Trappier vom Rüstungshersteller Dassault Aviation kürzlich der Zeitung „Le Monde“ – wobei ihm wichtig war zu betonen, in der Nationalversammlung auch von der Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses empfangen worden zu sein, die der linksradikalen LFI-Partei angehört.

Gerade der jungen französischen Wirtschaftselite wird ein pragmatischerer Umgang mit den Rechtspopulisten attestiert. So wird die Distanz der Präsidenten der mächtigen Arbeitgeberverbände Medef und Afep, Patrick Martin und Patricia Barbizet, Jahrgang 1960 und 1955, auch mit dem Alter erklärt. Sie gehörten nun mal der Generation an, die noch mit dem Holocaust-Leugner Jean-Marie Le Pen zu kämpfen hatte, heißt es in Pariser Wirtschaftskreisen. Dass Bardella selbst im September gerade erst 30 Jahre alt geworden ist, macht ihn gerade bei jungen Franzosen anschlussfähig.

Auf Tiktok ist der telegene und jungenhafte RN-Parteichef schon seit Langem ein Star. Doch er weiß, dass er auf dem Weg zur Macht kaum umhinkommen wird, auch die Gunst von Pariser Wirtschaftselite und Großbürgertum zu erobern. Entsprechend viel Energie steckt Bardella in die Kontaktaufnahme. Viel Aufsehen sorgte sein Brief, den er im September an die Geschäftsführer der französischen Großkonzerne schickte. Darin präsentierte er sich als Garant „wirtschaftlicher Stabilität“.

Er versprach einen beispiellosen Bürokratieabbau und eine wachstumsorientierte Steuerpolitik. Durch die „Rückgewinnung des Wettbewerbsvorteils“, den der französische Kernkraftwerkspark ermögliche, solle Frankreich wieder zu einem „Energieparadies“ werden. Im Erscheinungsbild gibt sich der RN schon länger konservativ-seriös – für die Parteiabgeordneten in der Nationalversammlung gilt Krawattenpflicht.

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