Transnistrien | Transnistrien: Es wurde weidlich kalt, qua die Ukraine die Gaszufuhr aus Russland stoppte

Transnistrien | Transnistrien: Es wurde weidlich kalt, qua die Ukraine die Gaszufuhr aus Russland stoppte

Schulen und Kitas mussten schließen, die Temperaturen fielen in Wohnungen auf zehn Grad, als ab 1. Januar der russische Energietransfer unterbrochen wurde. Die EU schickte eine symbolische Geldspende


Ein Gemeindearbeiter hilft einem Rentner bei der Vorbereitung von Brennholz während eines Stromausfalls in Tiraspol, Transnistrien

Foto: Imago/SNA


Als die Ukraine zum 1. Januar den Transit von russischem Gas stoppte, traf das Moldawien schwer, seine russophile Abspaltung Transnistrien geriet gar in eine humanitäre Krise: Schulen mussten schließen, die Temperatur fiel in Wohnungen auf zehn Grad. Ein Protesttransparent warf der ohne sichere Mehrheit in die EU strebenden moldawischen Präsidentin Maia Sandu „Genozid am transnistrischen Volk“ vor.

Das Geschäftsmodell, mit dem Transnistrien verschiedenen Blockaden durch seine Nachbarn Moldawien und Ukraine getrotzt hatte, brach zusammen: Der russische Gazprom-Konzern hatte Jahrzehnte Gas geliefert, Transnistriens Verbraucher mussten, abgesehen von niedrigen Netzgebühren, nie so richtig dafür bezahlen. Indem das transnistrische Gaskraftwerk M-GRES auch Moldawien mit Strom versorgte, subventionierte der Kreml ebenso Moldawien.

Im 33. Jahr nach dem von Transnistrien 1992 gewonnenen Sezessionskrieg schien der „eingefrorene“ Transnistrien-Konflikt plötzlich aufzutauen: Die EU-Kommission überwies eine Notfallhilfe von 30 Millionen Euro – durch Transnistriens Behörden „europäisches humanitäres Gas“ getauft –, damit konnte die international nicht anerkannte Republik Gas und Strom für die ersten zehn Februartage kaufen. Dank Brüssel wurde es warm und hell, die täglichen Stromabschaltungen endeten.

Die Romanze schien weiterzugehen, als die Kommission am 4. Februar verkündete, unter Bedingungen (Menschenrechte!) 60 Millionen Euro drauflegen zu wollen. Ein eher bescheidenes Angebot. Zum Vergleich: Transnistriens in Russland angehäufte Gasschulden liegen bei sieben Milliarden Dollar. Gazprom könnte Moldawien diese Summe, die dem moldawischen Staatshaushalt eines Jahres entspricht, im Fall einer Wiedervereinigung in Rechnung stellen. Am 10. Februar lehnte der transnistrische Präsident Wadim Krasnoselski das EU-Angebot ab. Er nahm stattdessen einen langfristigen Kredit an, um russisches Gas über eine ungarische Firma zu beziehen.

In Tiraspol war Party

Drei Tage nach dem Auslaufen des „humanitären europäischen Gases“ fuhr ich mit meinem fünfeinhalbjährigen Sohn in die Hauptstadt Tiraspol. Der Junge wollte endlich mal Transnistrien sehen, ich wiederum konnte ein Alibi gebrauchen, um zumindest an einen transnistrischen Kindergarten heranzukommen. In Tiraspol war Party. Nicht dass die gut geheizten Lokale voll gewesen wären – dazu ist die Bevölkerung zu sehr geschrumpft –, aber Freundeskreise auch älterer Damen stießen ausgiebig an. Mein Sohn mochte Transnistrien. Zwar mussten wir überall lange aufs Essen warten („wir haben momentan nur einen Fleischkoch“), aber die aus Wasserdampf und orangem Licht erzeugten Feuer-Chimären im Lokal „Rossija“ hielten ihn auf Trab.

Ich ließ mir erzählen, wie sie in Transnistrien den Januar überstanden hatten: Arbeitsschluss bei Stromabschaltung, Heizen mit Klimaanlagen, teures Holz und Dieselgeneratoren. „Es gab 20 Todesopfer, nicht durch Erfrieren, sondern unsachgemäßes Hantieren mit Gas.“ Und ja, vielen war kalt.

Im sowjetantiken „Haus des Buches“ wurden rote Papierherzchen mit Liebesschwüren auf Ukrainisch feilgeboten. Das sei eine Fehllieferung gewesen, erklärte eine Buchhändlerin. „Wir kriegen das Zeug seit fünf Jahren nicht los.“ Da trat eine streng frisierte Bürgersfrau ein und kaufte einige Herzen. Sie lebte seit sieben Jahren in Transnistrien, war aber Ukrainerin, ihre Stadt Kalantschak seit 2022 russisch besetzt: „Und ich sage Ihnen, die Menschen dort sind jetzt glücklicher als zuvor.“ Sie wolle das Thema ein andermal gern vertiefen und eilte erhobenen Hauptes fort.

Spät am Abend – am ramponierten Trampolin des Cafés „Sieben Freitage“ – trafen wir drei Geschwister. Sie waren fünf, neun und zehn Jahre alt und lieferten sich bei russischen Militärsprüchen eine Kissenschlacht mit meinem Sohn. Ihre russisch-proletarischen Eltern begegneten uns mit offener Verachtung. Die EU ging ihnen auf Nachfrage am Arsch vorbei. Die Mehrheit Transnistriens, daran war kein Zweifel, fühlte sich mit Russland verbunden, doch überraschten mich pro-europäische Signale der Tiraspoler Großstadtjugend. Einem jungen Kellner war die Ablehnung des EU-Angebots durch seine Regierung so zuwider, dass er mich wider besseres Wissen anlog: „Die Heizung funktioniert dank 60 Millionen von der EU.“

Am vierten Tag nach dem Auslaufen des „humanitären europäischen Gases“ drehte das Thermometer ins Plus, und ich trat mit meinem Sohn an den Zaun eines Spielplatzes. Der hatte erst am letzten Tag der EU-Spende wieder aufgesperrt, erzählte eine Pädagogin. Die Eltern konnten im Januar nicht zur Arbeit gehen. Mein Sohn beglotzte den altmodischen, aber weitläufigen Spielplatz. Neidisch urteilte er in unserem Dialekt: „Mia ham nix, wos de ham!“ Die drum herum aufragenden Plattenbauten seien zwar „eh voi uncool“, doch dann brach der Neid durch: Die Kinder hier hätten viel bessere Verstecke.

Europa Transit

Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost in der Kolumne Europa Transit über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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