Thierry Breton tritt zurück und wirft von dieser Leyen zweifelhaften Führungsstil vor

Thierry Breton ist sich beim Abtritt treu geblieben. Der französische Kommissar hat den Kurznachrichtendienst X in den vergangenen fünf Jahren nicht ohne Grund wie kein anderer in Brüssel zur Vermarktung der EU und sich genutzt – an seinem letzten Amtstag verzichtete er darauf. Erst ein leerer Rahmen mit der Überschrift „Mein offizielles Porträt für die nächste EU-Kommission“, dann, Minuten später, der Rücktrittsbrief an Präsidentin Ursula von der Leyen. Vor wenigen Tagen, kurz vor der Bekanntgabe der nächsten Kommission, habe von der Leyen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgefordert, ihn aus „persönlichen Gründen“ auszutauschen, ohne diese Gründe „irgendwann direkt mit mir diskutiert zu haben“, ließ Breton die Öffentlichkeit wissen.

Das Vorgehen werfe ein „zweifelhaftes Licht auf die Regierungsführung“, heißt es weiter. Er trete damit mit unmittelbarer Wirkung zurück. Zuvor hatte Breton im Laufe des Wochenendes gehört, dass Macron der „Bitte“ von der Leyens nachkommen werde. Sie hatte Macron, so schreibt Breton, im Gegenzug ein einflussreiches Portfolio angeboten.

Breton wurde davon offenkundig vollkommen überrascht. Er durfte noch vor wenigen Tagen selbst davon ausgehen, in der neuen Kommission die Zuständigkeit für Industriepolitik zu bekommen und als einer der Vizepräsidenten eine Schlüsselrolle zu übernehmen. Darauf zumindest deutete vieles hin, was aus der Kommission zu hören war. Von der Leyen wird voraussichtlich an diesem Dienstag ihre neue Kommission und die Verteilung der Dossiers vorstellen.

Das stieß auch Macron übel auf

Die Hintergründe der Entscheidung von der Leyens gegen Breton blieben zunächst unklar. Von der Leyen hat bis zuletzt versucht, den Anteil der Frauen in der Kommission zu erhöhen. Zuvor standen einer Mehrheit von 16 Männern inklusive von der Leyen elf Frauen gegenüber. Macron nominierte allerdings am Montag mit dem scheidenden Außenminister Stéphane Séjourné abermals einen Mann als Kommissar für Frankreich.

So deutet vieles darauf hin, dass die „persönlichen Gründen“ tatsächlich auf das seit Langem belastete Verhältnis der beiden Politiker anspielen. Breton hatte von der Leyen im Frühjahr öffentlich vorgeführt, als er – auf X – auf die vermeintlich schwache Unterstützung ihrer Spitzenkandidatur für die Europawahl beim Parteitag der Christdemokraten hinwies.

Das stieß auch Macron übel auf. Zudem stellte sich Breton gegen von der Leyens Plan, den Europaabgeordneten Markus Pieper (CDU), zum Mittelstandsbeauftragten der EU zu machen. Als der aufgab, konnte sich Breton nicht verkneifen zu verbreiten: „Wie bei allen Ernennungen sind Transparenz, Kollegialität und Leistungsprinzip bei der Auswahl von entscheidender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Stelle und des gesamten Organs“ – auf X, versteht sich.

In den entscheidenden Punkten setzte sich Breton durch

Hinzu kommen die politischen Alleingänge des ehemaligen Industriemanagers, dem auch seine Befürworter ein überbordendes Ego und einen besonderen Hang zur Selbstdarstellung bescheinigen. Mitte August sorgte in Brüssel für Unmut, dass sich Breton vor dem viel beachteten Gespräch des X-Eigentämers Elon Musk mit dem republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zu Wort meldete. Er hatte unter Verweis auf das EU-Gesetz für digitale Dienste (DSA) gewarnt, X dürfe keine Inhalte verbreiten, die EU-Bürgern schaden könnten. Die Kommission beeilte sich klarzustellen, dass das nicht mit von der Leyen abgestimmt war.

Dennoch zeigten sich in der Kommission einige überrascht, dass von der Leyen Breton so kurz vor dem Abschluss der Arbeiten an der neuen Kommission abgelehnt hat. Macron habe schließlich vor mehr als zwei Monaten schon angekündigt, Breton abermals nach Brüssel schicken zu wollen. Offiziell nominiert hat ihn Macron in einem Schreiben vom 25. Juli. Seither habe es Zeit genug gegeben, das Gespräch mit Breton wie Macron zu suchen, hieß es in Brüssel.

Inwieweit der Austausch von Breton Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der neuen Kommission hat, bleibt abzuwarten. Eine Kehrtwende ist allerdings nicht zu erwarten. Breton hat sich in den vergangenen viereinhalb Jahren nicht nur mit den amerikanischen Digitalkonzernen angelegt. Er hat sich vor allem als Befürworter einer klassisch französisch geprägten Industriepolitik hervorgetan, die durch staatliche Eingriffe nationale oder europäischen Champions fördert.

Er lag damit immer wieder über Kreuz mit der liberalen Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Die Auseinandersetzungen zwischen Breton und Vestager gelten in Brüssel als legendär. In den entscheidenden Punkten setzte sich Breton aber in der Regel durch, etwa beim Chips-Act zur Ansiedlung neuer Halbleiterfabriken in Europa. Er profitierte dabei auch von der Rückdeckung der Kommissionspräsidentin, die sich im Zweifel gegen Vestager auf die Seite Bretons schlug.

Deutsche Industrie- wie Regierungsvertreter haben Breton vorgeworfen, in der Kommission zu sehr französische Interessen zu vertreten. Seine Politik entspricht aber zumindest dem Kurs des Bundeswirtschaftsministeriums. Zuletzt hatte sich Breton angesichts der VW-Krise besorgt über den Zustand der europäischen Autobranche gezeigt. Er hatte den Herstellern zwar Versäumnisse vorgeworfen, aber auch eine aktive Industriepolitik für die Branche in Aussicht gestellt.

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