Das Matterhorn gilt als der meistfotografierte Berg der Welt. Die pyramidenförmige Spitze ist zu einem Symbol der Schweiz geworden. Der größte Profiteur dieser naturgemachten Ikone ist der Ort am Fuße des Bergs: Zermatt. In das einst arme Walliser Dorf auf 1600 Metern über dem Meerspiegel kommen jährlich mehr als zwei Millionen Besucher. Die allermeisten zieht es nach ihrer Ankunft noch weiter in die Höhe. Sie nehmen die Gondel zu Europas höchstgelegener Bergstation am Gipfel des Klein Matterhorns. Dabei stockt vielen gleich zweimal der Atem: Zuerst, wenn sie an der Kasse bis zu 120 Franken (129 Euro) für die Berg- und Talfahrt berappen müssen. Und dann, wenn sie in 3820 Meter Höhe aus der Gondel steigen: Da oben ist die Luft so dünn, dass einem die Sinne schwinden.
Wer nicht nur einen oder zwei Tage, sondern ganze Skiferien in Zermatt verbringt, gewöhnt sich an die Höhenluft, sollte allerdings über ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen. Je nach Andrang (Stichwort: „dynamic pricing“) kann die Tageskarte für das Skigebiet mit seinen 360 Pistenkilometern bis zu 125 Franken kosten. Über solche Mondpreise legten Bergbahnbetreiber andernorts wohl lieber ein Mäntelchen des Schweigens. Nicht so in Zermatt: Markus Hasler, Geschäftsführer der Zermatt Bergbahnen AG, stellt mit einem gewissen Stolz in der Stimme fest: „Wir sind das teuerste Skigebiet in Europa.“ Wenn die Qualität eines Produktes stimme, sei der Gast auch bereit, einen hohen Preis zu zahlen, sagt Hasler im Gespräch mit der F.A.Z. in Zermatt.
Selbst der starke Schweizer Franken, der aktuell 1,07 Euro kostet, scheint den Zustrom nicht zu bremsen: „Wir rechnen mit einem sehr starken Winter“, sagt ein Sprecher des Zermatter Tourismusbüros mit Blick auf die aktuell hohe Nachfrage nach Unterkünften. Man zähle auf ein zahlungskräftiges Publikum, „das sich von den Währungsschwankungen tendenziell nicht von Ferien in Zermatt abhalten lässt“.
Die Premiumstrategie geht auf
Hasler verfolgt mit der Bergbahn, die er seit dreizehn Jahren führt, eine Premiumstrategie, in der sich das Selbstverständnis der Zermatter Tourismusbetriebe spiegelt: „Wir wollen keinen Massentourismus, wir wollen Qualität. Wir wollen ein Nischenprodukt haben, das sich die zahlungskräftige Klientel leisten will.“
Bisher geht die Kalkulation auf. Während andere Schweizer Seilbahnbetriebe ums Überleben kämpfen und verzweifelt nach Investoren suchen, geht es den Zermatter Bergbahnen gut. Im Geschäftsjahr 2023/24, das Ende Mai zu Ende gegangen ist, erzielte das Unternehmen einen Rekordumsatz von gut 94 Millionen Franken und ein zuvor nie erreichtes Betriebsergebnis (Ebitda) von knapp 51 Millionen Franken. Das ergibt eine operative Umsatzrendite von 54 Prozent.
Infolge hoher Abschreibungen stand unter dem Strich allerdings nur ein kleiner Gewinn von 3,1 Millionen Franken. Aber die Abschreibungen spiegeln den hohen Einsatz, den Hasler betreibt, um das Angebot stetig zu modernisieren und zu erweitern. „Seit 2002 haben wir 760 Millionen Franken investiert“, rechnet er vor.
Erfolg hält sich in Grenzen
Die jüngste Neuerung heißt „Matterhorn Alpine Crossing“: Eine Gondelverbindung führt von Zermatt über das Klein Matterhorn hinunter zur Station Testa Grigia auf der Grenze zu Italien und von dort hinunter in das italienische Bergdorf Cervinia. Rund 150 Millionen Franken hat Hasler in den dafür nötigen zweistufigen Ausbau der Seilbahnen investiert. Die 90 Minuten lange Einzelfahrt von der Schweiz nach Italien oder umgekehrt kostet 124 Franken; in der Hochsaison sind 156 Franken fällig.
Der Erfolg dieses kostspieligen Angebots hält sich bisher offenbar noch in Grenzen. Ein Zermatter Hotelier berichtete der F.A.Z., dass man noch nichts spüre von den versprochenen Individualtouristen aus Amerika und Asien, die auf ihrer Reise durch Europa den neuen Alpenquerlift nutzen sollten. Hasler indes spricht von einer „großen Nachfrage“, räumt zugleich aber ein: „Ein solches Produkt braucht Zeit, bis es sich im Markt etabliert. Durch den relativ hohen Preis wird der Zulauf immer gesteuert bleiben.“
Gebremst wird die Nachfrage schon dadurch, dass durchreisende Touristen ihre Koffer bei den mehrmaligen Umstiegen bisher eigenhändig von Gondelstation zu Gondelstation schleppen müssen. Der eigentlich geplante Gepäcktransport durch Dritte ist aufgrund bürokratischer Zollhürden derzeit nicht möglich. Die Schweizer Behörden haben inzwischen grünes Licht erteilt. „Was noch fehlt, ist die Unterschrift der italienischen Zollbehörden in Turin“, sagt Hasler, der fest davon überzeugt ist, dass sich die Investition für die Bergbahn am Ende rechnet.
3000 Gipfelbesucher am Tag
Früher sei der Zugang zum Klein Matterhorn aufgrund der vorgeschriebenen Wartungsarbeiten an der damals einzigen vorhandenen Gondelbahn im Frühjahr und Herbst eingeschränkt gewesen. Da es jetzt zwei moderne und windstabile Bahnen hinauf auf diesen Gipfel gebe, sei dieser nun an 365 Tagen im Jahr erreichbar. „An manchen Tagen bringen wir mehr als 3000 Personen auf das Klein Matterhorn“, freut sich der Bergbahnchef.
Der Transfer von Wintersportlern auf der italienischen Seite des Matterhorns hinüber in das viel größere Zermatter Skigebiet und wieder zurück sei anders als früher nun ohne endloses Schlangestehen möglich. „Wir haben den Korken aus dem Flaschenhals gezogen.“
Ein Engpass besteht allerdings noch auf der italienischen Seite. Dort führt nur eine einzige Bergbahn von der Mittelstation hoch zur Testa Grigia auf der schweizerischen Grenze. Doch auch da tut sich etwas, wie Hasler erzählt: „Auf der italienischen Seite ist der Bau einer neuen Seilbahn geplant.“ Denn dank des nunmehr guten Zugangs zum Schweizer Skigebiet sei die Besucherzahl in Cervinia markant gestiegen.
Profiteuer des Klimawandels
Es spricht viel dafür, dass sich die Investition auch für die Italiener auszahlt. Langfristig werden wohl nur die Skigebiete in den Alpen überleben, die hoch hinauf in die Berge reichen und daher schneesicher sind. Gebieten unterhalb von 2000 Meter Höhe wird es wegen der Erderwärmung zunehmend schwerfallen, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Umso mehr Wintersportler dürfte es dann in Orte wie Zermatt ziehen, wo überdies alle Pisten künstlich beschneit werden können. Zermatt werde vom Klimawandel mittel- und langfristig noch mehr profitieren, bestätigt Hasler und fügt hinzu: „Dank der Höhenlage haben wir hier die besten Voraussetzungen, um im Geschäft mit Wintersportlern auch in Zukunft erfolgreich zu sein.“
Aus Haslers Sicht wird sich die Zweiklassengesellschaft in der Welt der Schweizer Bergbahnen künftig noch stärker akzentuieren: auf der einen Seite die darbenden Betriebe in tieferen Lagen, denen mit dem Schnee auch die Besucher wegschmelzen, und auf der anderen Seite die profitablen Seilbahnen in hoch gelegenen Destinationen rund um Titlis, Jungfraujoch und Matterhorn, die ganzjährig internationale Gäste anziehen und daher ihre teuren Anlagen viel besser auslasten und ständig weiter investieren können.
Diesbezüglich schoss die Jungfraubahn vor ein paar Jahren den Vogel ab: Sie steckte 470 Millionen in eine neue Talstation in Grindelwald und den „Eiger Express“ zur neu errichteten Bergstation oberhalb der Kleinen Scheidegg. Seither sind Umsatz und Gewinn nach oben geschnellt.
„In zehn Jahren 200 bis 300 Franken“
Die klimabedingte Verknappung des Angebots sowie die steigenden Kosten für Energie und Personal dürften die Ticketpreise weiter nach oben treiben. „In zehn Jahren kostet die Tageskarte 200 bis 300 Franken“, sagte Reto Gurtner Anfang Oktober in einem Interview. Gurtner kontrolliert mit seiner „Weißen Arena Gruppe“ die Graubündner Wintersportgebiete Flims und Laax.
Die Preisprognose erinnert an die Verhältnisse in Amerika, wo ein Tagesskipass heute schon 300 Dollar kosten kann. Der dort führende Skigebietsbetreiber Vail Resorts wäre Gerüchten zufolge daran interessiert, die Weiße Arena zu übernehmen. Die Amerikaner mischen gerade den Schweizer Skimarkt auf. Der börsennotierte Konzern hat bereits die Aktienmehrheit der Bergbahnen in Crans-Montana (Kanton Wallis) und Andermatt (Kanton Uri) gekauft.
Bei Markus Hasler brauchen die Amerikaner gar nicht erst anzurufen. Die mehrheitlich der Gemeinde Zermatt und deren Bürgern gehörende Bergbahn benötige kein Geld von außen und stehe nicht zum Verkauf. „Die Zermatter teilen nicht gern.“ In der Tat: Auch der weitaus größte Teil der Zermatter Hotelbetriebe, Restaurants und Geschäfte ist bis heute im Besitz von alteingesessenen einheimischen Familien.