Bei Donald Trump weiß man nie, was als nächstes kommt. Tag eins der Generaldebatte bei den Vereinten Nationen in New York: Die versammelten Staats- und Regierungschefs sind am Dienstag darauf vorbereitet, dass der amerikanische Präsident der Weltorganisation wieder die Leviten lesen wird. Tatsächlich fragt Trump kurz darauf, was der Zweck der Vereinten Nationen sei. Sie hätten ein enormes Potenzial, würden diesem aber nicht gerecht.
Auch klagt der frühere Immobilieninvestor, dass er einst ein kostengünstiges Angebot gemacht habe, das UN-Hauptquartier am East River zu renovieren, man sich aber gegen ihn und für eine schlechtere Option entschieden habe. Er schimpft, dass sein Teleprompter nicht funktioniere und seine Frau und er auf dem Weg in die Generalversammlung auf der Rolltreppe steckengeblieben seien. Das Private ist politisch – der alte Spruch aus der ersten Generation der Frauenbewegung erhält bei Trump eine neue Bedeutung.
Am Ende seiner Rede gibt es eine kleine Überraschung. Trump erzählt, er sei – nachdem die First Lady und er die Stufen der Rolltreppe hinaufgestiegen seien – vor dem Saal der Generalversammlung Luiz Inácio Lula da Silva in die Arme gelaufen. Beide sind sich angeblich noch nie begegnet. Doch hatte Trump dem brasilianischen Präsidenten gerade erst wieder eine Hexenjagd gegen seinen Vorgänger Jair Bolsonaro vorgeworfen. Der enge Verbündete Trumps war kürzlich wegen eines Putschversuchs nach seiner Wahlniederlage gegen Lula vom Obersten Gerichtshof zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden. Trump, der immer wieder an die Strafverfolgung gegen ihn selbst im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol erinnerte, kritisierte den Prozess als politisch und verhängte Strafzölle gegen Brasilien.
„Mindestens 39 Sekunden“ exzellente Chemie
Eine Begegnung Lulas und Trumps war wahrscheinlich, da Brasilien in der Generaldebatte stets zuerst spricht, gefolgt von den Vereinigten Staaten. Trump trug nun in seiner Rede vor, was bei der Begegnung genau passierte: „Ich sah ihn. Er sah mich. Und wir umarmten uns.“ Es habe eine „exzellente Chemie“ gegeben – für mindestens „39 Sekunden“. „Er scheint ein netter Mann zu sein“, sagte Trump noch. „Er mag mich, ich mag ihn.“ Beide hätten vereinbart, sich nächste Woche zu treffen. Lula freilich hatte gerade in seiner Rede das Urteil gegen Bolsonaro als Beweis für die Stärke der brasilianischen Demokratie dargestellt und Richtung Washington hervorgehoben, die Souveränität des Landes sei nicht verhandelbar. Auch andere Konflikte mit Trump ließ er nicht unerwähnt. So drängte er mit Blick auf die gegenwärtigen militärischen Drohgebärden Washingtons gegen Caracas, der Pfad zu einem Dialog dürfe nicht geschlossen werden.
Es ist offen, welche Folgen die Umarmung von New York haben wird. Trump ist bekanntlich sprunghaft. Das bekam am Dienstag auch Antonio Guterres zu spüren. Gerade hatte er vom Präsidiumstisch der Generalversammlung Trumps Rundumschlag gegen das UN-System verfolgt, da traf er ihn zu einem kurzen bilateralen Gespräch. Der Präsident dankte dem UN-Generalsekretär und hob hervor, Amerika stehe „hundertprozentig“ hinter den Vereinten Nationen. Dann fügte er hinzu, manchmal stimme er zwar nicht mit den UN überein, aber er stehe hinter ihnen, da ihr Potenzial, Frieden zu schaffen, groß sei. Guterres wusste wohl nicht, wie ihm geschah.
Ein sichtlich erleichterter Selenskyj
Das dürfte auch für Wolodymyr Selenskyj gegolten haben. Der ukrainische Präsident, der erst vor gut einem halben Jahr im Oval Office in die Mangel genommen worden war, saß am Dienstagnachmittag im UN-Sicherheitsrat und wirkte sichtlich erleichtert. Kurz zuvor war ein Treffen mit Trump zu Ende gegangen. „Ich habe mich gerade mit Präsident Trump getroffen und wir haben darüber gesprochen, wie wir endlich Frieden schaffen können. Wir haben über einige gute Ideen geredet. Ich hoffe, sie werden funktionieren“, berichtete Selenskyj.
Trump selbst hatte nach dem Treffen auf seiner Plattform „Truth Social“ geschrieben, die Ukraine sei in der Lage, mithilfe westlicher Verbündeter ihr Staatsgebiet vom russischen Aggressor zurückzuerobern. Mit Zeit, Geduld und finanzieller Unterstützung insbesondere der NATO seien die ursprünglichen Grenzen zum Zeitpunkt, als der Krieg begonnen hatte, eine „Option“. Das ist (zumindest für den Moment) eine Kehrtwende Trumps, der Selenskyj früher vorgehalten hatte, in keiner guten Position zu sein, und deshalb auf Gebietsabtretungen gedrängt hatte.
Trump schrieb nun, er sei zu seiner neuen Position gekommen, nachdem er sich mit der militärischen und wirtschaftlichen Lage der Ukraine und Russlands vertraut gemacht und sie vollständig verstanden habe. Russland führe seit dreieinhalb Jahren einen Krieg, „den eine echte Militärmacht“ in weniger als einer Woche hätte gewinnen können. Das sei keine Auszeichnung für Russland. Tatsächlich lasse es das Land eher wie „einen zahnlosen Tiger“ erscheinen.
Putin hatte Trump „hängengelassen“
Der Präsident ging noch weiter: Wenn die Menschen in Moskau und anderswo in Russland erführen, was wirklich in diesem Krieg passiere, wäre die Ukraine in der Lage, „ihr Land in seiner ursprünglichen Form zurückzuerobern und, wer weiß, vielleicht sogar noch weiterzugehen!“ Für die Russen sei es fast unmöglich, Benzin zu bekommen, weil sich lange Schlangen bildeten. Der größte Teil ihres Geldes würde für den Kampf gegen die Ukraine ausgegeben, die immer besser werde.
Der neue Ton Trumps kommt wenige Tage, nachdem der Präsident eingestanden hatte, dass Wladimir Putin ihn „hängengelassen“ habe. Umfragen zeigen, dass selbst republikanische Wähler finden, Trump sei gegenüber dem russischen Machthaber, den er Mitte August in Alaska auf einem roten Teppich empfangen hatte, zu nachgiebig. Die Europäer dürften diese Worte erfreuen. Mitunter freilich geht Trump ihnen zu weit. Am Dienstag sagte er etwa vor dem Treffen mit Selenskyj auf die Frage einer Journalistin, ob er der Ansicht sei, dass NATO-Staaten russische Kampfflugzeuge bei der Verletzung ihres Luftraumes abschießen sollten: „Ja, das bin ich.“
Trumps Bemerkungen waren mit seinem Kabinett abgestimmt. Am Dienstagnachmittag erschien auch Außenminister Marco Rubio im UN-Sicherheitsrat und sagte, Trump sei geduldig gewesen und habe Putin ein großzügiges Angebot gemacht: einen Waffenstillstand entlang der derzeitigen Frontlinie. Moskaus Antwort aber sei Eskalation gewesen. Die Geduld des Präsidenten sei nicht unendlich, sagte Rubio dann und verwies auf das Mittel der Sekundärsanktionen gegen Moskau und die Möglichkeit, Kiew Offensivwaffen zu liefern. Washington strebe immer noch eine friedliche Lösung an. Doch könne der Moment kommen, an dem man feststelle, dass es womöglich kein Interesse an einer friedlichen Lösung gebe.
Source: faz.net