Das progressive Amerika kann zufrieden sein mit der ersten großen Entscheidung der demokratischen US-Präsidentschaftsanwärterin. Von den vier bis sechs weißen Männern, die angeblich in die Wahl kamen als Bewerber um die Vizepräsidentschaft hat Kamala Harris laut ihrer Mitteilung auf Instagram Tim Walz ernannt, den Gouverneur von Minnesota. Der 60-jährige frühere Soldat, Erdkundelehrer und High School Football-Coach gilt als ungewöhnliche politische „Mischung“ – bodenständig, moderat, doch auch populistisch und zugleich pragmatisch. Er ist auf dem Land aufgewachsen, geht zum Jagen, und kann offenbar mit „normalen“ Menschen. Walz ist kein Rechtsanwalt, wie viele demokratische Politiker.
Gewerkschafter und Bernie Sanders sind von Walz angetan
Liz Shuler, Präsidentin des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO, lobte Walz als einen Kämpfer für die Arbeiter. Bernie Sanders äußerte sich bereits vor Harris‘ Ankündigung positiv in einem Rundfunkinterview. Walz verstehe, was „arbeitende Familien“ brauchen. Er sei jemand, der sich mit „mächtigen Wirtschaftsinteressen“ anlegen werde. 2006 wurde Walz in einem eher republikanischen Wahlkreis in Minnesota zum Kongressabgeordneten gewählt und danach mehrfach bestätigt. 2018 dann kandidierte er mit Erfolg für das Gouverneursamt.
Als Gouverneur von Minnesota setzte Walz eine Reihe von Sozialreformen durch. Sie führten zu mehr Krankengeld, zu kostenlosen Mittagessen in Schulen, Steuererleichterungen für untere Einkommen, für Abtreibungsrechte, LGBT-Schutz und mehr Klimaschutz. Walz war sich nicht so schade, streikende Arbeiter zu unterstützen. Der Staat im Mittleren Westen gilt als ein „Modell“ für das, was politisch möglich ist, wenn Demokraten regieren. In Walz‘ Amtszeit fiel auch der gewaltsame Tod des Schwarzen George Floyd, eines Opfers von Polizeigewalt in Minneapolis im Jahr 2020. Walz mobilisierte die Nationalgarde, um seinerzeit Aufstände und Plünderungen einzudämmen.
Wahltaktisch gesehen: In Minnesota im Mittleren Westen hatte sich Team Harris auch ohne den Gouverneur gute Chancen ausgerechnet. Walz soll nun den „Rest“ des Mittleren Westens und des so genannten „Rostgürtels“ sichern, die umkämpften und möglicherweise wahlentscheidenden Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Walz ist offenbar als Emissär zur weißen Arbeiterschicht, zu den Menschen auf dem Land, die mit großer Mehrheit für Republikaner stimmen. Walz‘ direkter Gegenspieler, der republikanische Vize-Anwärter J.D. Vance, gibt sich als Fürsprecher
der „vergessenen“ weißen Arbeiterschicht.
War J.D. Vance doch keine so glückliche Entscheidung von Donald Trump?
Vance hat es gerade nicht leicht. Die Ernennung dieses 40-jährigen „Mini-Trumps“ erschien gar nicht so abwegig vor gefühlt sehr langer Zeit, beim republikanischen Nominierungsparteitag Mitte Juli. Bei der großen Huldigung des Attentatsüberlebenden fühlte sich das trumpistische Amerika so siegessicher wie vielleicht noch nie. Doch dann verzichtete Joe Biden auf die Kandidatur. Vielleicht hätte Trump doch einen Vize mit Zugang zu Wählerinnen und Wählern nehmen sollen, die noch nicht dabei sind, wird seitdem spekuliert. Peinlich sind alte Aussagen von Vance. Er schrieb 2016 im Magazin The Atlantic, Trump sei „kulturelles Heroin“. Manche Leute fühlten sich „ein bisschen besser“ durch Trump. „Doch er kann nicht heilen, was ihnen weh tut, und eines Tages werden sie das realisieren.“
Analysen gehen auseinander, ob ein Vizepräsident tatsächlich großen Einfluss hat am Wahltag. Beim Verband schwarzer Journalisten Ende Juli lobte Trump J.D. Vance, schränkte jedoch ein, dass Vizepräsidenten „keine Auswirkung“ auf das Wahlergebnis hätten. Es wird viel Symbolpolitik betrieben. Trumps Vizepräsident Mike Pence soll 2016 mit konservativen weißen Christen geholfen haben. Kamala Harris repräsentierte für Joe Biden das Gesicht der modernen Demokratischen Partei. Biden spielte als Nummer Zwei des jungen Barack Obama die Rolle des erfahrenen Politikers – zu Hause und auf internationalem Parkett. Und nun also so Tim Walz.