Tekin Nasikkol schwingt einen Hammer über seinen Kopf, wie ihn der nordische Donnergott Thor aus den Marvel-Filmen bei sich trägt. „Wer mit der Brechstange droht, der wird den Stahlhammer spüren“, ruft der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp den Stahlarbeitern zu. Tausende sind am Dienstagmorgen vor die Zentrale von Deutschlands größtem Stahlkonzern gezogen, um zu protestieren für eine Zukunft ihrer Werke und gegen Arbeitsplatzabbau und den Vorstand des M-Dax-Konzerns. Sie jubeln Nasikkol zu, der auch im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp sitzt – und sich von den jüngsten Plänen zum Einstieg des tschechischen Investors Daniel Kretinsky trotzdem zu schlecht informiert fühlt.
„Es gibt keinen Respekt mehr vor der Mitbestimmung“, klagt Nasikkol, „das ist respektlos und eine Provokation“, ruft er, und packt wieder die Hammer-Requisite aus. IG Metall und der Betriebsrat hatten zu der Demonstration vor der Unternehmenszentrale der Stahlsparte in Duisburg aufgerufen. Rund 13.000 der 27.000 Beschäftigen aus dem Geschäftsbereich arbeiten in den Stahlwerken der Stadt, doch auch von anderen Standorten sind sie mit Bussen angereist: Aus Ahrweiler, aus dem Siegerland und den Ruhrgebietsstädten Dortmund, Gelsenkirchen, Essen und Bochum. „Zukunft statt Kündigung“ und „Kein weiterer Stellenabbau“ steht auf ihren Bannern und Plakaten.
Angst vor Stellenabbau
Ursprünglich wollte die Gewerkschaft eine interne Betriebsversammlung im Duisburger Fußballstadion abhalten, in der es um die geplante Reduzierung der jährlichen Stahlproduktion gehen sollte. Mit ihr geht auch ein bislang nicht näher bezifferter Arbeitsplatzabbau einher. Doch zu dieser Unsicherheit – die sie in der Stahlsparte angesichts früherer Abbau- und Sparprogramme schon gewohnt sind – gesellt sich eine neue Aufregung: Nachdem der Vorstand des Industriekonzerns am Freitag mitteilte, dass der tschechische Investor Daniel Kretinsky zunächst 20 Prozent an der Stahlsparte übernehmen soll und das auf bis zu 50 Prozent aufstocken will, sind Gewerkschaft und Betriebsrat vollends im Kampfmodus angekommen.
Sie fühlen sich schlecht informiert, erst kurz vor der Ankündigung seien die Arbeitnehmervertreter davon informiert worden. Knut Giesler, der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, spricht auf der Bühne gar von „durchgeknallten Managern“, wenn er über den Vorstand von Thyssenkrupp redet. Der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm lasse sich vom Vorstand Miguel Lopez durch die Manage führen, wenn das Kontrollgremium noch gar nicht richtig über die Pläne zur Zukunft des Stahls Bescheid wisse. Am 23. Mai soll der Aufsichtsrat in Essen wohl über den Einstieg Kretinskys abstimmen, auch für den Tag haben Gewerkschaft und Betriebsrat schon Proteste angekündigt.
„Es ist gut, wenn jemand Geld mitbringt und eine Idee hat“, sagt Giesler zum Einstieg des Investors auf der Bühne vor der Stahlzentrale, doch sei noch völlig unklar, wie der neue Miteigentümer in die Restrukturierung eingreifen wolle. „Wir brauchen Details, wir wollen wissen, was passiert“, ruft der IG-Metall-Vertreter. Beim Verkauf der Aufzugsparte habe es Finanzpläne gegeben, Gespräche über Standortsicherung und Arbeitsplätze, so etwas fehle für den Stahl bislang. „Es gibt Ankündigungen, aber es gibt keine Konzepte“.
Vorstand widerspricht der Gewerkschaft
Der Vorstand von Thyssenkrupp hatte schon am Vortag der Darstellung von Gewerkschaft und Betriebsrat widersprochen. So habe der Konzern immer wieder in Gremien und öffentlich betont, dass es Gespräche zu einer 50:50-Beteiligung von Kretinskys Gesellschaft EP Corporate Group an der Stahlsparte gebe. Außerdem habe das Unternehmen auch die Arbeitnehmervertreter in der vergangenen Woche über fortgeschrittene Verhandlungen berichtet. „Die Überraschung über Ergebnisse, die am vergangenen Freitag erreicht worden sind, dürfte sich aus den genannten Gründen in Grenzen gehalten haben“, heißt es in der Mitteilung des Vorstands spitz.
Gleichwohl verlaufen die Konfliktlinien zwischen Betriebsrat und Vorstand entlang der Kommunikation. Denn die Zukunftsangst ist groß. Dabei ist allen klar auf der Wiese, dass sich Thyssenkrupp verändern muss, der Konzern steckt mitten im Umbau zu einer grünen Stahlproduktion. Weil Bund und das Land NRW den Bau einer sogenannten Direktreduktionsanlage, die einen Hochofen ersetzen soll, mit insgesamt 2 Milliarden Euro fördert, will die Politik auch mitreden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist auch zur Versammlung gekommen. „Es ist unsere Pflicht als Politik nicht tatenlos zuzugucken“, sagt Heil. Konzepte müssen für alle Standorte auf den Tisch, was auch für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) gelte, an denen Thyssenkrupp noch mit 50 Prozent beteiligt ist. Dort arbeiten 3000 Menschen, viele von ihnen sind auch auf vor die Stahlzentrale zum Protest gezogen. „Ohne Stahl keine Sicherheit, ohne Stahl kein Windrad“, sagt Heil, er spricht den Beschäftigten Mut zu und betont ihre Rolle für die Gesellschaft. Gleichwohl ist unklar, wie viele Stahlkocher man in Zukunft in einer grün elektrifizierten Industrie noch brauchen wird. „Man kann nur transformieren, was da ist“, sagt Heil. Die Mitbestimmung müsse gewahrt bleiben, betriebsbedingte Kündigungen müssten verhindert und Investitionen umgesetzt werden.
Noch bis 2026 sind betriebsbedingte Kündigungen bei Thyssenkrupp Steel Europe ausgeschlossen, die Gewerkschaft kämpft dafür, dass das verlängert wird. Bei einer geringeren Stahlproduktion, wie sie der Vorstand in Aussicht stellt, dürften diese Verhandlungen mit der Konzernführung – und dem neuen Miteigentümer Kretinsky – aber hart geführt werden. Die Protestaktion vor der Hauptverwaltung ist wohl nur der Auftakt für heiße Wochen im Schatten des Stahlwerks.