Ukraine-Hilfe: Die bösen Belgier

Kann die EU für die Ukrainehilfe auf in Europa lagernde russische Zentralbankgut­haben zugreifen? Der Streit darüber hat schon kurz nach Russlands Angriff auf die Ukraine begonnen, und bis heute hat sich der zentrale Einwand dagegen nicht verändert: Der Zugriff verstieße gegen das Prinzip der Staatenimmunität des Völkerrechts. Hinzu kommen weitere, ebenfalls bekannte Argumente. Zum ei­nen hat die Europäische Zentralbank (EZB) immer vor negativen Folgen für den Euroraum als sicherem Ort für die Anlage internationaler Währungsreserven gewarnt. Verbunden damit sind Sorgen um die globale Finanzstabilität, sollte die EU gegen das Völkerrecht verstoßen. Zum anderen existieren offenkundige Bedenken wegen möglicher russischer Vergeltung, sei es durch Klagen, sei es durch physische Angriffe.

Mittlerweile ist die Diskussion in der EU eskaliert, ohne dass sich die Argumente in irgendeiner Form geändert hätten. Klarer ist nur zweier­lei geworden: Der Finanzbedarf der Ukraine für die kommenden zwei Jahre lässt sich präziser schätzen, auf 136 Milliarden Euro, von denen die EU zwei Drittel decken will. Und der Wille (oder die Fähigkeit) der EU-Staaten, diesen Bedarf aus eigenen Mitteln zu decken, ist überschaubar.

Der Kommissionsvorschlag: Politisch attraktiv, ökonomisch riskant

Die EU-Kommission hat daher den Vorschlag einer „Reparationsanleihe“ vorgelegt, der (vor allem) auf die faktische Konfiskation der beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear lagernden russischen Guthaben hinausläuft. Diese will die Kommission als Kredit an die Ukraine weiter­reichen. Politisch hat der Vorschlag einen doppelten Vorteil. Er bedient das (ja naheliegende) Narrativ, Russland müsse für seine schlimme Aggression zur Verantwortung gezogen werden. Und er nährt die Illusion, die EU-Staaten könnten die Ukraine ohne Belastung der eigenen Haushalte unterstützen.

In Wahrheit birgt der Vorschlag alle Risiken, vor denen Juristen, die EZB und Euroclear seit Langem warnen. Den Alternativvorschlag zur Reparationsanleihe, den die Kommission außerdem vorgelegt hat, darf speziell die deutsche Politik als Erpressung begreifen: Wenn es mit den russischen Guthaben nichts wird, will die EU-Behörde die Ukrainehilfe aus Gemeinschaftsschulden, also Eurobonds, finanzieren. Dass sie ferner einspringen will, falls die Mitgliedstaaten die vorgesehenen Sicher­heiten für die Reparationsanleihe nicht beibringen können, verstärkt den Eindruck, am Ende lasse sich ei­ne Unterstützung der Ukraine nur über eine Gemeinschaftshaftung organisieren.

Belgiens Ministerpräsident hat recht.

Der Hauptverantwortliche für diese Gemengelage ist der Bundeskanzler. Er hat seit spätestens Anfang Oktober immer wieder für die Reparationsanleihe getrommelt, ohne auch die damit verbundenen Risiken wirklich zu thematisieren. Weder hat er sich in der Substanz zu möglichen Auswirkungen für den Bundeshaushalt noch zu den Einwänden der belgischen Regierung und von Euroclear geäußert. Euroclear-Chefin Valérie Urbain hat diese in der F.A.Z. auf die Formel gebracht, dass „freies Geld für die EU“ nicht existiere.

Friedrich Merz hat vielmehr zugelassen, dass Belgien in die Rolle eines EU-Parias gedrängt wurde, der – ähnlich wie sonst allenfalls Ungarn – den europäischen Fortschritt aufhält. Dabei hat der belgische Minister­präsident Bart De Wever völlig recht: Die belgischen Bedenken, die er schon auf dem EU-Gipfel Anfang Oktober in Kopenhagen zu Protokoll gegeben hatte, hat bis vor Kurzem niemand zur Kenntnis, geschweige denn ernst genommen. Merz redet jetzt davon, dass die von der Reparationsanleihe ausgehenden Belastungen „gleichmäßig verteilt“ werden müssten. Was bedeutet das?

Weil – abgesehen von Eurobonds – nie eine wirkliche Alternative zu der Reparationsanleihe in Betracht gezogen wurde, droht der ungelöste Konflikt jetzt den EU-Gipfel in der kommenden Woche zu beherrschen, mit offenem Ausgang. Viel zu lange setzte man in Brüssel und Berlin darauf, dass der von der EU ja auch ab­hängende Gründungsstaat schon ein­lenken werde. Da das nicht passiert ist, wird De Wever nun als Rechtspopulist und Russlandversteher dämonisiert, der in eine Reihe mit dem Ungarn Viktor Orbán zu stellen sei.

Dabei wird nicht nur übersehen, dass De Wever innenpolitisch die Unterstützung von ganz links bis ganz rechts hat. Übersehen wird auch, dass die belgischen Sorgen um die bei Euroclear lagernden Guthaben nicht nur Belgien betreffen, sondern die ganze EU. Deren Mitgliedstaaten verdrängen weiterhin, dass die Unterstützung der Ukraine sie etwas kostet und neue Prioritäten in den öffent­lichen Ausgaben erfordert.

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