Mit dem Nebel des Krieges leben deutsche Talkshow-Master mittlerweile im vierten Jahr – so wie alle, die sich mit der Lage in der Ukraine befassen. Welche Stadt noch von den Ukrainern gehalten wird oder schon an die Russen gefallen ist, über wie viel Munition die Verteidiger noch verfügen, wie viele eigene Soldaten der Kreml Tag für Tag in den Tod schickt – all das ist für die meisten Augen unsichtbar. Fehlende und widersprüchliche Informationen, Fehleinschätzungen und Irrtümer, sie alle sind typisch und führen zu Unschärfen, schon bei den Militärs auf beiden Seiten, aber noch viel stärker bei Diskutanten in einem Fernsehstudio, zwei Länder und über 1500 Kilometer weiter westlich.
Die Herausforderungen, mit denen sich Maybrit Illner am Donnerstag auseinandersetzte, gingen aber noch einen Schritt darüber hinaus. Sie wollte über den Plan des amerikanischen Präsidenten sprechen, den Krieg, der im vierten Jahr im Osten Europas tobt, zu beenden. Ein Paket, das der Ukraine sehr viel und Russland sehr wenig abfordert. „Trumps Plan für die Ukraine – Kompromiss oder Kapitulation?“ – so lautete das Thema, zu dem die Moderatorin am Donnerstag geladen hatte.
Schon der Titel lässt erkennen, wie undurchschaubar die Lage geworden ist: Wie viel Trump steckte in den 28 Punkten, die der amerikanische Präsident präsentiert hatte (und wie viel Putin)? War es überhaupt ein Plan, wie es zunächst hieß, oder eher ein Entwurf, wie später? Und war er tatsächlich für die Ukraine – oder doch eher gegen sie? Ganz abgesehen davon, dass sich Zahl und Inhalt der Punkte – mittlerweile auch über Gespräche mit den Ukrainern und Europäern – bereits verändert haben und sich auch weiter verändern dürften, vielleicht sogar ohne, dass Informationen über den aktuellen Stand wieder unmittelbar durchgestochen werden.
Der Wert der Verhandlungen? Gleich Null
Um den Nebel des Krieges und den mit ihm verbundenen Verhandlungen dennoch ein wenig aufzuklären, hatte Illner es – einmal mehr – nicht an einer stattlichen Zahl an Gästen missen lassen: Die Moderatorin im kräftig blauen Oberteil mit modern hochgestelltem Kragen rahmten der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Norbert Röttgen sowie der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner. Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine in Deutschland, und Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen der Goethe-Universität Frankfurt, komplettierten den Tisch. Zugeschaltet auf Bildschirmen dahinter nahmen die Leiter der ZDF-Studios in Moskau und Washington, Armin Coerper und Elmar Theveßen, an der Runde teil.
Die Gästezahl konnte nicht verhindern, dass die Leitfrage der Sendung unbeantwortet blieb, ja, bleiben musste. Den Grund dafür lieferte Deitelhoff direkt eingangs, als Illner sie nach dem bisherigen Wert der Verhandlungen fragte. „Gar keiner“, antwortete sie. Schließlich gebe es bislang nur Angebote. Womit sie einen Punkt machte, denn offiziell hält sich Moskau nach wie vor bedeckt.
Dass die ursprünglich 28-Punkte umfassende Liste der Trump-Regierung für die Ukraine ebenso unannehmbar gewesen wäre wie für die übrigen europäischen Staaten, die sie unterstützen, darauf konnte sich die Runde rasch verständigen. Das galt auch für die offenkundige Tatsache, dass in der amerikanischen Regierung mit Blick auf die Ukraine-Politik ein Richtungskampf zwischen dem Lager um US-Vizepräsident JD Vance und Außenminister Marco Rubio tobt.
Recht auf Verteidigung oder Recht auf ein Ende des Leids?
Freilich lassen die sich auch diesseits des Atlantiks beobachten. Was die deutschen Koalitionspartner angeht, lieferten Röttgen und Stegner dafür in der Runde ein anschauliches Beispiel, als sie über das Mitspracherecht der Ukraine bei Verhandlungen in Streit gerieten, das Stegner nur „am Ende eines Verhandlungsprozesses“ sah. Röttgen hingegen von Anfang an. Schnell waren die Grenzen zwischen den beiden gezogen: Verteidigungsrecht gegen Leid beenden. Transatlantischer Realismus gegen pazifistisch angehauchten Idealismus. Eine noch entschlossenere Unterstützung der Ukraine durch die Koalition scheitert daran, an diesem Konflikt.
Wie stark die Risse und Friktionen dem Mann im Kreml in die Karten spielen, erklärte der Leiter des ZDF-Studios in Moskau. Das sei für ihn schon ein „Riesenerfolg“, so Coerper, so wie „jegliche Kakophonie im westlichen Bündnis“. Zusammen mit der aktuellen Schwäche des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei der Zeitpunkt für Verhandlungen aus Sicht Putins nicht schlecht. Dass der Plan nun öffentlich geworden sei, sagt Coerper weiter, sei „kein Zufall“. Der Kreml, da zeigte er sich sicher, wisse genau, was er wolle.
Einzigartige Streitkraft zum Schutz des Kontinents
Dass maximaler Druck allein – wie ihn der Westen seit Beginn der russischen Invasion nie verstetigen konnte und mit einer USA unter Donald Trump so schnell wohl auch kaum aufbauen wird – nicht ausreicht, davon zeigte sich auch Konfliktforscherin Deitelhoff überzeugt. Das sei nur die eine Seite, „an der sich drehen“ lasse. Die anderen seien eben Verhandlungsangebote.
Ob Russland sich auf Gespräche einlassen würde, die von der Ukraine nicht mehr eine De-facto-Kapitulation verlangen, bleibt abzuwarten. Makeiev, der ukrainische Botschafter, antwortete diplomatisch. „Dafür sind Diplomaten da.“ Aus den 28 Punkten seien mittlerweile 19 bessere geworden. Dass sie allein der Ukraine nicht werden helfen können, daran ließ er allerdings keinen Zweifel aufkommen. „Wir brauchen keine Vermittler, wir brauchen Verbündete.“ Dass das umgekehrt auch für Europa gilt, daran erinnerte zum Ende der Sendung Elmer Theveßen. Mit ihren 800.000 kampferfahrenen Soldaten und kriegserprobtem Gerät inklusive modernster Drohnentechnologie verfügt das Land über eine einzigartige Streitkraft zum Schutz des Kontinents.
Sie in die NATO aufzunehmen, würde das Bündnis in Zeiten stärken, in denen sich die Amerikaner unverschiebbar von Europa abwenden. Der russische Präsident des Jahres 2002 hatte damit kein Problem. Er hieß Wladimir Putin.
Vielleicht wäre die Erinnerung daran ein Punkt für die Verhandlungen, die kommen werden – früher oder später.
Source: faz.net