Wer wird Bundeskanzler? Das entscheiden die Deutschen bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Vorher findet ein Wahlkampf statt, in dem die Positionen der Parteien und ihrer Kandidaten geprüft werden und auch ihre persönliche Eignung noch mal unter die Lupe genommen wird, sodass sich in der Wahl der Wählerwille abbildet – idealerweise. Man kann die Wahl aber auch anders betrachten, nämlich mit den ganz besonderen Eigenheiten von Dreikämpfen, den sogenannten Triellen.
Dazu findet sich einiges in der Spieltheorie. Diese wissenschaftliche Disziplin versucht, komplizierte soziale Abläufe auf ihren Kern zu reduzieren, sodass man sie in relativ einfache Regeln fassen kann – eben fast wie ein Spiel. Dann lässt sich besser analysieren, welche Verhaltensweisen für wen gut sind und was am Ende herauskommen könnte. Das klingt sehr theoretisch, kann aber durchaus praktischen Nutzen haben, wie sich noch herausstellen wird.
Trielle wurden nun von der Spieltheorie schon in den Siebzigerjahren nach allen Regeln der Kunst analysiert, nicht zuletzt von dem kanadischen Mathematiker D. Marc Kilgour. Es gibt unterschiedliche Gewinnerstrategien abhängig davon, ob es mehrere Gewinner geben kann oder nur einen, und abhängig davon, wie wohlgesinnt die Beteiligten einander sind. Im Fall der Kanzler-Entscheidung aber ist klar: Es kann nur einen geben. Und da lassen sich die Strategien recht einfach zusammenfassen.
Die Wende in den Umfragen
Am besten ist da der Vergleich mit einem Western-Duell, nur dass eben drei Beteiligte schießen (und es bei der Bundestagswahl zum Glück höchstens ums politische Überleben der Beteiligten geht). Wer schießt also auf wen? Der stärkste Schütze schießt am besten auf den zweitstärksten, denn er möchte ja seinerseits nicht erschossen werden. Der Zweitstärkste wiederum schießt auf den Stärksten, der schwächste Schütze ebenfalls. Das paradoxe Ergebnis: Die besten Siegeschancen hat der schwächste Schütze.
Wenn man das zurück auf die Bundestagswahl überträgt, geht es bei „schwach“ nicht um die Eignung fürs Amt, das soll jeder Wähler selbst entscheiden. Stärke und Schwäche bilden hier den Umfragenstand und die Erfolgswahrscheinlichkeit ab. Und dann hatte schon das vorangegangene Triell im Jahr 2021 große Ähnlichkeit mit der Theorie.
Nach der Ankündigung der Kanzlerkandidaten Ende April lagen bald die Grünen vorne. Doch schon im Juni bekam deren Kandidatin Annalena Baerbock Schwierigkeiten mit Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf und Plagiaten, kräftig unterstützt von den Fans der anderen beiden Parteien. Bald darauf wurde Armin Laschet dabei erwischt, wie er bei einem Termin im überfluteten Erftstadt im Hintergrund lachte, während Bundespräsident Steinmeier sprach. SPD-Chef Lars Klingbeil heizte den Ärger über Laschet kräftig an – das war für die Union die Wende in den Umfragen.
Vielleicht zählen für Wähler ja auch die Inhalte
Beides waren Fauxpas, die nicht jeden anderen Kandidaten die Wahl gekostet hätten. Franziska Giffey gewann im gleichen Jahr trotz Plagiaten in ihrer Dissertation die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin und wurde Regierende Bürgermeisterin, Frank-Walter Steinmeier bekam eine zweite Amtszeit als Bundespräsident, obwohl auch er bei dem Flut-Termin im Hintergrund gelacht hatte, während Laschet sprach. In diesem Triell aber führte beides dazu, dass die Kandidaten ihre Wahlchancen verloren. Am Ende gewann derjenige, der mit den schwächsten Umfragewerten in den Wahlkampf eingestiegen war: die SPD mit Olaf Scholz.
Ob es dieses Mal auch so sein wird? Sicher ist: Jede Partei wird wieder versuchen, die anderen Kandidaten als weniger tauglich darzustellen. In den sozialen Medien sind die ersten Halbwahrheiten und Komplettfakes schon unterwegs. Und immer richten sich zwei Parteien von Kanzlerkandidaten gegen den einen anderen. Im Moment stehen die Grünen mit Robert Habeck in den Umfragen am schwächsten da.
Vorne liegt derzeit Friedrich Merz von der CDU, seine Partei hat in den Umfragen mehr Stimmenanteile als die beiden anderen zusammen. Tatsächlich hat er in den sozialen Medien schon die ersten Fakes und unsachlichen Zuspitzungen aus den Reihen der anderen Parteien abbekommen. Und die Grünen mit Robert Habeck gewinnen in den Umfragen schon an Zuspruch.
Allerdings ist dieses Mal der Wahlkampf kürzer, bis zur Bundestagswahl sind es nicht mal mehr drei Monate – da ist weniger Zeit zum Fehlermachen und für eine Dynamik, wie sie im vorigen Wahlkampf geschah. In den vergangenen Tagen schien sich das Land noch darauf zu konzentrieren, dass es den Bruch der alten Koalition aufarbeitet. Und vielleicht zählen für Wähler ja auch die Inhalte.