
Tina Müller steht seit Oktober 2023 an der Spitze des Naturkosmetik- und Pharmaherstellers Weleda.
Weleda-CEO Tina Müller ist dabei, das Unternehmen zu modernisieren. Neues Branding, Digital- und Premium-Strategie inklusive. Wie sie durch die Veränderung führt, ohne Stakeholder und Stammkunden zu irritieren
Die Zeichen stehen auf Wachstum im neuen Logistikzentrum des Naturkosmetik- und Pharma-Herstellers Weleda bei Schwäbisch Gmünd. Zumindest sind die Streuobstwiesen vor dem Gebäude schon angelegt. Bis sie Früchte tragen, braucht auch die für ihr atemberaubendes Umsetzungstempo bekannte CEO Tina Müller noch etwas Geduld. Unser Besuch fällt mitten in die Ramp-up-Phase, in der die Logistik Schritt für Schritt von zuvor sechs kleineren Standorten im neuen Gebäude zusammengeführt wird. 10.000 Lieferungen am Tag sollen von hier aus versandt werden.
10.000 Solarpanels und Erdwärme versorgen den Weleda Logistik Crandle Campus bei Schwäbisch Gmünd mit Energie.
Der Weleda Logistik Cradle Campus kommt ohne Gas aus, Erdwärme und 10.000 Solarmodule versorgen das Gebäude mit Energie – was 50% teuer ist als es die herkömmliche fossile Lösung wäre. Die Mitarbeiter fühlen sich jetzt schon wohler als zuvor in dieser Umgebung. Ob die Produkte auch mit den Gegebenheiten klarkommen, wird sukzessive durch ein Mapping getestet: Das Wohlfühl-Klima, das Holz und Lehm bei Menschen verströmt, muss auch von Pharma-Produkten und Naturkosmetik vertragen werden.
Weleda – das Unternehmen
Die Weleda AG nach Schweizer Recht sitzt in Arlesheim bei Basel. Die Hauptaktionäre sind die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft und die Klinik Arlesheim AG. Der Umsatz lag 2023 bei 421 Mio. Euro, das Ebit bei 13 Mio. Euro. Die Hälfte des Umsatzes wurde über das internationale Geschäft (außerhalb DACH) erwirtschaftet.
Schon während des Rundgangs erzählt Tina Müller von ihrer aktuellen Agenda: neues Branding, zeitgemäßes Marketing, neue Premium-Linie, neuer Vertriebskanal, mehr E-Commerce, erste Start-up-Beteiligung. In Summe reden wir also von einer umfangreichen Transformation, wie sie auch in vielen Unternehmen der Modeindustrie ansteht.
TextilWirtschaft: Frau Müller, die Textilbranche beschäftigt in Sachen Nachhaltigkeit vor allem der Attitude-Behaviour-Gap: Die Konsumenten behaupten, nachhaltige Ware haben zu wollen, greifen aber doch zur konventionellen. Haben Sie es in der Naturkosmetik leichter – weil die Produkte unmittelbar auf der Haut landen?
Tina Müller: Das spielt sicher eine Rolle. Aber in der Beauty-Branche steht die Produktleistung an erster Stelle, Konsumentinnen und Konsumenten kaufen nach Wirksamkeit. Nachhaltige Verpackung, umweltfreundliche Formulierungen und der Verzicht auf schädliche Stoffe sind ein Plus, das zunehmend wichtiger wird, aber das ist nur selten der alleinige Kaufgrund.
Also auch kein Selbstgänger…
Wir haben eher das Thema, dass man der Naturkosmetik nicht immer zugetraut hat, echte Verjüngungshochleistung auf der Haut zu bewirken. Viele Konsumentinnen und Konsumenten haben das bisher eher der konventionellen chemischen Kosmetik zugeschrieben. Doch das ändert sich gerade. Und wir als Marktführerin in der Naturkosmetik nehmen hier eine Vorreiterrolle ein. Unsere Botschaft lautet: Naturkosmetik wirkt mindestens genauso gut, wenn nicht besser. Denn natürliche Inhaltsstoffe sind der Hautstruktur ähnlicher, können dadurch besser in die Haut eindringen und eine größere Wirkung entfalten. Genau diese Leistungsversprechen stellen wir jetzt in der Kommunikation ganz nach vorne.
Wie schafft man es denn, Wirkung, Nachhaltigkeit, Hochwertigkeit und Begehrlichkeit im Marketing auf einen Nenner zu bringen?
Über eine bestimmte Ästhetik und Bildsprache, bei der in der Kosmetik natürlich die Haut im Vordergrund steht. Dabei sollte die Kommunikation stets zeigen, was ich mit dem jeweiligen Produkt erreiche, und nicht, wo ich herkomme. Und das auf eine natürliche, authentische und glaubwürdige Weise. Menschen, Haut und Gesichter müssen inspirieren und motivieren, die eigene Hautpflege auf ein neues Niveau zu heben. Deshalb setzen wir auf eine Fotografie, die genau das vermittelt.
Nachhaltigkeit muss also super aussehen.
Natürlich. Wir wollen Naturkosmetik so attraktiv vermarkten wie konventionelle Kosmetik. Unsere neue Kampagne für die „Blauer-Enzian“-Serie zeigt das perfekt: eine Frau mit strahlend gesunder Haut vor einer Schweizer Gebirgslandschaft – natürlich und gleichzeitig inspirierend. Und das macht die Botschaft wirkungsvoll, denn diese positive Stimmung möchte man ausstrahlen.
Der aktuellen Weleda-Kampagne sieht man die neue Bildsprache schon an.
Sogar das Weleda-Logo haben Sie verändert.
So, wie wir das gesamte Unternehmen erneuern, haben wir auch unser Logo modernisiert – mit Respekt vor den starken Werten von Weleda. Wir haben die Identität und die anthroposophischen Wurzeln erhalten, das Logo aber zugleich eleganter, subtiler und hochwertiger gestaltet, passend für die heutige Beauty- und Gesundheitsbranche. Zudem ergänzen wir es künftig um den Zusatz „Natural Science“ oder „Swiss Natural Science“ und betonen damit die hohe Qualität und die Herkunft unserer Produkte.
Tina Müller
Tina Müller ist seit Oktober 2023 CEO der Weleda AG. Zuvor war sie Vorsitzende der Geschäftsführung der Parfümerie Douglas und Marketingvorstand bei Opel. Für den deutschen Autohersteller hatte sie die Kampagne „Umparken im Kopf“ verantwortet, bei Douglas ein komplett neues Branding eingeführt und den E-Commerce gestärkt.
Wer hat das neue Logo entworfen?
Peter Schmidt Design in Hamburg – konkret Heike Angerer, die Designchefin. Sie hat mit mir damals das neue Douglas-Logo entwickelt. Sie hat einfach ein tolles Gespür für große Marken.
So hat sich das Logo von Weleda verändert.
Man hat als Führungskraft ja zwei Hürden zu nehmen bei einem Re-Branding-Prozess: die inneren Widerstände gegen jegliche Veränderung inklusive der Sorge um die Heritage der Marke und die Kollateralkosten. Wie führt man durch so einen Prozess?
Durch klare, kontinuierliche Kommunikation. Darauf habe ich von Anfang an gesetzt und deutlich gemacht, warum Weleda diese Modernisierung braucht – und das haben auch alle verstanden. Wir wollen profitabel wachsen. Dazu müssen wir auch jüngere Zielgruppen viel besser ansprechen. Traditionell ist Weleda sehr stark im Baby-Bereich und bei den 50- und 60-jährigen. Doch die 20- bis 40-Jährigen konnten wir bisher nicht ausreichend begeistern – auch weil unser Markenauftritt nicht zeitgemäß genug war. Am Ende zählt die Zukunftsfähigkeit einer Marke, und die haben wir bei Weleda deutlich gestärkt.
Das überzeugende Argument für Veränderung ist also: Notwendigkeit. Aber einige Abstimmungsrunden brauchten Sie schon, oder?
Es war eine Reise und ein guter Austausch mit den Gremien. Ein wenig Überzeugungsarbeit musste ich hier und da schon leisten. Aber jetzt sind alle sehr froh über das Ergebnis. Die Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit der Marke bleiben gewahrt, und niemand hat mehr die Sorge, dass Weleda zu einer austauschbaren Lifestyle-Brand wird.
Zumal Sie ja mit einer bestimmten Absicht als CEO engagiert wurden. Wer Tina Müller holt…
…, der bekommt auch Tina Müller. Genau. Ein Verwaltungsrat sagte neulich: „Wir haben Tina Müller geholt, weil wir jetzt Geschwindigkeit aufnehmen wollen, um das Unternehmen in eine sichere Zukunft zu führen.” Dafür bin ich angetreten: Weleda zu transformieren und nachhaltig erfolgreich zu machen, in eine nachhaltig gute Zukunft zu führen. Und zu dieser Zukunft gehören die Naturkosmetik genauso wie unsere anthroposophischen Arzneimittel.
Und dann kommt beim Re-Branding immer das Thema „Was kostet das alles?“
Bei uns bleibt das alles im Rahmen. Wir haben ja keine eigenen Geschäfte, nur einige Spas. Richtig teuer ist die Einführung eines neuen Logos für Handelsunternehmen. Bei Douglas beispielsweise musste das Branding in über 2.000 Filialen in ganz Europa angepasst werden. Bei uns betrifft es hauptsächlich das Logo auf den Produkten. Und hier haben wir uns entschlossen, die alten Materialien aufzubrauchen, statt sie wegzuwerfen – wir wollen auch hier nachhaltig wirtschaften.
Und Sie planen mit zwei Premium-Linien jetzt auch den Sprung in die Parfümerie. Trading-up bei Weleda?
Ja, wir rücken mehr in Richtung Premium und erschließen damit gezielt neue Vertriebskanäle. Wir bringen zwei neue Produktlinien auf den Markt, mit denen wir in die Parfümerien gehen. Die eine Linie ist im Anti-Aging-Bereich angesiedelt, die andere ist eine Multi-Generationen-Marke.
Wie schafft man es denn, bei so vielen Modernisierungsmaßnahmen die etwas ältere Stammkundin nicht zu verlieren?
Frauen über 50 sind doch heute ziemlich modern – ich zähle selbst dazu.
Ich auch!
Trotzdem hört man immer wieder ärgerliche Klischees wie „Die lesen nur Printmedien und schauen lineares Fernsehen“. Dabei ist diese Zielgruppe viel offener für Innovationen, als oft angenommen wird. Unsere Marktforschung zeigt: Viele Frauen über 50 lieben unsere Produkte, wünschen sich aber zugleich ein zeitgemäßes Design, damit die Kosmetik im Badezimmer noch besser zur Geltung kommt. Der Widerstand gegen Veränderungen ist bei unseren Stammkundinnen viel geringer, als man vermuten könnte.
Nicht mal bei den, ich sage mal Hardcore-Weledas, die zutiefst anthroposophisch ticken?
Auch diese Konsumentinnen sind offen für Weiterentwicklung. Entscheidend ist für sie vor allem, dass sich die Qualität unserer Produkte nicht verändert. Es geht um das Vertrauen in die Marke, und das bleibt bestehen.
Und wie begeistert man Digital Natives, für ein Unternehmen zu arbeiten, das in Schwäbisch Gmünd und Arlesheim sitzt – über das Thema Nachhaltigkeit oder die Person Tina Müller?
Es ist die Kombination aus einer starken Marke und frischer Führung. Es steht hoch im Kurs, für eine Marke zu arbeiten, die die Welt ein Stück besser machen möchte. Und bei uns können die Mitarbeitenden etwas bewegen. Wir befinden uns mitten in der Transformation – hier hat jede und jeder die Möglichkeit, aktiv mitzugestalten. Das reizt gute Leute. Wir haben mittlerweile auch einen Standort in Düsseldorf aufgemacht. Hier ist ein Content Lab entstanden, und auch das Team für unsere neuen Prestige-Projekte wird in Düsseldorf sitzen. Wer die richtigen Talente gewinnen will, muss als Unternehmen flexibel bleiben. Wir haben auch strukturell viel verändert.
Inwiefern haben Sie die Organisation neu aufgestellt?
Wir haben das Unternehmen in zwei Geschäftseinheiten gegliedert: Kosmetik und Pharma, um die Schlagkraft der Bereiche weiter zu stärken. Wir haben die Organisation digitalisiert. Jetzt rüsten wir im gesamten Unternehmen digital auf und haben uns auch hier personell verstärkt. Mit Andrea Lederer haben wir eine Chief Digital Officer gewonnen, die bei Amazon und Douglas weitreichende Expertise gesammelt hat und nun unsere neue Digitaleinheit mit rund 30 Spezialistinnen und Spezialisten aufbaut. Wir haben mit Susanne Schgaguler eine neue CMO bestimmt. Mir ist es sehr wichtig, dass eine Frau mit der Erfahrung von Susanne diese Top-Position besetzt. Ich habe auch bei Douglas Frauen mit Talent gefördert. Bei einem Beauty-Unternehmen müssen mindestens 50 % der Führungspositionen von Frauen besetzt sein. Davon bin ich überzeugt.
Tina Müller beim TW Beauty & Wellbeing Summit 2025
Am 24. September 2025 wird Tina Müller beim TW Beauty & Wellbeing Summit in Hamburg als Speakerin zu Gast sein. Mehr Informationen im Laufe der nächsten Wochen unter textilwirtschaft.de/events