Aus der Ferne betrachtet ist es nur ein Stummel in der Stadtlandschaft. Läuft man vom Potsdamer Hauptbahnhof über die vielspurigen Straßen in das mit Asphalt, Kopfstein und Gehwegplatten recht gründlich versiegelte historische Zentrum der Stadt, kann man zunächst kaum verstehen, warum sich um diesen neuen Stummel in den vergangenen Jahren eine solche Leidenschaft und ein solcher Streit entzündet haben. Es ist der Turm der Garnisonkirche, der jetzt mithilfe vieler privater Spender, der Evangelischen Kirche, vor allem aber mit Steuergeld wiederaufgebaut worden ist. Zum Teil zumindest. Erst wenn man sich dem Turm nähert, entfaltet sich nun wieder ein wenig die Monumentalität des Preußenbarocks. Aus 2,3 Millionen Backsteinen gebaut, 57 Meter hoch, hellgelb verputzt, die oberen 30 Meter fehlen noch. Ein Stummel eben, in dessen Sockel sich eine kleine, schmucklose Kapelle befindet, weiter oben eine ab 23. August öffentliche Ausstellung zur Geschichte der Kirche.
Mit einem Festakt wurde der Turm am Donnerstagvormittag eingeweiht, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt als Schirmherr der Garnisonkirche eine Rede. Kurz vor seiner Ankunft hatten sich bereits einige Dutzend Menschen zu einem Protest gegen den Wiederaufbau versammelt, auf der anderen Seite der Breiten Straße – die auch wirklich sehr breit und viel befahren ist. Durch Lautsprecher verstärkt versuchten sie, den Verkehr zu übertönen: „Heuchler!“, hieß es, als zuerst der Ministerpräsident Brandenburgs Dietmar Woidke und dann auch Steinmeier vorfuhren. Einige stimmten auch in einen klassischen Slogan linker Protestkultur ein: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“
Zu Beginn des Protests hatte eine Frau, die in die Rolle einer Hexe geschlüpft war, die rekonstruierte Kirche im eigentlichen Sinne des Wortes verflucht. „Ich beschwöre die Kraft aller, die die Absurdität des Wiederaufbaus erkannten“, setzte sie ein. „Ich rufe den heimlich fließenden Sand unter dem Pflaster und unter dem Beton, ich rufe den Regen gegen den Stein. Ich rufe die unbehagliche Weisheit aller Krähenvögel und aller Ratten dieser Stadt, diesem Fluch Stärke zu verleihen!“ Ihr Fluch, so erfuhr man dann, richtete sich gegen den preußischen Gehorsam, gegen den Pakt zwischen Nationalsozialismus und Konservativismus, für den diese Kirche stehe.
Bei der Bombardierung Potsdams gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war die Garnisonkirche zunächst teilweise abgebrannt, dann 1968 die übrig gebliebene Ruine auf Bescheid der DDR-Regierung gesprengt worden. Zwei Sprengungen waren sogar nötig gewesen, so trutzig waren die preußischen Mauern dieser bis 1735 im Auftrag von König Friedrich Wilhelm I. erbauten Soldatenkirche, in der sowohl der Soldatenkönig selbst wie sein Sohn Friedrich der Große einst beerdigt lagen. Hier in der Garnisonkirche hatte auch Hitler im März 1933 am sogenannten Tag von Potsdam mit einem Staatsakt den Zusammenschluss mit dem alten, preußischen Deutschland inszeniert, inklusive Kranzniederlegung in der Gruft Friedrichs des Großen.
Zum Teil auf dem Grundstück des ehemaligen Kirchenschiffs ließ die DDR nach der Sprengung ein großes Rechenzentrum errichten, das inzwischen von einer gemeinnützigen Initiative unter der Leitung der Kulturmanagerin Anja Engel bewirtschaftet wird. Über 300 Menschen aus dem Kultur- und Medienbereich haben hier ihre Ateliers, Proberäume, Werkstätten. Und es gibt im Rechenzentrum einen sogenannten Lernort Garnisonkirche, eine von einer Initiative um den Architekturprofessor Philipp Oswalt recherchierte Ausstellung zur Geschichte des Wiederaufbaus. Mit einer Chronologie und Abbildungen wird aufgezeigt, dass der Wiederaufbau der Kirche nicht nur von Menschen wie dem ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe unterstützt wurde, die sich eine sogenannte Heilung des historischen Stadtbilds wünschten, sondern von Anfang an auch ein revisionistisches Projekt reaktionärer und rechtsradikaler Kreise war. So entstammt die erste Initiative zum Wiederaufbau einer Gruppe um einen ehemaligen Bundeswehroffizier, der ab Mitte der Achtzigerjahre in Iserlohn das Glockenspiel des Potsdamer Kirchturms rekonstruieren ließ. Einzelne Glocken wurden bestimmten Truppenteilen der Wehrmacht gewidmet, auf einer Glocke war das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 zu sehen.
Was die junge Protest-Hexe vielleicht irritiert hätte, wenn man sie zum Festakt in die Kapelle des Turms gelassen hätte: Bundespräsident Steinmeier sollte zwei Stunden nach ihrem Fluch ganz ähnlich wie sie die Geschichte des Orts in den Fokus nehmen. Er hielt eine erstaunliche Rede, in der er vor allem auch die Gegner des Wiederaufbaus für ihr kritisches Geschichtsbewusstsein, ihren Widerspruch zu loben schien. Einige dieser Wiederaufbaugegner hatten sich im benachbarten Rechenzentrum versammelt, um gemeinsam den Video-Livestream des Festakts zu schauen. Steinmeier beschrieb die Garnisonkirche als zentrales Symbol für die Macht Preußens, aber auch für Militarismus und Nationalismus. Im Kaiserreich sei hier die Religion von Hofpredigern, die den Krieg verherrlichten und bedingungslosen Gehorsam forderten, in den Dienst nationalistischer Propaganda gestellt worden. Das Ende der Monarchie sei da keine Unterbrechung gewesen, so Steinmeier: „Diese Kirche zog auch in der ersten deutschen Demokratie verstärkt antidemokratische Kräfte an. Gegner der neuen Republik beschworen hier einen ‚Geist von Potsdam‘, den sie gegen den ‚Geist von Weimar‘ in Stellung brachten.“ Der sogenannte Tag von Potsdam schließlich sei zum Symbol einer Allianz von konservativer Tradition und Nationalsozialismus geworden: „Einer Allianz, die nicht zuletzt das Ende der ersten deutschen Demokratie besiegelte.“ Steinmeier warnte auch vor den geschichtsrevisionistischen Versuchen, den Wiederaufbau der Kirche zu vereinnahmen.
Jubel brandete im Rechenzentrum auf, als Steinmeier in seiner Rede die Erhaltung des Kreativhauses forderte. Dessen Existenz ist nur bis 2026 gesichert. Ein Teil des Grundes gehört der Stiftung Garnisonkirche, die an dieser Stelle vor Jahren auch noch plante, das komplette Kirchenschiff wiederzuerrichten. Das scheint heute kaum mehr möglich, angesichts der Lebendigkeit des Rechenzentrums. Nicht nur Steinmeier, auch eine Mehrheit der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung ist für dessen Erhalt. Und so bewirbt sich die Garnisonkirche nicht mehr mit der zukünftigen Expansion in die Breite, sondern vor allem mit der Aussicht, die man in der Höhe von der Spitze des Turm-Stummels hat. Man kann von hier oben beinahe alle Schlösser und Kirchen Potsdams überblicken, es ist tatsächlich beeindruckend. Und in der Ferne entdeckt man sogar Berlin, die Sozialbauten der Gropiusstadt.
Aus der Ferne betrachtet ist es nur ein Stummel in der Stadtlandschaft. Läuft man vom Potsdamer Hauptbahnhof über die vielspurigen Straßen in das mit Asphalt, Kopfstein und Gehwegplatten recht gründlich versiegelte historische Zentrum der Stadt, kann man zunächst kaum verstehen, warum sich um diesen neuen Stummel in den vergangenen Jahren eine solche Leidenschaft und ein solcher Streit entzündet haben. Es ist der Turm der Garnisonkirche, der jetzt mithilfe vieler privater Spender, der Evangelischen Kirche, vor allem aber mit Steuergeld wiederaufgebaut worden ist. Zum Teil zumindest. Erst wenn man sich dem Turm nähert, entfaltet sich nun wieder ein wenig die Monumentalität des Preußenbarocks. Aus 2,3 Millionen Backsteinen gebaut, 57 Meter hoch, hellgelb verputzt, die oberen 30 Meter fehlen noch. Ein Stummel eben, in dessen Sockel sich eine kleine, schmucklose Kapelle befindet, weiter oben eine ab 23. August öffentliche Ausstellung zur Geschichte der Kirche.