Als deutscher Talkshowgast, der über die Politik des amerikanischen Präsidenten reden soll, hat man ein Problem: Man sitzt im Studio und sagt kluge Sätze, aber noch bevor die vollends zu Ende gedacht sind, kann sich Trumps Politik schon wieder geändert haben – besonders, wenn es um den Ukrainekrieg geht. Mal wird Selenskyji brüsk beschimpft und aus dem Weißen Haus gejagt, dann schlägt sich Trump scheinbar doch zaghaft auf die Seite der Ukraine und Europas und verhängt schärfere Sanktionen gegen Russland als Joe Biden, bis er nach dem nächsten Telefonat mit Putin wieder dessen Verhandlungsbereitschaft lobt und Selenskyji als undankbar beschimpft, und so weiter und so weiter.
In Trumps Ukrainepolitik ist nichts konsistent außer ihrer Inkonsistenz, was Talkshows eher zu dauerstirnrunzelnden educated guessing-Veranstaltungen macht als zu Quellen echter Erkenntnis. So ergeht es auch der Runde bei Caren Miosga, die am Sonntagabend so viel Licht wie möglich in Trumps „Friedenplan“ für die Ukraine bringen will. Am Ende beschwört sie jedoch nur Sokrates herauf: Man weiß, dass man nichts weiß.
Nur für die Umrisse von Trumps 28 Punkte umfassenden „Friedensplan“ gilt das nicht. Bei dem war den Ukrainern und den Europäern gleich klar, dass er in dieser Form unannehmbar ist, weshalb die Ukrainer zusammen mit den Europäern dafür gekämpft haben, dass er noch einmal adaptiert wird. Den ganzen Sonntag über haben Vertreter aus Kiew und Washington in Genf zusammengesessen, um ihn zu „überarbeiten“; an diesem Montag sollen Ergebnisse verkündet werden. Am Sonntagabend tritt der amerikanische Außenminister Marco Rubio vor die Presse und sagt, man komme gut voran; auch Journalisten haben den Eindruck, dass in Genf tatsächlich ernsthaft verhandelt wird. Auch der „Bild“-Journalist und Ukraine-Kenner Paul Ronzheimer sagt bei „Miosga“, über den Tag habe es Signale aus Genf gegeben, dass der ursprüngliche Plan deutlich verändert werde. Die Frage ist nur: Deutlich genug?
„Wirklich menschenverachtend, weil das eine Kapitulation wäre“
Daran kann man zweifeln. Die „Miosga“-Redaktion blendet gleich zu Beginn der Sendung ein, wie verheerend der ursprüngliche Plan für die Ukraine und Europa wäre. Punkt 3: Es wird „erwartet“, dass Russland nicht in Nachbarländer einmarschiert und die NATO nicht weiter expandiert. Punkt 6a: Die Größe der ukrainischen Streitkräfte wird um ein Drittel auf 600.000 Soldaten begrenzt. Punkt 13: Russland darf wieder Mitglied der G7-Staaten werden und wird von allen Wirtschaftssanktionen befreit. Punkt 21a: Die Oblate Donezk und Luhansk fallen komplett an Russland. Punkt 26: Alle Parteien erhalten vollständige Amnestie für ihre Handlungen während des Krieges – also auch für Massaker wie das der Russen in Butscha. Russland: Douze points. Die „Sicherheitsgarantien“, die zugunsten der Ukraine in dem Plan stehen, sind hingegen vage. Das Papier sei „wirklich menschenverachtend, weil das eine Kapitulation wäre“ – so hat die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann die angebliche Roadmap zum Frieden genannt.
Tatsächlich ist der Plan so einseitig zugunsten Moskaus formuliert, dass über das Wochenende erhebliche Zweifel daran wuchsen, ob er wirklich ein „Trump-Plan“ ist oder nicht doch eher einer aus Moskau, der Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff vom Kreml direkt in den Block diktiert wurde. Bei Miosga wird kurz die naheliegende Frage aufgeworfen, ob es gerade einen „Machtkampf“ zwischen Witkoff und Vizepräsident J.D.Vance gegen Außenminister Marco Rubio gibt, der bald bestritt, dass es ein Trump-Plan sei. Andere wundern sich über den Zufall, dass der Plan ausgerechnet zu einem Zeitpunkt durchgestochen wurde, an dem Trump eine Ablenkung von den Epstein-Files Trump noch gelegener kommt als sonst.
Laschet gibt den notorischen Optimisten
„Bild“-Journalist Paul Ronzheimer glaubt, dass der Plan aus Moskau stammt, weil darin „genau das“ stehe, „was Putin immer wollte“. Claudia Major, Politikwissenschaftlerin und Sicherheitsexpertin beim German Marshall Funds, findet es hingegen egal, woher der Plan stamme. Wichtiger sei, dass Europa erkenne, welche dramatischen Folgen er für den Kontinent haben könnte. Die USA wollten einen „Sicherheitsdialog“ zwischen der NATO und Russland einführen, so als seien sie keine Beteiligte der NATO mehr. „Letztlich versucht Moskau die NATO zu kontrollieren, es will ein Mitspracherecht bei ihr haben. Das wäre eine totale Bankrotterklärung.“ Der Plan könne nur dann eine Grundlage für dauerhaften Frieden sein, sagt Major, wenn sich die russischen Intentionen mit Blick auf die Ukraine und Europa verändert hätten. Aber das sei nicht der Fall, das „Trump“-Papier atme „immer noch den Anspruch Moskaus, die Ukraine kontrollieren und das auf Europa ausweiten zu wollen.“
Der CDU-Politiker Armin Laschet, der mal CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat war und jetzt als Vorsitzender dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags vorsitzt, gibt in der Runde den notorischen Optimisten. So lobt er die Tatsache, dass Europa sich „gesprächsbereit“ zeige und der Bundeskanzler noch vor Beginn des G-20-Gipfels in Südafrika den Dialog mit Trump über den „Friedensplan“ gesucht habe. Dem widerspricht Ronzheimer, einer der profundesten Kenner der Ukraine, vehement: Nein, in Wahrheit tue Europa nichts, es reagiere immer nur und habe seine wenigen Druckmittel bislang kaum eingesetzt. Natürlich zitiert Ronzheimer da gleich den Kanzler, der Putin vor geraumer Zeit damit „gedroht“ hatte, Deutschland werde der Ukraine „Taurus“-Marschflugkörper liefern, wenn Russland weiter zivile Ziele angreife. Putin bombardierte weiter – aber auf den Taurus wartet die Ukraine bis heute. Merz habe immer in einer „Wenn, dann!“-Logik argumentiert, aber nichts getan, kritisiert Ronzheimer. Damit mache Merz es nicht anders als Olaf Scholz vor ihm: „Wir geben der Ukraine weiter nicht alles, was wir können.“
Haushoher Bekenntnisstatus, keine Strategie
Um diese traurige Erkenntnis kreist schließlich die ganze Sendung: Wenn Europa es ernst meinen würde mit der Ukraine und seiner eigenen Sicherheit, dann müsste es viel mehr tun. Tut es aber nicht. Warum es keinen europäischen Friedensplan gebe, fragt Miosga ihre Runde. Armin Laschet weiß es nicht; in Brüssel gebe es zwar einen„hohen Bekenntnisstatus“, aber keine wirkliche Strategie. Warum steht Europa nur am Spielfeldrand, Frau Major? Deutschland müsse doch nicht auf Europa warten, gibt die zurück, es könnte selbst in die Initiative gehen. Wirtschaftliche Hebel sieht Major durchaus, gegen die Schattenflotte, gegen eingefrorene russische Vermögen, aber Berlin nutze sie nicht. Stattdessen seien Deutschland und Europa nur ein Spielball im Kampf der Großmächte: „Wir werden zerrieben zwischen der Gleichgültigkeit in den USA und dem Revisionismus in Moskau. Einen großen Unterschied können die Europäer im militärischen Bereich einfach nicht machen.“
So weit also großer Konsens in der Hoffnungslosigkeit; allenfalls bei der Frage, ob Verhandlungen mit Russland überhaupt lohnen, gibt es in der Runde leichte Differenzen. Claudia Major findet: Nein, weil es aus russischer Sicht überhaupt keinen Grund gebe, mit dem Krieg aufzuhören, weil Moskau auf dem Schlachtfeld zwar „sehr langsam und blutig“, aber dennoch stetig vorankomme. „Russland versucht mit Verhandlungen immer das zu bekommen, was es militärisch nicht kriegt, und derzeit zerstreiten sich die USA und Europa. Für Moskau ist das eine Win-Win-Situation.“ Der Plan, glaubt Major, würde lediglich zu einer Kampfpause führen, die Russland dafür nutzen könnte, seine Streitkräfte weiter aufzubauen.
Laschet und Ronzheimer hingegen sind eher pro Verhandlungen, weil sie befürchten, dass es für die Ukraine ohne ein baldiges Abkommen noch schlimmer werden könnte. Trump hat der Ukraine ein Ultimatum bis kommenden Donnerstag gesetzt, den Plan anzunehmen – und auch wenn er das bald darauf wieder relativiert hat, ist die Angst auch bei Miosga groß, dass die USA ihre Drohungen wahrmachen und sich vollends aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen könnten. „Das könnten wir Europäer nicht ersetzen, so großspurig wir das auch behaupten“, warnt Laschet. „Das ist die Realität.“ Auch Paul Ronzheimer sieht die Lage in der Ukraine immer dramatischer, durch die russischen Erfolge an der Front, aber auch durch immer mehr Deserteure, fehlende Waffen und die Korruptionsaffäre, die Selenskyji unter großen Druck setzt. Wenn die Ukraine sich einem Abkommen jetzt verweigere und der Krieg weitergehe, sei die Lage der Ukraine in zwei Jahren womöglich noch viel dramatischer, warnt Ronzheimer.
Die Ukraine braucht eine „echte Lebensversicherung“
Wie also weiter? Auch wenn Claudia Major nicht glaubt, dass Putin ein echtes Interesse an einem Ende des Krieges hat, hält sie es für einen Versuch wert, den „Friedensplan“ zu überarbeiten und den „Ball nach Moskau zurückzuspielen“. Auch Laschet fordert, den Plan„nachzuschärfen“ und, wenn Putin dann nicht zustimme, den wirtschaftlichen Druck auf Russland weiter zu erhöhen. „Wenn wir jetzt schon sagen, die Russen machen’s eh nicht, dann werden wir keinen Millimeter weiterkommen.“
Die wichtigste Frage, auch da ist sich die Miosga-Runde wieder einig, sind möglichst robuste Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Ronzheimer erzählt, in Verhandlerkreisen in Genf werde diskutiert, der Ukraine bestimmte Waffensysteme wie die Tomahawk zu geben – aber auch das werde den Ukrainern als Sicherheitsgarantie nicht ausreichen. Die Ukraine brauche eine „echte Lebensversicherung“, sagt Claudia Major, vergleichbar der NATO. An dieser Stelle hätte man gern erfahren, wer genau diese „Lebensversicherung“ gewähren soll, wenn die Amerikaner unter Trump sich vielleicht entnervt aus der Ukraine zurückziehen, wenn Selenskyji die totale Kapitulation nicht unterschreiben will, aber auch Europa und die Rest-NATO nicht energisch in die Bresche springen. Aber außer noch mehr Ratlosigkeit hätte man wahrscheinlich auch da nichts Neues gehört.
Die Unterstützung aus dem Ausland als Fluch und Segen
Man könne seit Januar beobachten, sagt Paul Ronzheimer gegen Ende in der Sendung, wie Trump vergeblich versuche, auf Putin Druck auszuüben. Jetzt habe er gemerkt, dass Druck auf Selenskyj mehr bewirke. Gute Aussichten sind das nicht – auch weil die grassierende Korruption in der Ukraine die Solidarität mit Kiew immer mehr schleift. Auch in Deutschland könne die Stimmung gegen die Ukraine kippen, warnt Laschet, umso entschiedener müsse man bei Selenskyj auf Aufklärung drängen, „der Wille ist da“. Laschet zeigt aber auch Verständnis für die „Verlockung“, wenn „so viele Milliarden im Spiel“ seien – so ähnlich sei es „selbst in meiner eigenen Fraktion“ in der Maskenaffäre in der Pandemie gewesen. Das ist ein kurzer, aber wirkungsvoller innenpolitischer Tiefschlag gegen seinen früheren Co-Bewerber für den CDU-Parteivorsitz Jens Spahn, der sich später ziemlich rüde von Laschet abgegrenzt hatte.
Paul Ronzheimer glaubt, die Ukrainer würden es Selenskyji nicht vergessen, dass er nach Kriegsausbruch im Land geblieben sei – aber wählen würden sie ihn nicht mehr, wenn irgendwann Frieden herrscht und wieder Wahlen stattfinden. Die Europäer dürften die Korruption in der Ukraine nicht mehr mit dem Satz entschuldigen, da sei doch Krieg, findet Ronzheimer. „Es gibt einen extremen Aufklärungsbedarf, aber der Aufklärungswille bei Selenskji ist nicht besonders groß.“ Die Ukrainer wollten eine andere Ukraine, und dafür brauchten sie Unterstützung aus dem Ausland.
Genügend Unterstützung aus dem Ausland: Leider ist für die Ukraine gerade das eines der größten Probleme.
Source: faz.net