Eigentlich wollten Union und SPD am Mittwoch Handlungsfähigkeit demonstrieren. Der Kabinettsbeschluss zur Bürgergeldreform sollte zeigen, dass die Koalition sehr wohl zu Reformen in der Lage ist. Doch zu diesem Signal kam es erstmal nicht. Für die Unionsseite legte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) stellvertretend ein Veto ein. Hintergrund sind Forderungen der SPD, die auf eine Aufweichung der Bürgergeldreform hinauslaufen könnten.
Konkret geht es um den Umgang mit Arbeitslosen, die eine Zusammenarbeit mit dem Jobcenter verweigern. Das Beschlusspapier des Koalitionsausschusses von Anfang Oktober sah vor, dass Bürgergeldempfängern nach dem zweiten nicht wahrgenommenen Termin die Leistung um 30 Prozent gekürzt wird. „Bleibt auch ein dritter Termin ungenutzt, werden die Geldleistungen komplett eingestellt“, hieß es weiter. Nun geht es um die Frage, ob dazu eine einfache Mitteilung an den Bürgergeldbezieher genügt – wie die Union es sieht – oder ob der oder die Betroffene zuvor persönlich angehört werden muss. Diese Ansicht vertreten die Juristen im Arbeits- und Sozialministerium von Bärbel Bas (SPD).
Hohe Hürden für das Kürzen der Grundsicherung
Hintergrund der Debatte sind die hohen Hürden, die das Bundesverfassungsgericht in einem früheren Urteil für das Kürzen der Grundsicherung gelegt hat. In der Union sieht man jedoch die Gefahr, dass sich die Pflicht zu einer persönlichen Anhörung zu einem Schlupfloch entwickeln könnte. Warum sollte jemand, der zuvor Einladungen des Jobcenters nicht wahrnimmt, ausgerechnet zu einem Termin erscheinen, mit dem ihm die Leistung gestrichen werden soll?
Die Position des Arbeitsministeriums entspreche nicht der vorherigen Einigung, war am Mittwoch in Unionskreisen zu hören. „Das birgt die Gefahr, dass der Betroffene den Leistungsentzug einseitig verhindern kann.“ Nicht nur Reiche soll Einwände angemeldet haben, auch das Innenministerium von Alexander Dobrindt (CSU). Aus der SPD kam Kritik. Er würde sich von der Wirtschaftsministerin manchmal wünschen, „sie würde sich mit der gleichen Energie beim Industriestrompreis dafür einsetzen, dass eine wirkliche Entlastung bei den Unternehmen ankommt“, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese im ZDF. Jeder Minister im Kabinett solle sich mehr auf das fokussieren, „wofür er zuständig ist“.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hofft darauf, dass das leidige Thema vor Weihnachten abgeräumt ist, wie er am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Metall- und Elektroindustrie sagte. Am 17. Dezember tagt zum letzten Mal in diesem Jahr das Kabinett. Wenn es gut läuft, könnte die Einigung auch schon diese Woche stehen. Die ohnehin lange Liste an Themen für den Koalitionsausschuss am Mittwochabend, von Rentenkommission über Heizungsgesetz bis zu neuen Ukrainehilfen, bekam mit dem Bürgergeld jedenfalls kurzfristig noch einen weiteren Punkt dazu.