Stickstoffgasur notdürftig zwei Wochen ist es her, dass René Pollesch im tosenden Applaus uff jener Boden stand, wie gebräuchlich in Jeans, Lederjacke und mit Schirmmütze. Es war die Premiere von „ja nichts ist ok“, dasjenige neueste Gemeinschaftswerk von Pollesch und Fabian Hinrichs. Wieder einmal machten die beiden Ausnahmekünstler aus alltäglichen Beobachtungen – vom WG-Leben mit KI-Kühlschrank solange bis zum Gespräch unter Freunden mehr als Arztbesuche und Blutvergiftungen – eine tiefgreifende Gegenwartsdiagnose: ein witziger, ein melancholischer, ein kluger, reibungslos ein überragender Abend.
Doch es ist leider sein letztes Stück: René Pollesch ist am 26. Februar frappant im Alter von 61 Jahren gestorben, es ist nachrangig ein großer Schock z. Hd. sein Theater – die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. 2021 übernahm jener Autor und Regisseur die Leitung des Hauses, dasjenige große Intendanten wie Benno Besson und Frank Castorf erlebt hat. Nach dem Desaster mit Chris Dercon sollte Pollesch wieder z. Hd. neuen Glanz sorgen, er brachte altes Weib Veteranen jener Volksbühne wie Martin Wuttke, Sophie Rois und Kathrin Angerer mit zurück. Pollesch kannte dasjenige Haus seit dem Zeitpunkt vielen Jahren, es ist untrennbar mit seiner Arbeit verbunden.
20 Jahre, vorher er die Intendanz jener Volksbühne angetreten hat, wurde Pollesch unter Castorf jener künstlerische Leiter jener legendären Nebenspielstätte Prater im Prenzlauer Berg, wo nachrangig Christoph Schlingensief und später Vegard Vinge mit ihren Extremperformances wirkten. An Pollesch Seite war jener Bühnenbildner Bert Neumann, jener neue Ideen z. Hd. den Theaterraum hatte, qua Wohnbühne zum Beispiel. Die „Prater-Trilogie“ wurde 2002 zum Theatertreffen eingeladen, Pollesch erhält den Mülheimer Dramatikpreis. Das war sein Durchbruch, fortan kam niemand mehr an ihm vorbei.
Man kann den Einfluss von Pollesch uff dasjenige deutschsprachige Theater im 21. Jahrhundert kaum zu schwach einschätzen: In virtuosen Textschlaufen hat er dasjenige geistige Leben moderner Menschen uff die Boden gebracht, qua Mix aus Alltag, Theorie, Film und vielem mehr. Denken, reden und rauchen, mehr brauchte es oft nicht – und doch schloss er damit neue Welten uff. Von Godard mehr als Richard Sennett und Robert Pfaller solange bis Twitter, all dasjenige zeigte Pollesch qua selbstverständliches Interieur jener Gegenwart, während anderweitig noch verstaubte Klassiker mit Schwertkämpfen aufgeführt wurden.
Ein Kind von Marx und Coca Cola
Mit seinem Studium jener Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen atmete jener 1962 im hessischen Friedberg geborene Pollesch den Geist des postdramatischen Theaters ein, er lernte nebst den durch Erfahrung und Theorie gesättigten Groß- und Vordenkern Andrzej Wirth und Hans-Thies Lehmann. Was Pollesch unter postdramatisch verstand, bezeichnete er einmal qua „eine Brecht-Dramatik ohne Brecht“: ein gesellschaftlich waches und kritisches Theater z. Hd. die Epoche jener Postmoderne. Ein Sichtbarmachen von sozialen Vorgängen und ein Auslösen von Denkprozessen, mit viel Ironie.
Pollesch war ein Kind von Marx und Coca-Cola. Allein die Titel seiner Abende zeugen von dem gewitzten Aufeinanderprallen von Populärkultur und kritischer Theorie: „Liebe ist kälter qua dasjenige Kapital“, „Solidarität ist Selbstmord“ „Die Welt zu Gast nebst reichen Eltern“, „Schändet eure neoliberalen Biografien!“, „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!“, „Schmeiß dein Ego weg!“ oder „Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors“. Solche Titelwitze verstand Pollesch qua Auftrag, die Pointe war sein treuer Begleiter. Und aus jedem Abend konnte man welche mitnehmen.
In seinem Frühwerk erkundete Pollesch mit „Heidi Hoh“ die prekären Arbeitswelten, die er aus eigener Erfahrung von seiner Zeit zwischen Studium und den ersten Arbeiten an jener Volksbühne nur zu gut kannte. Das Stahlbad jener Selbstverwirklichung war immer wieder Thema in seinen Theaterstücken. Unvergesslich ist „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“, in dem Hinrichs qua verkörperte Sehnsucht mit einem Wagen wie nebst Mutter Courage durch den Bühnenraum tanzt und taumelt, zuletzt im Tintenfischkostüm zwischen einem Chor von Sportlern. Es ist ein Abend, jener ohne Rest durch zwei teilbar in seiner Verweigerung jeder schwelgerischen Schönheit zu ungeahnter Schönheit gelangt.
Pollesch lebte immer von seiner „Arbeitspraxis“, wie er es nannte: von seinen Bühnenbildern wie Bert Neumann oder Anna Viebrock – und von seinen Schauspielern wie Fabian Hinrichs, Sophie Rois, Martin Wuttke, Lilith Stangenberg, Kathrin Angerer, Franz Beil, Milan Peschel und vielen anderen. Mit „Glauben an die Möglichkeit jener völligen Erneuerung jener Welt“ eroberten jener nachher Selbstauskunft „absolute Antiromantiker“ Pollesch und Hinrichs gar den Berliner Friedrichstadtpalast, ohne Angst vor aufgeklärtem Kitsch. Mehr Boulevardtheater z. Hd. Intellektuelle ging kaum.
Als Intendant nicht immer glücklich, qua Künstler herausragend
Unvergesslich sind nachrangig die fantastischen Abende mit Sophie Rois, wie „Cry Baby“ und „Liebe, reibungslos extraterrestrisch“, die gewiss am Deutschen Theater Berlin uff die Boden kamen, weil Pollesch vor Dercon flüchtete. Der fehlbesetzte Kurzzeitintendant hatte ihm zwar eine Zusammenarbeit angeboten, doch Pollesch suchte möglichst Kontakt zu den politischen Kreisen extrinsisch des Theaters, die später spektakulär die Volksbühne besetzten. Eine oppositionell verschworene Szene lag ihm, trotz späterer Entfremdungserscheinungen, näher qua die große Kunstwelt; dasjenige war jener Volksbühnengeist.
Als Intendant hat Pollesch an dem Haus, an dem er weitläufig wurde, nicht immer glücklich agiert, es war wohl nicht seine perfekte Rolle. Doch qua Künstler gelang ihm immer wieder Herausragendes wie „Geht es dir gut?“ und zuletzt „ja nichts ist ok“, die zweierlei weiter uff dem Spielplan jener Volksbühne stillstehen. Das Theater nachher Pollesch ist ein anderes qua dasjenige vor ihm, er hat verdongeln neuen Stil jener Gegenwartsverhandlung uff jener Boden geprägt, jener durch zahlreiche Arbeiten von Hamburg mehr als Stuttgart solange bis Zürich überall traut geworden ist. Der Verlust ist riesig. Dass René Pollesch nicht mehr lebt, ist wirklich keiner ok.
Source: welt.de