Auf einer Sicherheitskamera ist der tödliche Moment festgehalten: Ein Tanklastwagen rangiert in einem Treibstoffdepot in Calenzano bei Florenz; er fährt an drei anderen Wagen vorbei, dann blitzt plötzlich ein rot-orangener Feuerball auf, gefolgt von Flammen und schwarzem Rauch.
Wieder ist es in Italien zu einem schweren Arbeitsplatzunfall gekommen. In einem Depot des teilstaatlichen Energieanbieters ENI hat am Montag eine Explosion fünf Menschenleben gekostet und 26 Verletzte verursacht, darunter mehrere schwer. Die Ermittlung zur Unfallursache laufen. „Leider kann so etwas auch an vielen anderen Standorten passieren“, sagte Gianluigi de Gennaro, Professor für Chemie und ehemaliges Mitglied einer Kommission des Umweltministeriums für Umweltverträglichkeitsprüfungen der Tageszeitung „La Stampa“.
In Italien ist nun eine Debatte über die Sicherheit der elf Raffinerien des Landes und der verschiedenen Treibstofflagerstätten ausgebrochen. Beunruhigend ist, dass der Unfall in einem der größten Konzerne Italiens passierte, von dem die Einhaltung von Sicherheitsstandards und angemessene Ausbildungsmaßnahmen erwartet werden sollten.
Alte Anlagen, kaum Schulung
Arbeitsunfälle gehören in Italien zum traurigen Alltag. Häufig führen sie die Ermittler auf veraltete Anlagen, unzureichende Einweisung der Arbeiter und fehlende Sicherheitsprozeduren zurück. Der große Sektor der Schwarzarbeit Italiens und die vielen kleinen Unternehmen mit geringen finanziellen Mitteln gelten als besonders anfällig. Doch auch die großen Unternehmen sind davor nicht gefeit, wie sich jetzt zeigt.
Nach Gewerkschaftsangaben geben die Konzerne oder auch öffentliche Unternehmen häufig Aufträge an kleinere private Firmen, die dann wiederum Subunternehmen verpflichten. Bei jeder Weitergabe des Auftrages wird der Preis gedrückt. Am Ende der Kette auf Ebene der Ausführung fehlt es dann oft an Personal, Kenntnissen der Sicherheitsbestimmungen und ausreichender Schulung.
Im April dieses Jahres explodierte an einem Stausee zwischen Florenz und Bologna eine Turbine des teilstaatlichen Kraftwerkbetreibers Enel, wodurch sieben Menschen starben. In Florenz hatte die Serie von Arbeitsunfällen in dem „schwarzen Jahr“ 2024 angefangen: Im Februar stürzte eine Stahlbetonkonstruktion der Supermarktkette Esselunga ein, fünf Menschen kamen uns Leben. Im Mai starben fünf Personen, die für ein Privatunternehmen im Auftrag des städtischen Wasserunternehmens von Palermo in Sizilien in einem Abwasserkanal arbeiteten; sie trugen offenbar weder Schutzausrüstung noch Atemmasken und starben am Einatmen von hochkonzentriertem und damit hochgiftigem Schwefelwasserstoff.
In Statistiken schneidet Italien schlecht ab
Im internationalen Vergleich gehört Italien laut den Statistiken zu den schlechter abschneidenden Ländern in der Europäischen Union, es ist jedoch kein Schlusslicht, jedenfalls nach einer Statistik von Eurostat des Jahres 2021. Danach lagen bei Arbeitsunfällen mit Todesfolge Lettland und Litauen als traurige Spitzenreiter deutlich vor Italien, gefolgt von Malta, Frankreich, Österreich, Rumänien und Bulgarien. Italien kam auf den achtschlechtesten Rang mit 2,66 Todesfällen je 100.000 Erwerbstätigen, deutlich über dem EU-Durchschnitt von 1,76. Deutschland lag im besseren Drittel mit einem Wert von 0,84.
In diesem Jahr kam es in Italien nach Angaben des staatlichen Versicherungsinstituts für Arbeitsunfälle, Inail, in den ersten zehn Monaten bereits zu 890 Arbeitsunfällen mit Todesfolge, 22 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, doch weniger als in den Jahren 2019 bis 2022. Besonders angestiegen ist die Zahl der Unfälle auf dem Weg zur Arbeit. Zu den Sektoren mit den meisten Todesfällen bei der Arbeit gehören in dieser Reihenfolge das Baugewerbe, die Industrie sowie Verkehr, Lagerwirtschaft und Handel.
Die Zahl der Todesfälle italienischer Arbeitnehmer ging in diesem Jahr leicht zurück, dafür stieg jene von außereuropäischen Erwerbstätigen deutlich an. Die Todesfälle von Arbeitnehmern aus dem europäischen Ausland verzeichneten einen leichten Anstieg. Die Zahl der gesamten Meldung von Unfällen, mit und ohne Todesfolge, nahm in den ersten zehn Monaten um 0,4 Prozent auf knapp eine halbe Million zu.
Opposition fordert Reaktion von Meloni ein
Die oppositionellen Parteien der sozialdemokratischen PD und der linksstehenden Fünf Sterne forderten die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Dienstag um Handeln und zu einer Stellungnahme im Parlament auf. Die Gewerkschaften von ENI riefen zu Streiks und Versammlungen auf. Die Regierung, die Unternehmen und ihre Verbände müssen sich ihrer Verantwortung stellen“, verlangte die Gewerkschaft USB und warf den Unternehmen Profitgier und den öffentlichen Stellen fehlende Kontrollen vor.
Die Gewerkschaft Fiom-Cgil kündigte eine Zivilklage an. Wie schon beim Unfall an der Baustelle des Supermarktes Esselunga sei es auch diesmal sehr schwierig, genau nachzuvollziehen, wer die verschiedenen Unterauftragnehmer waren und wo damit die Verantwortlichkeiten liegen, kritisierte die Gewerkschaft.
Vor Gefahren war gewarnt worden
Was den ENI-Standort in Calenzano bei Florenz angeht, so hatte es dort schon vor vier Jahren Warnungen vor Unfallrisiken gegeben. Doch den Behörden fehlt es in Italien oft an Personal für die notwendigen Untersuchungen. Zudem funktioniert die Gesetzgebung mit der sich daran anschließenden Bürokratie nur langsam.
So wurde 2016 ein Gesetz für mehr Inspektionen mit landesweit einheitlichen Mindestanforderungen verabschiedet. „Doch erst 2024, mit achtjähriger Verspätung, kam das Durchführungsdekret, das die Rolle der Inspektoren definiert. Und ein weiteres Dekret, das wichtige Parameter festlegt, fehlt immer noch“, bemängelte ein Vertreter der Umweltorganisation Legambiente.
Die Regierung hielt sich nach dem Unfall bei ENI am Dienstag mit Stellungnahmen weitgehend zurück. Der ENI-Konzern, der Italiens größter Öl- und Gasförderer sowie Tankstellenbetreiber ist, sagte volle Kooperationsbereitschaft mit den Justizbehörden zu. Die Staatsanwaltschaft der nahe gelegenen Industriestadt Prato ermittelt.